„Nicht alle Unterlagen übermittelt“

Telekom I. Telekom-Chef Ametsreiter weiß seit Jahren von Millionenprovisionen an ­Hochegger und Mensdorff

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Die Beamten des Bundesamts zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) waren einigermaßen konsterniert. Ausgerechnet das Management der Telekom Austria schien die Ermittlungen in Zusammenhang mit den Millionenzahlungen für die Lobbyisten Peter Hochegger und Alfons Mensdorff-Pouilly plötzlich zu hintertreiben. Am 18. Juli des Vorjahres machten sie ihrer Verstimmung in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Wien Luft: „Am 15.7.2011 wurden von der Telekom Austria den ermittelnden Beamten des BAK Urkunden von 16 Geschäftsfällen der Telekom Austria mit der Valora AG (Hocheggers früheres Lobbying-Vehikel, Anm.) übergeben … Bei den übergebenen Schriftstücken wurde von der Telekom Austria mehrmals (auch mündlich) angeführt, dass es sich um sämtliche in den Räumen der Telekom Austria vorgefundenen Schriftstücke handelt.“

Der Telecom-Vertrag mit Mensdorff-Pouilly als Download:

Wie ausführlich berichtet, soll Peter Hocheggers Unternehmensgruppe zwischen 2000 und 2008 insgesamt 38 Millionen Euro an Honoraren und Provisionen von der Telekom erhalten haben. Davon sollen neun Millionen in dunklen Kanälen verschwunden sein – getarnt als fingierte Aufträge, 16 an der Zahl.

Hochegger ist eine der zentralen Figuren in jener Affäre, die nunmehr auch den parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschäftigt. Der Lobbyist und PR-Berater soll ein gigantisches Geldverteilungssystem aufgezogen haben, um Ministerien, Parteien und Behörden auf die Interessen der Telekom Austria einzuschwören. Der Konzern soll Hochegger auch dazu eingesetzt haben, Gesetze zu kaufen oder öffentliche Ausschreibungen zu manipulieren. Und er war nicht der Einzige: Der ÖVP-nahe Lobbyist Alfons Mensdorff-Pouilly soll für die erfolgreiche Vermittlung des ominösen Blaulichtfunk-Auftrags der Republik (Projektname: „Tetron“) 1,1 Millionen Euro kassiert haben. Das BZÖ soll annähernd eine Million Euro erhalten haben, dessen früherer Infrastrukturminister Hubert Gorbach steht im Verdacht, die Novelle zur „Universaldienstverordnung“ 2006 im Sinne der Telekom durchgeboxt zu haben.

Der amtierende Vorstandsvorsitzende der Telekom Austria AG, Hannes Ametsreiter, wurde nie müde, die alleinige Verantwortung aufseiten des Unternehmens den ehemaligen Managern Rudolf Fischer (bis August 2008 Chef des Festnetzbereichs) und Gernot Schieszler (Fischers einstiger Stellvertreter, er musste im Juli 2009 gehen) zuzuschreiben – und das, obwohl er ab 2007 ziemlich nahe am Geschehen dran war. Um die Rolle des 45-jährigen Salzburgers besser zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick in die Annalen. Bis vor zwei Jahren waren Mobilfunk („Mobilkom Austria“) und Festnetzgeschäft („Telekom Austria TA“) zwei unabhängig voneinander agierende Gesellschaften unter Dach der börsennotierten Telekom-Holding.

Erst 2010 wurden beide Teilkonzerne in der heute existierenden Telekom Austria AG vereint. Ametsreiter fungierte ab Jänner 2001 als Marketingvorstand der Mobilkom, ab Juli 2007 auch als Marketingvorstand der Festnetzgesellschaft Telekom Austria TA, mit 1. Jänner 2009 übernahm er ebenda den Vorstandsvorsitz. Am 1. April 2009 folgte er Boris Nemsic an der Spitze der Konzernholding nach, heute ist er Vorstandschef der restrukturierten Gruppe.

Als solcher versprach Ametsreiter nach Bekanntwerden der Malversationen im Jänner 2011 – ausgelöst durch eine profil-Enthüllung in Ausgabe Nr. 5/2011 – „Transparenz“, „lückenlose Aufklärung“ und „volle Zusammenarbeit mit den Behörden“.

