Der Triple-A-Krimi

Rating. Wie Österreich sein Triple-A verlor - die Geschichte einer Degradierung

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Arbeiterkammer-Direktor Werner Muhm, wichtigster Wirtschaftspolitikberater von Kanzler Werner Faymann, war grantig: Der „Herr Professor“ sei ein echter „Austro-Masochist“, der die Lage „weit unter Wert“ darstelle und „Angstpropaganda“ betreibe.

Der Professor, gegen den es da Mitte November im Klub der Wirtschafspublizisten ging, war Bernhard Felderer, Leiter des Instituts für Höhere Studien und Vorsitzender des Staatsschuldenausschusses. Felderer hatte wenige Tage zuvor bei einer Pressekonferenz unverblümt den Verlust des dritten A vorhergesagt, sollte nicht unverzüglich die Schuldenbremse in Verfassungsrang erhoben und ein entsprechendes Programm auf die Beine gestellt werden. Und: Österreich habe für diese Signale nur wenige Wochen Zeit.

Kaum zwei Monate später gibt die Wirklichkeit eher Felderer, denn Muhm Recht. Selbst einen der Sargnägel für Österreichs Triple-A hatte der Professor damals schon benannt: „Die Gefahr geht aktuell von der Krise in Italien aus.“

Am Freitag, dem 13. Jänner, 22.49 Uhr, war der Sack dann zu: „S&P hat Österreich auf AA+ abgestuft“, lautete der mit dem Dringlichkeitsvermerk „Vorrang“ versehene Aussendungstitel der Austria Presse Agentur. Der Grund für die Verlautbarung zu später Stunde: Die Ratingagenturen warten mit solchen Hiobsbotschaften kulanterweise auf den Börsenschluss an der Wall Street.

Felderer hatte den Zund aus Deutschland: Ein Kollege mit gutem Informationskanal zu Standard & Poor’s hatte ihm berichtet, dem dritten österreichischen A gehe es gar nicht gut. Auch im Finanzministerium hatte sich die Gefahrenlage schon herumgesprochen. Ministerin Maria Fekter legte dem Koalitionspartner eilig ein Konzept zum Thema Schuldenbremse vor, aus dem Ministerium sickerte durch, mit dem Rating sehe es sehr schlecht aus.

Als dann Mitte Dezember ein dreiköpfiges Prüfteam von S&P nach Wien kam, aber nur noch eher kurz mit Regierung, Nationalbank und Bundesfinanzierungsagentur sprach und nicht mehr – wie sonst üblich – mit den Wirtschaftsforschern und den Großbanken, ahnten Beobachter Böses: Das Triple-A war zu diesem Zeitpunkt bei Standard & Poor’s schon weg (die Mitbewerber Moody’s und Fitch hatten Österreichs Top-Rating dagegen noch vor dem Jahreswechsel bestätigt).

Dass es das Geschäft mit dem A überhaupt gibt, verdankt die Welt einem amerikanischen Wirtschaftsjournalisten namens John Moody (1868–1958), der 1909 damit begonnen hatte, Eisenbahn-Anleihen zu bewerten. Daraus entwickelte sich langsam eine allgemeine Bewertungsagentur. Als sich 1941 die Statistikfirma Standard mit dem Wirtschaftspressedienst Poor’s zusammentat, gab es erstmals Konkurrenz für Moody’s. Beide florierten, obwohl mit Fitch noch ein weiterer Groß-Analyst auf den Märkten unterwegs war.

In den siebziger Jahren änderten sich die Geschäftsgrundlagen der Agencies fundamental. Hatten zuvor die Investoren für Tipps bezahlt, wo ihre Kohle sicher und ertragreich zu parken sei, zahlten nun jene, die dringend Geld beherbergen wollten – also große Banken und Staaten. Österreichs Großbanken lassen sich die Beurteilung durch die Agenturen jährlich eine runde Million kosten, Österreich als Staat nicht viel weniger. Nicht zu bezahlen wäre unklug, sagt man im Wiener Finanzministerium: Die Agenturen würden dennoch Ratings veröffentlichen – aber dann eben bloß anhand von Daten aus dem Internet oder anderen unkommentierten Quellen. Beim „Solicited Rating“, wie der Bezahlservice genannt wird, könne man immerhin mitreden und argumentieren. Nachsatz: „So kann man drohendes Unheil wenigstens frühzeitig erkennen.“

