Vom „(un)gezielten“ Töten

Verdienen die, die Morde organisieren, mehr Rücksicht als die, die sie durchführen?

Drucken

Schriftgröße

Die zivilisierte Welt ist „entsetzt“, „schockiert“, „empört“, dass Israel nach dem „geistlichen Führer“ der Hamas, Ahmed Yassin, auch deren profanen Führer, Abdelaziz Rantisi, „gezielt“ getötet hat.

Ich bin nicht empört – ich halte Israels Agieren nur für kontraproduktiv.
Als ich der „Kronen Zeitung“ anlässlich Yassins Tötung einen Kommentar ähnlichen Inhalts anbot, hat Hans Dichand ihn mit der Begründung abgelehnt, dass er gegen die Meinung einer derart „kompakten Mehrheit“ verstieße, dass er seiner Zeitung nicht zuzumuten sei. Ich versuche mein Minderheitsvotum daher im „Staberl“-Stil zu begründen: Die Hamas ist eine Mörderbande. Ihre Statuten enthalten die Aufforderung, Juden, wo sie anzutreffen sind, zu töten. Die Hamas tötet nicht, um endlich einen palästinensischen Staat an der Seite Israels durchzusetzen, sondern ihr Ziel ist unverändert, Israel von der Landkarte zu tilgen. Wenn sie könnte, benutzte sie dazu Panzer und Raketen, da sie darüber nicht verfügt, nimmt sie zu Attentaten Zuflucht. Herr Yassin und Herr Rantisi bewegten Menschen, die ihrer Sinne nicht ganz Herr sind, darunter schwangere Frauen und unmündige Kinder, sich Dynamit um den Leib zu schnallen und damit „ungezielt“ Juden zu töten: Es ist anzunehmen, dass etwa die Hälfte der zehn Attentatsopfer der letzten Wochen Sharons Palästina-Politik ablehnt, denn das entspricht dem in Meinungsumfragen ermittelten Verhältnis innerhalb der israelischen Bevölkerung.

Indem die Hamas so agiert, ist sie nicht nur der gewichtigste Feind Israels, sondern auch eines palästinensischen Staates: Gäbe es sie nicht, so gäbe es ihn schon.
Denn bei aller Kritik an Israels Vorgehen in letzter Zeit sollte eines doch nicht in Vergessenheit geraten: Es war, nach dem Durchbruch in Oslo, nicht Israel, das damit begann, Hamas-Führer gezielt zu töten, sondern es war die Hamas, die eine Orgie ungezielten Tötens israelischer Bürger in Gang setzte – mit dem erklärten Ziel, den ausgehandelten Frieden zu verhindern.

Den durchführenden Attentätern mag man Milderungsgründe zubilligen: Ihre Verhetzung, ihre Befangenheit in einer Religion, die das Töten „Ungläubiger“ erlaubt, wenn nicht fordert, ihre vermutlich masochistische psychische Konstitution. Viel schlimmer als sie, die zu töten man den israelischen Sicherheitskräften durchaus zubilligt, sind diejenigen, die sie zu ihren Morden aufhetzen, anstacheln, anstiften und ihnen dann feige das Dynamit um den Körper schnallen.

Wäre Arafats Palästina ein Rechtsstaat, so würden die Führer der Hamas daher wegen der Anstiftung und Organisation vielfachen Mordes verhaftet, vor Gericht gestellt und zu Höchststrafen verurteilt. Stattdessen laufen sie dort frei herum.
Angesichts dieser Voraussetzungen ist es absurd, wenn man den Israelis ihre „gezielten“ Tötungen jetzt unter Hinweis auf Rechtsnormen vorwirft, die jedem Verdächtigen ein faires Verfahren vor einem ordentlichen Gericht garantieren. Es ist Arafats Palästina, das diese Rechtsnormen mit Füßen tritt, indem es sich weigert, die Verdächtigen vor ein ordentliches Gericht zu stellen.

So weit meine Begründung dafür, dass sich meine Empörung über Israel in Grenzen hält – ich nehme an, Herr Mölzer wird Herrn Dichand jederzeit die richtigen Argumente liefern, mich zu widerlegen.

Nun aber zu meiner – wenig originellen – Ansicht über den Nutzen der israelischen Aktionen: Sie werden weitere Attentate nicht verhindern, sondern befördern. Die „geistlichen“ und sonstigen Führer wachsen im gegenwärtigen Klima nach wie die Schwammerln. Es bedarf auch keines so außergewöhnlichen strategischen Talents, einem Kind Dynamit um den Körper zu binden – das bringt auch die zweite Garnitur fertig. Zumal sie wie jede zweite Garnitur noch radikaler sein wird.
Außerdem wächst ihr Rückhalt in der Bevölkerung dramatisch an und erleichtert ihr damit die Arbeit.

Vor allem aber wächst die Zahl der potenziellen Attentäter: Der Hass gegen Israel wird zum Nationalbewusstsein. Denn wenn es schon Franzosen oder Deutschen schwer fällt, in den Führern der Hamas Anstifter zum Mord zu erkennen und sie als die Totengräber, nicht die Märtyrer eines künftigen Palästinenserstaates zu begreifen, dann ist diese Unterscheidung Palästinensern zunehmend unmöglich: Wer den Israelis in der Vergangenheit wohlgesinnt war, der misstraut ihnen mittlerweile; wer ihnen misstraut hat, der hasst sie heute. Das ist nicht die Folge des gezielten israelischen Tötens von Führern der Hamas (das hat die Entwicklung nur beschleunigt), sondern es ist die Folge des ungezielten israelischen Tötens unschuldiger palästinensischer Bürger: Die auf jedes Attentat folgenden „Vergeltungsschläge“ der israelischen Armee haben längst nicht mehr Schuldige ausgeschaltet, sondern immer mehr völlig Unbeteiligte, zufällig im Weg Stehende, Frauen und Kinder, umgebracht.

Es ist dieses ungezielte israelische Töten, das Entsetzen und Empörung verdient – und von dem sich ranghohe israelische Soldaten distanzieren.
Es ist dieses ungezielte israelische Töten, das den Frieden mittlerweile ebenso unmöglich gemacht hat wie das ungezielte Töten der Hamas.