Konsequenterweise übermittelte die Telekom den Ermittlern im Jahresverlauf 2011 einschlägige Unterlagen zu verdächtigen Geschäftsfällen. Nur: „Die angeführten Schriftstücke bildeten für den Zeitraum 15.7.2010 bis 15.7.2011 eine Tatsache, an der es vorerst keine Zweifel gab, zumal sich die Telekom Austria als Privatbeteiligter bei diesen 16 Geschäftsfällen anschloss, und man seitens des BAK vorerst keinen Grund für Zweifel an der Integrität der Aussagen der Telekom hatte“, schrieb das BAK im Sommer des Vorjahres an die Justiz.

Wie sich jetzt erst herausstellt, sitzt das Büro Ametsreiter seit geraumer Zeit, nämlich seit dem Frühjahr 2009, auf einem Dossier, von dessen Existenz weder die Polizei noch die Justiz und schon gar nicht die Öffentlichkeit Kenntnis erlangen sollten: einem Bericht der Wirtschaftsprüferkanzlei KPMG. Diese hatte zum Jahreswechsel 2008/2009, im Rahmen der Abschlussarbeiten an der Telekom-Bilanz des Jahres 2008, eher zufällig einen eigenen Prüfschwerpunkt gesetzt: „Compliance und Beraterverträge“ – Compliance bezeichnet das so genannte Wohlverhalten von Organen eines Unternehmens.

Just am 15. Juli 2011, also jenem Tag, an dem die Telekom Austria dem BAK „sämtliche“ Unterlagen für 16 mutmaßlich krumme Geschäfte mit Peter Hochegger übermittelt haben wollte, stellte sich Gernot Schieszler einer seiner zahlreichen polizeilichen Einvernahmen und offenbarte Erstaunliches: „Im Rahmen dieser Prüfung (gemeint ist die KPMG-Prüfung, Anm.) wurden von uns … mehrere Dokumentationsordner erstellt. Inhalt dieser damaligen – und auch in weiterer Folge der KPMG übergebenen – Ordner waren nach meinem Wissen auch zumindest teilweise bereits Geschäftsfälle mit Hochegger … aus diesem Geschäftsjahr 2008.“ So steht es jedenfalls in dem profil vorliegenden „Anlassbericht“ des BAK vom Juli 2011. Schieszler weiter: „Es ist mir … unverständlich, wie die Telekom Austria angeben konnte, dass außer den von ihr übermittelten Ordnern … es absolut keine anderen Unterlagen gäbe – dies ist schlichtweg falsch … Die Telekom Austria hat offensichtlich nicht alle Unterlagen übermittelt.“

Und schließlich: „Meiner Erinnerung nach befinden sich in diesem Ordner noch weitere Malversationen in Bezug auf fingierte Beraterverträge (außerhalb von Hochegger-Beratungen)“.

Das wirft hochnotpeinliche Fragen auf:
Wo sind die Aktenordner, von denen Schieszler sprach, geblieben? Warum wurden sie den Behörden vorenthalten? Wollte die Telekom zwei Jahre nach Schieszlers Abgang etwas vertuschen?

Das Büro Ametsreiter ließ profil vergangene Woche ausrichten, die KPMG hätte die betreffenden „Prüfungsunterlagen über die Beratungsaufträge“ zwischenzeitlich der Staatsanwaltschaft Wien übergeben. Im Übrigen legt das Unternehmen jetzt Wert auf die Feststellung, dass die damalige Prüfung „seitens KPMG keine Beanstandungen“ ergeben hätte.

Hat die KMPG schleißig gearbeitet? Oder wurden dieser nicht viel eher wesentliche Unterlagen unterschlagen? So oder so: Die Geschäftsfälle, die damals nicht „beanstandet“ wurden, sind nunmehr ein Fall für die Justiz.

Offensichtlich waren den KPMG-Prüfern seinerzeit nicht nur Beraterverträge mit Hochegger übergeben worden, sondern auch jenes fünfseitige Dokument, das Alfons Mensdorff-Pouilly um 1,1 Millionen Euro reicher machte. Der am 11. März 2008 geschlossene Vertrag mit dem Ehemann der früheren ÖVP-Spitzenpolitikerin Maria Rauch-Kallat liegt profil ebenfalls vor und ist ab sofort unter profil online abrufbar. Formell wurde Mensdorff von Fischer und Schieszler namens der damals noch existierenden Festnetzgesellschaft Telekom Austria TA AG, mandatiert, das Unternehmen bei Akquisitionen in Zentral- und Osteuropa zu beraten. Der Vertrag offenbart, wie wenig es schon von der Papierform her brauchte, um stattliche Sümmchen abzusahnen. Da ist die Rede von „laufender Beobachtung und Analyse von Gegnern und Verbündeten“; der „Entwicklung einer Kommunikationsstrategie“; der „Anbahnung und Durchführung von Hintergrundgesprächen mit ausgewählten Schlüsselpersonen“; der „Analyse von Positionen und Aktivitäten der Wettbewerbsbehörden im Inland/Ausland“.

