Wettbewerbsrecht: Drum prüfe ...

Die EU-Wettbewerbskom-mission zeigt jetzt Härte

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Die Frau kennt keine Tabus. Kein Unternehmen ist ihr zu groß, keine Lobby zu mächtig. Neelie Kroes, 64, Wettbewerbskommissarin der Europäischen Union, wirkt nur auf den ersten Blick wie die nette Dame von nebenan. Doch wenn es um die Rechte der Verbraucher geht, kennt Kroes kein Pardon. „Ich bin der beste Anwalt der Konsumenten“, sagt Kroes von sich selbst. Als solche ist sie penibel darauf bedacht, dass der Wettbewerb auf dem europäischen Markt funktioniert. Sei es, dass sie mit empfindlichen Geldstrafen gegen Konzerne vorgeht, die ihre Marktmacht missbrauchen, illegale Preisabsprachen zu unterbinden sucht oder anstehende Fusionen und Übernahmen mit Argusaugen überwacht.

Jüngstes Exempel: die Energiewirtschaft. Ende Februar 2006 wurden fast zeitgleich zwei große Deals ruchbar: Der deutsche E.ON-Konzern möchte den spanischen Versorger Endesa übernehmen, die beiden französischen Unternehmen Gaz de France und Suez wollen fusionieren. Mit dem französischen Zusammenschluss entstünde der zweitgrößte Energiekonzern Europas mit einem Gesamtumsatz von mehr als 70 Milliarden Euro. E.ON wiederum würde durch den Einstieg bei Endesa auf ein jährliches Umsatzvolumen von 65 Milliarden Euro kommen. Dimensionen, die naturgemäß das Interesse von Wettbewerbshüterin Kroes wecken. „Wir werden jede Übernahme und Fusion penibel prüfen und nötigenfalls Zugeständnisse einfordern“, betont sie. Darüber hinaus hat die gebürtige Niederländerin jüngst eine Art Sonderprüfung des gesamten Energiesektors eingeleitet: „Die Marktkonzentration ist zu hoch, die Preismechanismen funktionieren nicht ausreichend.“

Berge von Akten. Die Anmeldung der beiden aktuellen Energie-Causen wird in den nächsten Wochen bei der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission eingehen. Damit stehen bereits 29 Fälle aus dem Jahr 2006 auf Kroes’ Agenda, darunter die Übernahme der amerikanischen Pixar-Trickfilmstudios durch den Disney-Konzern, der Kauf des britischen Glasherstellers Pilkington durch den japanischen Konkurrenten Nippon Sheet Glass und der Erwerb der russischen Impexbank durch die österreichische Raiffeisen-Gruppe.

Es dürfte ein anstrengendes Jahr 2006 werden. Internationale Beratungsunternehmen wie Roland Berger und KPMG rechnen damit, dass die Zahl der weltweiten Fusionen und Übernahmen heuer deutlich steigen wird. Dabei waren schon die Zahlen für 2005 mehr als bloß beachtlich: 25.000 Zusammenschlüsse mit einem Gesamtvolumen von 1800 Milliarden Euro wollen die Berater für diesen Zeitraum erhoben haben. Und es waren zuletzt einige klingende Namen, die da auf der Watchlist aufschienen: die Übernahme des Skiherstellers Salomon durch den finnischen Atomic-Mutterkonzern Amer; der Kauf des Sportartikelerzeugers Reebok durch Adidas und der Einstieg des in Österreich ansässigen Wettanbieters Betandwin beim schwedischen Online-Pokerbetreiber Ongame.

Langer Arm. Es sind längst nicht mehr nur Fälle, an denen zumindest ein rein europäisches Unternehmen beteiligt ist, die Brüssel behandelt – und mitunter sogar verhindert. Als der US-Mischkonzern General Electric im Jahr 2001 den Flugzeugzulieferer Honeywell schlucken wollte, schaltete sich auch die EU-Wettbewerbskommission ein. Nach eingehender Prüfung kam diese – noch unter der Leitung von Kroes’ Vorgänger Mario Monti – zur Ansicht, der Deal könnte eine zu große Machtkonzentration zur Folge haben. Obwohl die US-Behörden den Einstieg bereits goutiert hatten, erhob Brüssel ein Veto: Das Geschäft musste unterbleiben.

