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Wiener Volkstheater braucht eine starke neue Handschrift

Bühne. Das Wiener Volkstheater braucht eine starke neue Handschrift

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Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Fragt man Berliner, Hamburger oder Münchner Theaterfreunde, wie sie zum Wiener Volkstheater stehen, wird man auf nichts als Achselzucken stoßen. Internationale Strahlkraft hat das Haus unter Michael Schottenberg nicht entwickelt, was allerdings nur bedingt die Schuld seines Direktors ist. Seit 2005 leitet Schottenberg mit dem fast 1000 Sitzplätze fassenden und chronisch unterdotierten Volkstheater zweifellos die schwierigste Bühne der Stadt. Er muss sein Theater allabendlich füllen, will er nicht ins Minus sinken, für gewagte Experimente ist auf einer derart großen Bühne aber kaum Platz. Als Chef des Volkstheaters steht man zwangsläufig mit dem Rücken zur Wand: Mit 11,7 Millionen Euro Subvention kann man keine großen Sprünge machen. Theater in vergleichbarer Größe bekommen in Deutschland gut sieben Millionen mehr an Förderung.

„Wie auswendig gelernt”
Es wäre aber verfehlt, alle Probleme auf die Finanzen zu schieben. Herbert Föttinger fährt in der Josefstadt eine effiziente Gegenstrategie. Ästhetisch betrachtet ist die Bilanz aus wirklich geglückten Inszenierungen in der Josefstadt sicher auch nicht besser als im Volkstheater. Aber Föttinger kämpft um sein Haus wie ein Löwe. Auch wenn nicht jede Inszenierung so innovativ ist, wie das der Josefstadt-Prinzipal der Öffentlichkeit gerne weismachen würde, muss man doch anerkennen, dass sich sein Theater auf einem konsequenten, wenn auch steinigen Weg der Erneuerung befindet. Der ungleich schüchternere Michael Schottenberg wirkt im Vergleich dazu oft wie ein Dramaturg, der sein erstes Interview gibt. Aus seinem Mund klingt alles wie auswendig gelernt. Man wird den Eindruck nicht los, dass er selbst nicht so genau weiß, wo die Stärken und Schwächen seines Hauses überhaupt liegen. Michael Schottenberg ist der unsichtbarste Theaterdirektor der Stadt. Seine einzige Vision scheint es zu sein, mit den Zuschauerzahlen nicht ins Bodenlose zu sinken - und sei es mit dem Zugpferd Boulevard. Das ist langfristig leider zu wenig.

Das „niederschwelligste Stadttheater Wiens”
Nun wird eine neue Intendanz für das Volkstheater gesucht, die mit der Spielzeit 2015/16 antreten soll. Das Haus steht mit dieser Ausschreibung vor genau denselben Problemen wie vor dem Antritt Schottenbergs: Das Budget ist schlichtweg zu gering, um eine Figur von internationalem Renommee für diese Aufgabe begeistern zu können. Das Theater ist aber auch zu groß, um einem Quereinsteiger, der noch nie an einem Stadttheater in leitender oder planender Funktion gearbeitet hat, eine Chance zu geben. Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny erklärt die Aufgaben des Hauses so: Das Volkstheater solle das "niederschwelligste Stadttheater Wiens“ werden, es müsse die "gesellschaftliche Realität der Stadt widerspiegeln“. Und wie man hört, will der Kulturstadtrat Schottenbergs Nachfolge noch diesen Oktober geregelt haben. Eine substanzielle Erhöhung des Budgets wird nicht in Aussicht gestellt, die Anzahl der Vorstellungen soll gleich und auch das Theater in den Bezirken erhalten bleiben.

Mut zur Veränderung?
Mit dieser Ausschreibung stellt sich natürlich die Frage: Wie viel Mut zur Veränderung hat man eigentlich? Ist man wirklich offen für neue Konzepte? Denkbar langweilige Lösungen ergäben sich, wenn man die Richtungen bestehender Häuser einfach auf die Volkstheater-Struktur umlegte: eine Garage X im XL-Format, ein Schauspielhaus extended oder einen Rabenhof deluxe. Öd wäre aber auch, was die Grünen gegenwärtig so gern tun: bloß auf die Postmigranten-Theaterkarte zu setzen. Das Volkstheater braucht vielmehr eine ausgeklügelte Dramaturgie, die vieles bedient: neue Stücke, zeitgemäßes Entertainment, Gastspiele und Wien-Projekte. Wenig überzeugend wäre es auch, die Ewig-Kandidatin Andrea Eckert erneut ins Spiel zu bringen, steht sie wahrlich nicht für jene Erneuerung, die das Haus dringend braucht.

Es gibt zwei Möglichkeiten:
Entweder man riskiert etwas, oder man setzt auf Erfahrung. In Sachen Risiko wäre der deutsche Intendant Matthias Lilienthal der richtige Mann. Er machte ohne viel Budget das Berliner HAU zu einer Trademark. Ihm würde man zutrauen, dass er den schwammigen Begriff des "Volkstheaters“ radikal neu definierte und junges Publikum ans Haus brächte. Natürlich könnte auch er an dieser Aufgabe scheitern, denn das Volkstheater ist zu groß, um mit Performance-Skizzen bespielt werden zu können. Aber immerhin hätte man dann etwas gewagt.

Eine nicht weniger verlockende Variante wäre, sich in der zweiten Reihe umzusehen. Es gibt zahlreiche Dramaturgen, die an größeren Häusern Erfahrungen sammeln konnten und bereit wären für den nächsten Schritt. Sie hätten zudem einen unvoreingenommenen Blick auf die Stadt, könnten eine Außenperspektive einbringen. Die deutsche Dramaturgin Rita Thiele etwa, unter Claus Peymann am Burgtheater für Jelinek-Uraufführungen und Einar-Schleef-Produktionen zuständig, hatte wesentlichen Anteil an Karin Beiers Erfolg am Kölner Schauspielhaus, das 2010 und 2011 vom Fachblatt "Theater heute“ zur Bühne des Jahres gewählt wurde.

Wie auch immer sich Wiens Kulturpolitik also entscheidet: Die Zeit wäre reif, das Volkstheater aus seiner Boulevard-Ecke zu holen und zu einem Haus zu machen, auf das - wenigstens hin und wieder - auch deutsche Kollegen neidisch ihre Blicke werfen.