US-Wirtschaft

US-Wirtschaft: Die Achillesferse

Die Achillesferse

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Ende Juli tingelten drei Mitglieder von George W. Bushs Kabinett mit einem Bus der Rockgruppe Aerosmith durch die US-Bundesstaaten Wisconsin und Minnesota. Ihre Mission: Sie sollten der Bevölkerung die Frohbotschaft vom bevorstehenden Wirtschaftsaufschwung überbringen, der durch die jüngsten Steuersenkungen nun eingeläutet würde. Bei ihrem Publikum stießen sie damit allerdings auf Skepsis und Ablehnung: Zum einen sind Finanzminister John Snow, Arbeitsministerin Elaine Chao und Handelsminister Don Evans deutlich weniger bekannt als die Bandmitglieder von Aerosmith. Und zum anderen wollten die Zuhörer auch gar nichts über Steuersenkungen hören, von denen ohnehin nur die vermögenderen Schichten profitieren: Ihre Fragen bezogen sich vielmehr hauptsächlich auf die hohe Arbeitslosigkeit.

Im dritten Jahr von George W. Bushs Präsidentschaft liest sich die Bilanz seiner Wirtschaftspolitik ziemlich düster: Seit Beginn seiner Amtszeit gingen drei Millionen Jobs verloren, die Arbeitslosigkeit ist auf dem höchsten Stand seit 1994, und ein deutlicher Wirtschaftsaufschwung lässt immer noch auf sich warten. Zwar ist die Wirtschaft im zweiten Quartal 2003 um 2,4 Prozent gewachsen. Doch das ist hauptsächlich auf die gestiegenen Militärausgaben zurückzuführen und hat, wie der Präsident selbst zugesteht, kaum Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Mit seiner ewig gleichen Antwort auf wirtschaftliche Schwierigkeiten - nämlich noch mehr Steuersenkungen - hat sich Bush nun ein weiteres Problem gezüchtet: ein Budgetdefizit in absoluter Rekordhöhe.

Der amerikanische Staatshaushalt hat schon unter der Wirtschaftsflaute, die fallende Steuereinnahmen mit sich brachte, und den Kosten des Irak-Krieges gelitten. Spätestens mit seiner dritten Steuersenkung, die Bush gleich nach dem Irak- Krieg verfügte und mit der die Besteuerung von Dividenden radikal gesenkt wurde, hat er ihn vollends aus dem Gleichgewicht gebracht: Für das laufende Jahr tut sich im Budget ein Loch von 455 Milliarden Dollar auf, im kommenden Jahr sollen es sogar 475 Milliarden sein. Und darin sind die weiterhin laufenden Ausgaben für die Militäroperationen im Irak und in Afghanistan, die monatlich etwa 4,8 Milliarden Dollar kosten, noch nicht einmal eingerechnet.

Rote Zahlen. Auch in den nächsten Jahren - sprich: in Bushs eventueller zweiter Amtszeit - wird der Budgetsaldo tief im roten Bereich bleiben: Bis 2008 will der Präsident das Defizit lediglich halbieren und auch das nur, wenn die Wirtschaft kräftig wächst. Übernommen hatte Bush den Staatshaushalt von seinem Vorgänger Bill Clinton mit einem Rekordüberschuss.

Die Ursache für den rapiden Schwenk vom Plus ins Minus ist leicht gefunden: George Bushs Steuersenkungen stehen keine wie auch immer gearteten Ausgabenkürzungen gegenüber. Ganz im Gegenteil: Die Staatsausgaben sind unter Bush junior stark gestiegen, vor allem die Militärausgaben wurden um 34 Prozent in die Höhe geschraubt. Kommentatoren können über Bushs Budgetpolitik nur noch fassungslos den Kopf schütteln: "Die Irren haben die Kontrolle über die Anstalt übernommen", schreibt etwa die konservative "Financial Times".

Doch nicht alle legen dem US-Präsidenten diese Politik als Manifestation einer knöpfimmer wieder vermuteten Inkompetenz aus. Linke Ökonomen wie Paul Krugman, der eine regelmäßige Kolumne in der "New York Times" schreibt, aber auch die angesehene, eher konservative britische Wochenzeitschrift "Economist" unterstellen ihm angesichts seiner Budgetpolitik perfides Kalkül, das der radikale Flügel der Republikaner auch gar nicht verhehlt: Mit seinen rücksichtslosen Defiziten nach dem Motto "Hinter mir die Sintflut!" setzt Bush seine Nachfolger unter enormen Druck. Denn kurz nach dem Ablauf seiner eventuellen zweiten und damit letzten Amtszeit im Jahr 2008 werden die ersten kinderreichen Jahrgänge der so genannten "Baby-Boomer" in Pension gehen, was das staatliche Pensions- und Krankenversicherungssystem massiv belasten wird.

Große Defizite am Vorabend dieser Pensionswelle werden nachfolgende Administrationen zu unpopulären Reformen zwingen: Entweder müssen dann abgeschaffte Steuern wieder eingeführt werden oder, mehr im Sinne von Bush und anderen Anhängern eines "schlanken" Staates, Sozialprogramme radikal beschnitten werden. Vor allem bei Medicare und Medicaid, den Krankenversicherungen für Alte und Arme, verlangen konservative Politiker schon seit langem Kürzungen. All dies erspart sich der derzeitige Präsident und rechnet unter der Annahme, dass den Wählern die abstrakte Zahl des Budgetdefizits derzeit nicht besonders nahe geht, mit seiner Wiederwahl.

Déjà-vu. Ein ähnliches Programm hat bereits einer von Bushs Vorgängern verfolgt: Ronald Reagan, ebenfalls Republikaner, ließ in einer vergleichbaren Kombination aus Wirtschaftsflaute, Steuerkürzungen und steigenden Militärausgaben enorme Budgetdefizite auflaufen. Das gezielte Aushungern des ungeliebten Staates durch das Senken der Steuereinnahmen bekam sogar einen eigenen Namen: "Starving the beast" ("Die Bestie verhungern lassen") taufte Reagans Budgetchef die Strategie.

Reagan konnte das Loch im Staatshaushalt ungestraft ignorieren und wurde wiedergewählt. Seinem Nachfolger, dem Vater des aktuellen Präsidenten und bisherigen Defizitrekordhalters, wurden die Schulden jedoch zum Verhängnis. Denn im Wahlkampf 1992 machte der rechte Außenseiter und exzentrische Milliardär Ross Perot das Defizit zum Wahlkampfthema, indem er halbstündige Fernsehspots zur besten Sendezeit kaufte und mit einfachen Grafiken den Wählern die Notwendigkeit eines ausgeglichenen Staatshaushalts näher brachte. Bill Clinton merkte, dass das bei den Wählern ankam, und machte Budgetdisziplin zu einem der Hauptthemen seines Wahlkampfs.

Für Bush junior werden Arbeitslosigkeit und Budgetdefizit freilich nur dann nicht zum Verhängnis, wenn der Wirtschaftsmotor vor der Wahl 2004 tatsächlich anspringt. Tut er das nicht, könnte sich die Geschichte im Schnelldurchlauf - als Farce - wiederholen. Denn dann ereilte Bush junior dasselbe Schicksal wie seinen Vater, und beide könnten sich gegenseitig Bill Clintons leicht abgewandelten Wahlkampfslogan an den Kopf werfen: "It was the economy, stupid."