Umgekehrt sieht sich die EU-Kommission offenbar auch immer öfter veranlasst, in nationale Belange einzugreifen. Das bekamen auch österreichische Unternehmen immer wieder zu spüren. Als sich der österreichische Handynetzbetreiber T-Mobile im Sommer vergangenen Jahres anschickte, den Mitbewerber tele.ring zu übernehmen, war rasch klar, dass dies ein Fall für die Kartellbehörden sein würde. Aufgrund der Größe der beiden Unternehmen (siehe Kasten), vor allem aber auch jener des T-Mobile-Mutterkonzerns Deutsche Telekom, ging der Akt nach Brüssel. Und was T-Mobile-Chef Georg Pölzl zunächst als Spaziergang betrachtete, erwies sich letztlich als Spießrutenlauf: Bereits in der ersten Prüfung wurden erhebliche Auflagen erteilt, mittlerweile ist die Angelegenheit in das Stadium einer vertieften Prüfung übergegangen.

Kampf gegen die Zeit. Die daraus resultierende Verzögerung brachte Pölzl letztlich ziemlich in die Bredouille. Seit 28. Februar gilt eine im Kaufvertrag festgeschriebene Rücktrittsklausel. Zuletzt gab es ernste Anzeichen dafür, dass der Verkäufer, der amerikanische Alltel-Konzern, von dieser Gebrauch machen könnte (profil 9/06). Vergangene Woche willigte Alltel schließlich ein, diese Kaufvereinbarung bis 15. Mai auszudehnen. Doch bis heute sind Pölzls Zugeständnisse der EU-Kommissarin zu wenig. Sie fürchtet, die Tarife könnten steigen, wenn der Preisbrecher tele.ring vom Markt verschwindet. Kroes: „Es reicht mir einfach nicht, wenn die mir sagen, es wird sich schon ein anderer finden, der diese Rolle übernimmt.“

Mehr Fingerspitzengefühl bewies der Siemens-Konzern bei der Übernahme der VA Technologie AG. Der Deal wurde bereits Anfang 2005 fixiert. Um Brüssel gütlich zu stimmen, bot Siemens von sich aus den Verkauf des Kraftwerkskomponentenbauers VA Tech Hydro an. Mitte Juli genehmigte die EU den Deal unter dieser Bedingung – vor wenigen Wochen wurde Hydro an den Andritz-Konzern weiterverkauft. Die Übernahme ist damit rechtens.

Was die einen vielleicht als überzogene Einmischung in nationale Belange ansehen, scheint aber durchaus seine Daseinsberechtigung zu haben. Vor allem in der jüngeren Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass europäische Regierungschefs trotz Bekenntnis zum freien Wettbewerb nationalstaatliche Interessen vorangestellt haben. Vor allem in sensiblen Bereichen wie der Energieversorgung: So hatte sich beispielsweise das deutsche Wirtschaftsministerium im Jahr 2002 mit einer so genannten Ministererlaubnis über das abschlägige Urteil der Kartellbehörden hinweggesetzt und die Fusion von E.ON und Ruhrgas genehmigt. In dieser Causa waren der EU-Kommission die Hände gebunden, da beide Unternehmen mehr als zwei Drittel ihres Umsatzes in Deutschland erwirtschafteten und damit ein Fall für die nationalen Behörden waren.

Protektionismus. Mit Präventivmaßnahmen versuchen derzeit die Regierungen von Spanien und Frankreich einer feindlichen Übernahme ihrer Energieversorger entgegenzutreten. Spanien hat unmittelbar nach Bekanntwerden des E.ON-Interesses mehrere Gesetzesänderungen beschlossen, um den Endesa-Kauf zu blockieren. Die Franzosen arbeiten ihrerseits aktiv an der Fusion von Gaz de France und Suez mit, um den italienischen Interessenten Enel abzuwehren. „Die EU wird sich sicher anstrengen müssen, um diese neue Form der Kirchturmpolitik einzudämmen“, sagt der auf Wettbewerbsrecht spezialisierte Anwalt Norbert Gugerbauer.