Wobei die Ratingagenturen selbst drohendes Unheil nicht immer erkennen. Denn unfehlbar sind sie mitnichten: Weder die gigantische Parmalat-Pleite noch das Island-Debakel oder den ebenso spektakulären wie folgenreichen Untergang des Investmenthauses Lehman Brothers hatten sie vorhergesehen. Vom Kollaps des US-Subprimemarkts 2007, den sie durch allzu sorglose Hypothekar-Ratings mitbegünstigt hatten, ganz zu schweigen.

Dennoch: Die Agenturen schicken Top-Leute, erzählen ihre österreichischen Kontaktpersonen. „Das sind keine Würstchen, die da kommen“, weiß ein Wiener Spitzenbanker. Die Analysten sind erfahrene Bankfachleute, Steuerexperten oder ehemalige Controller großer Konzerne. Wurden früher oft Engländer oder Experten aus den USA eingesetzt, wird jetzt darauf geachtet, dass zumindest ein deutschsprachiger Fachmann in der Runde ist. Bei ihren Besuchen in Österreich – zweimal pro Jahr schickt eine Ratingagentur in der Regel ein Team – wird den Leuten von S&P, Moody’s und Fitch dementsprechend auch die heimische Top-Garde präsentiert: von den Generaldirektoren der großen Banken, den Chefs von Finanzmarktaufsicht und Bundesfinanzierungsagentur über führende Wirtschaftsforscher hin zu den Experten der Ministerien.

Damit keine wertvolle Zeit verloren geht, schicken die Agenturen ihre Fragen oft schon vorab. Dennoch stöbern sie mitunter von neun Uhr Früh bis Dienstschluss in den Unterlagen einer sie gerade brennend interessierenden Bank.

Ihre Erkenntnisse präsentieren sie samt Analyse und Empfehlungen einem Komitee im Headquarter, in dem „Seniors“ dann die Letztentscheidung über die allfällige Anpassung eines Ratings treffen. Wenn es politischen Einfluss gibt – dann wohl an dieser Stelle.

Standard & Poor’s hatte Österreich schon seit Beginn des Vorjahrs einem zermürbenden Wechselbad ausgesetzt. Genau vor einem Jahr, im Jänner 2011, hatte S&P befunden, Österreichs Großbanken – Erste Group und Raiffeisen Bank International – seien gemeinsam mit den größten japanischen Banken und den deutschen Kommerzbanken weltweit die am schlechtesten mit Eigenkapital ausgestatteten Kreditinstitute. Noch im Dezember zuvor hatte S&P das Triple-A-Rating der Republik Österreich allerdings mit dem Vermerk „stabil“ bestätigt, ein Befund, den man im April 2011 bekräftigte. Schon damals ortete die Ratingagentur aber Wölkchen am blauen Frühlingshimmel: Österreich werde das Nettodefizit erst 2013 unter drei Prozent drücken und noch zehn Jahre lang den Schuldenstand nicht unter die magische 60-Prozent-Marke (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) bringen können, hieß es im Bericht. Dem Burgenland wurde damals in einer Separateinschätzung der zweitbeste Wert zugebilligt: AA+.

Hektisch wurde die Lage im Sommer: Standard & Poor’s beschied Frankreich, es sei das schwächste Glied im Kreis der sechs noch mit Triple-A ausgestatteten Euro­länder. Gleichzeitig sickerte durch, Österreich liege in diesem Ranking gleich nach Frankreich an der zweitschlechtesten Stelle. Kurz zuvor war ein S&P-Team in Wien zugange gewesen. Praktisch zeitgleich stufte die Ratingagentur die USA auf AA+ herunter. Das hatte es seit 1917, als Moody’s die Vereinigten Staaten erstmals bewertete, noch nie gegeben. Noch dicker kam es im Oktober für Italien: Aus A+ wurde ein nacktes A, Ausblick „negativ“. Noch am selben Tag stufte Moody’s die UniCredit Bank Austria von A1 auf A2 herab.

