Tu was! Für uns.

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Die erwachsene Tochter hat eine Freundin der Mutter getroffen, im Folgenden Tante genannt.
Tochter: Ja, der Christoph und ich, wir heiraten, und irgendwann wollen wir dann auch Kinder, aber das hat noch Zeit. Der Christoph sagt immer, am besten wär’s, wir warten, bis unsere Mütter in Pension sind, da hätten wir dann gleich zwei Babysitter.
Tante: Jaja, das alte Problem, Beruf und Kinder – ohne Großmütter geht da nix.
Tochter: Nein, wieso? Ich bleib sicher zu Haus die ersten Jahre. Ich möchte nicht, dass meine Kinder das Gefühl kriegen, meine Karriere ist mir wichtiger. Ich weiß, wovon ich rede, glaube mir.
Tante: Wieso? Deine Mutter hat halbtags gearbeitet, bis du sechzehn warst. Deinetwegen.
Tochter: Ja, aber ich hab trotzdem das Gefühl gehabt, ihr Beruf ist ihr wichtiger. So was spürt man. Das war ziemlich hart, aber vorbei ist vorbei, ich hab ihr vergeben.
Tante: Sehr großzügig.
Tochter: Schon. Aber weil wir grad über sie reden: Sag, findest du nicht auch, sie sollte mehr aus ihrem Leben machen?
Tante: Inwiefern?
Tochter: Na ja, wenn ich mir andere Frauen in ihrem Alter so anschaue … Lilians Mutter zum Beispiel macht tolle Reisen.
Tante: Lilians Mutter hat viel Geld. Und viel Freizeit.
Tochter: Bitte! Dafür hat die Mammi sechs Wochen Urlaub! Oder fünf?
Tante: Aber wenig Kohle.
Tochter: Wieso denn? Sie verdient doch. Sie hat doch immer gearbeitet.
Tante: Halbtags.
Tochter: Ja, und?
Tante: Keine Methode, um Reichtümer anzusammeln.
Tochter: Von mir aus muss sie ja nicht reisen. Aber … Also, ich finde, sie würde einen attraktiven Freund brauchen.
Tante: Solange sie einen hatte, war’s dir gar nicht recht.
Tochter: Ja, der war ja auch ein Unsympathler.
Tante: Was du ihm nicht oft genug sagen konntest.
Tochter: Ich bin eben ein ehrlicher Mensch. Jedenfalls – ich an ihrer Stelle hätte mir längst einen wirklich geilen Typ angelacht.
Tante: Okay, ruf Harrison Ford an und sag ihm, sie ist zu haben.
Tochter: Du findest Harrison Ford einen geilen Typ?
Tante seufzt.
Tochter: Nein, ehrlich, ich mach mir Sorgen um sie. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste so leben …
Tante: Das heißt, du machst dir Sorgen um dich.
Tochter: ???
Tante: Na ja, anscheinend hast du Angst, es könnte dir gehen wie ihr.
Tochter: Nein, hab ich nicht. Ich würde ja was dagegen tun. So was kann man steuern.
Tante: Du meinst, sie lässt Harrison Ford absichtlich links liegen?
Tochter: Was hast du bloß immer mit Harrison Ford???
Tante: Mein Fehler, vergiss es. Was ist übrigens so schlimm an ihrem Leben?
Tochter: Null Action. Ich würde wahnsinnig werden.
Tante: Vielleicht passt es ihr. Sie kommt mir nicht wahnsinnig vor.
Tochter: Warum jammert sie dann?
Tante: Sie jammert?
Tochter: Dauernd. Ich erzähl dir ein Beispiel: Wir haben einen verstopften Abfluss, und der Installateur soll kommen, im Lauf des Montags. Ich sage zur Mammi, fahr bitte in unsere Wohnung und warte auf ihn, wir haben beide keine Zeit. Sofort gibt’s ein Riesengezeter: Sie käme sich vor wie ein Kettenhund, furchtbar, immer diese Aufträge, so hätte sie sich ihr Leben nicht vorgestellt.
Tante: Findest du, es ist Action, in deiner Wohnung auf den Installateur zu warten?
Tochter: Du verstehst mich nicht. Sie hat gesagt, so hätte sie sich ihr Leben nicht vorgestellt. Sie ist also definitiv unzufrieden mit ihrem Leben.
Tante: Ist sie in eure Wohnung gefahren?
Tochter: Nein. Das finde ich ja auch so seltsam. Sie wird plötzlich so egoistisch. Ist das eine Alterserscheinung?
Das Handy der Tochter düdelt. Tochter (ins Handy): Hallo, Mammi, grade reden wir über dich … Ja, ich hab dich gesucht. Du, wir brauchen am Samstag unbedingt dein Auto. Wir müssen zu Ikea, und meins ist in Reparatur … Nein, Christoph hat seines seiner Schwester versprochen … Das kann doch bitte nicht sein, dass du uns dein Auto nicht borgst, weil du unbedingt diese Leute besuchen musst! Die sind doch todlangweilig! … Mammi!!! Bitte!!! Ja, denk nach, aber am Samstag brauchen wir dein Auto. Tochter klappt das Handy zu.
Tochter: Ich glaube, in Wirklichkeit ist sie mir dankbar. Sie hat bloß eine gute Ausrede gesucht. Wer besucht schon freiwillig die Färbers!
Tante: Deine Mutter, offenbar.
Tochter: Ich bitte dich. Das wäre ja krank. Da muss man sie ja retten.
Tante: Hat sie dir eigentlich jemals vorgeschrieben, mit wem du befreundet sein darfst?
Tochter: Natürlich nicht. Wir leben doch nicht im Mittelalter.
Tante: Na geh.
Tochter: Also, war fein, dich zu treffen. Und wenn du die Mammi siehst, red ihr zu, dass sie ein bisschen mehr unternimmt.
Tante: Hä?
Tochter: Na ja, ich möchte nicht, dass sie vereinsamt. Ich wette, sie sitzt am Samstag wieder daheim und vergräbt sich in ihren Büchern. Ach, ich sag’s dir, leicht ist das nicht, wenn die Alten plötzlich darauf angewiesen sind, dass man sich um sie kümmert.