Ein waches Auge auf Fusionen und Übernahmen zu haben ist eine Sache. Oft reichen aber die bestehenden Machtverhältnisse bereits aus, um Missbrauch Tür und Tor zu öffnen. Prominentestes Beispiel: der Softwarehersteller Microsoft. Fast sieben Jahre währt die Auseinandersetzung der EU-Wettbewerbskommission mit dem Konzern bereits. Microsoft, so die Ansicht Brüssels, verfüge über eine marktbeherrschende Stellung und missbrauche diese, um Mitbewerber aus dem Geschäft zu drängen. Lange Zeit kümmerte sich Unternehmensgründer und Präsident Bill Gates wenig um die Einwände der EU. Vor zwei Jahren schließlich verdonnerte die Kommission den Konzern zu einer Geldstrafe von 497 Millionen Euro. Bezahlt hat Microsoft bis heute nicht. Und auch die Umsetzung der Auflagen ist aus Sicht der EU nur unzureichend erfolgt. Eine neuerliche Frist dafür ließen die Amerikaner kürzlich ungenützt verstreichen. Worauf Neelie Kroes dem Unternehmen eine Strafe von zwei Millionen Euro für jeden weiteren Tag bis zur Erfüllung ihrer Forderungen androhte.

Härtere Gangart. Auch gegen einige groß angelegte Preiskartelle schritt die EU bereits zur Tat: Im Jahr 2001 wurden acht Hersteller von Vitaminpräparaten, darunter Hoffmann-La Roche und BASF, zu einer Geldstrafe von insgesamt 855 Millionen Euro verurteilt. Im selben Jahr wurde ein Dutzend österreichischer Banken wegen illegaler Absprachen zu 125 Millionen Euro Strafe verurteilt. Die Absprache einiger Papierkonzerne kostete diese insgesamt 313,7 Millionen Euro – und ähnliche Vorgänge in der Gipsplattenindustrie mündeten in einer Bußzahlung von 478 Millionen Euro.

Die Ausweitung der Aktivitäten auf globale und nationale Angelegenheiten hat naturgemäß auch in der Statistik ihren Niederschlag gefunden. 2005 etwa wurden von der Wettbewerbskommission 313 angemeldete Fusionen und Übernahmen geprüft, ein Viertel mehr als im Jahr davor. Allzu viel einzuwenden hatte die Kommission allerdings nicht: Kein einziger Antrag wurde abgelehnt, und nur in insgesamt 18 Fällen wurden Auflagen erteilt.

Das mag vielleicht auch daran liegen, dass mögliche Bedenken oftmals schon im Vorfeld ausgeräumt werden. Wie Siemens bei der VA-Tech-Übernahme haben zuletzt immer mehr Unternehmen vorweg massive Zugeständnisse gemacht: Als die italienische UniCredit im Vorjahr die HypoVereinsbank übernahm, verständigten sich die beiden Kreditinstitute gleich vorweg mit der kroatischen Aufsicht darauf, eine Tochtergesellschaft abzugeben. Der Amer-Konzern sagte beim Kauf von Salomon zu, im Gegenzug die Kooperation der neuen Tochter mit dem Hersteller Fischer zu beenden. Der Schweizer Pharmakonzern Novartis trennte sich im Vorjahr nach der Übernahme des deutschen Generikaherstellers Hexal bereitwillig in einigen Ländern von bestimmten Produktsparten.

Es gibt aber auch andere Interpretationsansätze für die geringe Zahl an Einwänden. „Dass so wenig beanstandet wird, liegt eher daran, dass die Kommission anscheinend doch der Mut verlässt, wenn es heikel wird“, vermutet Helmut Gahleitner, Wirtschaftsreferent der Wiener Arbeiterkammer. „Gerade bei wirklich großen Playern werden die heißen Eisen nicht angefasst.“ Sei es, weil die Unternehmen im Fall von Untersagung oder Auflagen mit dem Abbau von Arbeitsplätzen drohen, oder aber auch, weil nicht selten eine mächtige Lobby dahintersteht.

Doch Neelie Kroes wischt solche Bedenken entschieden vom Tisch: „Wir orientieren uns nur an Argumenten, nicht am Einfluss irgendwelcher Lobbyisten.“

Von Martin Himmelbauer und Josef Redl