Das war die Gemengelage Anfang November, als die Nachricht von der Gefahr für Österreichs drittes A bis nach Wien durchdrang und IHS-Chef Bernhard Felderer seine alarmierende Pressekonferenz abhielt. Es gab auch noch andere Warnsignale: Der Zinssatz, den die Republik für zehnjährige Staatsanleihen zahlen musste, war in diesen Tagen Anfang November auf 3,86 Prozent gestiegen, der höchste Wert seit dem Sommer 2009. Der Zinsabstand zu Deutschland wurde immer größer.

Eben befand sich eine Delegation von Moody’s in Wien. Diese habe sich besonders für die geplanten Maßnahmen zur Budgetsanierung und zur Finanzgebarung von Ländern und Gemeinden interessiert, drang durch. Finanzstaatssekretär Andreas Schieder glaubt, dass auch die Mitte November erfolgte Ankündigung der EU-Kommission, die Ratingagenturen künftig stringenter regulieren zu wollen, zur Zuspitzung und zur „politischen Reaktion der Agenturen“ beigetragen habe.

Den Knalleffekt setzte dann S&P bezeichnenderweise am Krampustag und senkte den Ausblick für alle sechs Eurostaaten, die noch das AAA vorweisen konnten, auf „negativ“ ab. Das bedeutete, dass innerhalb von 90 Tagen das Rating dieser Staaten abgestuft werden konnte. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt üblicherweise bei 50 Prozent. Zu Österreich wurde im Bericht vermerkt, die Verankerung einer Schuldenbremse in der Verfassung wäre hilfreich gewesen.

Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger hatten den Uppercut offenbar erwartet: Umgehend antworteten sie in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Bundesregierung handle entschlossen und sei eben dabei, „die Staatsschuldenquote konsequent abzubauen“. Der Zeitpunkt der Frühwarnung war diabolisch gewählt: S&P sprach sein Verdikt unmittelbar vor dem brisanten Gipfel der Eurostaaten. Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny nannte sie daher sichtlich erbost „eine politische Aktion“.

Bemerkenswerterweise ließ das aufziehende Gewitter die Märkte völlig kalt. Am 16. Dezember, dem Tag, an dem das eben in Wien recherchierende Prüfteam von S&P Österreich als „rezessionsgefährdet“ bezeichnet hatte, lagen die Zinsen für österreichische Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit bei 2,87 Prozent und damit einen ganzen Prozentpunkt unter dem Spitzenwert vom November. IHS-Chef Felderer führt dies auf die längerfristigen Refinanzierungsmöglichkeiten zurück, welche die Europäische Zentralbank (EZB) den Geschäftsbanken ab Dezember bot: „Die EZB hat signalisiert, dass sie im Notfall auch zu unkonventionellen Schritten bereit ist. Das hat auf den Märkten die Wirkung nicht verfehlt.“

Die Nachricht vom Ende des Triple-A erreichte die österreichische Bundesregierung dann gegen zehn Uhr vormittags an jenem denkwürdigen Freitag, dem 13. Jänner – und damit lange vor dem Publikum: Standard & Poor’s pflegt die Betroffenen Regierungen und Unternehmen zwölf Stunden vor der Verlautbarung des neuen Ratings zu informieren. Diese können dann noch sachlich Einwände erheben – die Meinung, das sei jetzt aber wirklich ungerecht, zählt nicht zu den Reklamationsmöglichkeiten.

Um 16.28 Uhr hatten dann auch die Medien Wind von den bevorstehenden Herabstufungen bekommen. Das Berlin-Büro der Nachrichtenagentur Reuters berichtete, Frankreich stehe vor dem Verlust seines Triple-A. Wenig später, um 17.05 Uhr, mutmaßte „Financial Times Online“, auch Österreich sei betroffen. Die Austria Presse Agentur meldete: „Von österreichischer Regierungsseite ist vorerst niemand erreichbar.“

Seit Montag vergangener Woche steigen jetzt auch die Zinsen der zehnjährigen Staatsanleihen wieder an.