Viel Text, wenig Erfolg.
In letzter Konsequenz verhalf Mensdorff-Pouilly der Telekom zu keiner einzigen Übernahme. Dennoch kassierte er zwischen 2008 und 2009 die volle Summe, also 800.000 Euro Honorar und 300.000 Euro Erfolgsprämie.

Doch es kommt noch besser: Als der Vertrag mit Mensdorff geschlossen wurde, saß Ametsreiter fast ein Jahr im Vorstand der Festnetzgesellschaft. Dennoch will er nichts mitbekommen haben.

Am 12. März 2009, Ametsreiter war mittlerweile zum Vorstandsvorsitzenden der Festnetzgesellschaft avanciert, holte ihn die Geschichte erneut ein. An diesem Tag landete ein Schreiben des Bundeskriminalamts auf seinem Schreibtisch. Dieses begehrte „Auskunft über den Grund nachfolgender Zahlungen der Telekom“ über insgesamt eine Million Euro an ein Alfons Mensdorff-Pouilly zugerechnetes Raiffeisen-Konto. Sieben Tage später teilten Rechtsabteilung und Innenrevision im Namen der Telekom mit: Mensdorff habe das Unternehmen bei geplanten Akquisitionen in Osteuropa beraten und dafür ein Honorar von letztlich 1,1 Millionen Euro erhalten.

Ganz geheuer dürfte Ametsreiter die Achse Alfons nicht gewesen sein. Noch im März 2009 beauftragte er die Innenrevi­sion mit einer ausführlicheren Untersuchung der Vorgänge. Im „Zwischenbericht“ der Revisoren vom Juni 2009 wird unter anderem festgehalten: „Gemäß Auskunft von Gernot Schieszler wurde über die Leistungen laufend von MPA Budapest (Mensdorffs ungarisches Vehikel, Anm.) mündlich … an Rudolf Fischer … und in der Folge an Gernot Schieszler berichtet. Eine schriftliche Leistungsdokumentation liegt nicht vor.“

Der Bericht der Innenrevision fiel eingedenk der späteren Erkenntnisse überraschend oberflächlich aus – wohl auch deshalb, weil die Prüfer mit Schieszler hauptsächlich jenen Mann dazu befragt hatten, dem nicht eben an lückenloser Aufklärung gelegen sein konnte.

Schließlich hatte Schieszler noch am 21. Jänner 2009 die Überweisung der mit Mensdorff vertraglich vereinbarten „Erfolgsprämie“ in der Höhe von 300.000 Euro veranlasst, obwohl kein geschäftlicher Erfolg vorzuweisen war. Diese Transaktion war es auch, die Schieszlers Telekom-Karriere beendete. Kurz nachdem die Innenrevision ihren „Zwischenbericht“ bei Ametsreiter abgeliefert hatte, musste Schieszler abdanken. Nach profil-Recherchen gewärtigte Ametsreiter die strafrechtliche Relevanz der Zahlungen an Mensdorff-Pouilly sehr wohl. Trotzdem unternahm er nichts. Schieszler musste unter Verzicht auf alle Ansprüche scheiden, die Angelegenheit schien begraben.

Ametsreiter hatte also spätestens ab dem Frühjahr 2009 Kenntnis davon, dass seine Vorstandskollegen im Festnetzbereich, Rudolf Fischer und Gernot Schieszler, die Lobbyisten Hochegger und Mensdorff-Pouilly mit Millionen überschüttet hatten. Er musste auch wissen, dass den Zahlungen kaum erkennbare oder überhaupt keine Leistungen gegenüberstanden. Und spätestens nach dem Rauswurf Schieszlers hätte er eine umfassende Prüfung veranlassen müssen.

Was nicht geschah. Denn tatsächlich mussten weitere eineinhalb Jahre vergehen, ehe Ametsreiter unter dem Druck von Justiz und Öffentlichkeit begann, die jüngere Vergangenheit aufarbeiten zu lassen. Erst im April 2011 holte er die Wirtschaftsprüfer von Deloitte ins Haus, um die fragwürdigen Geschäftsfälle zu untersuchen. Heraus kam ein 400 Seiten starker Bericht (Projektname: „Flieder“), den profil auszugsweise veröffentlicht hat.

Ametsreiter steht vorerst nicht auf der Zeugenliste des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Warum?