Wirtschaftsethik

Wirtschaftsethik: Macht der Verantwortung

Macht der Verantwortung

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Auf den ersten Blick könnte man meinen, einen Auszug aus dem Angebot eines Wellness-Zentrums zu studieren: Trainingseinheiten zum Thema „Körpergerechtes Arbeiten“ finden sich darin ebenso wie die Initiative „Lehrling in Bewegung“ oder ein Gesundheitsförderungskonzept namens VITA!. Tatsächlich stammen die Programme jedoch von einem der prominentesten Wirtschaftsunternehmen Österreichs – dem Linzer Stahlkonzern VoestAlpine.

Die Schwerpunkte sind Teil der konzerninternen Strategie im Bereich Cor-porate Social Responsibility (CSR) – jener Aktivitäten, mit denen Unternehmen ihre Sensibilität gegenüber Mitarbeitern, Umwelt und Gesellschaft dokumentieren wollen. Ethisches Handeln und ökonomischer Erfolg – so sollen CSR-Projekte belegen – können in Einklang gebracht werden. Ins Zentrum des Interesses rücken neben den Shareholdern die „Stakeholder“ – all jene, die im weitesten Sinne von den Tätig-keiten eines Unternehmens betroffen sein können: Konsumenten ebenso wie An-rainer und Mitarbeiter eines Industrie-betriebes.

Viele der CSR-Initiativen bei VoestAlpine zielen auf die Mitarbeiter ab. So sind in die Projekte Sportwissenschafter und Physiotherapeuten eingebunden, die Betriebsküche von VITA! wurde im Vorjahr mit dem Gesundheitspreis der Stadt Linz ausgezeichnet, Lauftrainer Ulrich Strunz motivierte in elf Seminaren rund 5000 Mitarbeiter zum organisierten Joggen, und selbst kostenlose Raucherentwöhnungsseminare werden angeboten – 60 Prozent der Belegschaft sind inzwischen angeblich Nichtraucher. Die Initiative SUN (Sicher, Unfallfrei, Nüchtern) führte nach Angaben des Unternehmens zu einem Rückgang des Alkoholkonsums am Standort Linz um 83 Prozent, was freilich den Schluss nahe legt, dass der Genuss alkoholhältiger Getränke vormals ein nicht ganz vernachlässigbares Problem dargestellt haben muss.

„Den größten Nutzen von CSR sehen die Unternehmer bei einer erhöhten Einsatzbereitschaft und Motivation der Mitarbeiter“, konstatiert Wilhelm Autischer vom Austrian Business Council for Sustainable Development (ABCSD). In der Folge dürften Unternehmen durchaus mit „gesteigertem öffentlichem Ansehen und einer verbesserten Kundentreue“ kalkulieren. „Nachhaltigkeit rechnet sich“, formulieren Michael Paula und Hans-Günther Schwarz, Manager der Programmschiene „Fabrik der Zukunft“ des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie. „Die Frage ist, wie man Mitarbeiter einbeziehen und sie dafür begeistern kann.“

Preis des Erfolgs. Kaum ein großer Betrieb, der auf sich hält, verzichtet zurzeit auf die Kommunikation entsprechender Aktivitäten. Wer ewa auf die Homepage des Mineralölkonzerns OMV klickt, findet gleich an zweiter Stelle im Unternehmensprofil das Stichwort „Corporate Responsibility“. Der Web-Auftritt der Telekom Austria präsentiert den „Nachhaltigkeitsbericht 2002“ ebenfalls an prominenter Stelle. Die Österreichische Bundesforste AG wirbt mit dem Slogan „Verantwortung für das Naturland Österreich“. Und Siemens Österreich überweist im Rahmen seiner Aktivitäten zum Thema „Corporate Citizenship“ jährlich 70.000 Euro an das so genannte „Bienenhaus“ der SOS-Kinderdörfer und unterstützt die Ausbildung von gehörlosen Lehrlingen und Sehbehinderten. „Wir helfen beim Helfen“, sagt Siemens-Sprecher Gerhard Oberlik.

„Anleger und Bürger wollen wissen, zu welchem Preis ein Unternehmen Erfolg hat“, glaubt Lutz Cleemann, Leiter des Allianz-Zentrums für Technik. Waren bisher Kosten, Qualität und Nutzen meist alleinige Entscheidungskriterien der Konsumenten, so würden zusehends die Bedingungen, unter denen ein Produkt hergestellt wird, in Kaufentscheidungen einbezogen.

Auch „Bilanzskandale und das Platzen der Börsenblase haben das Vertrauen in die Wirtschaft nicht gerade gefördert“, meinte im September Peter Mitterbauer, Präsident der Industriellenvereinigung, bei einer Veranstaltung, bei der die Erarbeitung eines österreichischen CSR-Leitbildes bis Jahresende angekündigt wurde. Zudem begannen die Debatten um soziale Verantwortlichkeit nicht zuletzt deshalb, weil sich bekannte Marken wie Nike, Gucci oder H&M Vorwürfen ausgesetzt sahen, mitunter ihre Produkte unter fragwürdigen Umständen herzustellen – etwa mittels Kinderarbeit in Ländern wie Indien.

Heute beteuert H&M, dass sämtliche Lieferanten strengstens überwacht würden und Kinderarbeit ausnahmslos untersagt sei. Zudem will der Bekleidungshändler globales Engagement zeigen – sei es im Kampf gegen Drogen oder im Rahmen des so genannten WaterAid-Projekts. Nestlé wiederum entwickelte das brasilianische Erziehungsprojekt „Programa Nutrir“. In Malaysia startete Nestlé eine Ernährungs-Aufklärungskampagne, und in Afrika sponsert man Aids-Präventionsprogramme für Jugendliche. Novartis will durch das Programm „Make a wish“ schwerkranken Kindern Herzenswünsche erfüllen, und Starbucks bietet in seinen Coffeeshops Fair-Trade-Kaffee an.

Wettbewerbsvorteil. Geht es nach den Apologeten solcher CSR-Programme, sollen all die Konzepte freilich mehr bringen als nur das Image, soziale und ökologische Missstände nicht zu tolerieren. Vielmehr sollen die Strategien geeignet sein, Wettbewerbsvorteile zu bewirken – und damit wirtschaftlichen Erfolg zu steigern. So kam eine im vergangenen April präsentierte Studie des britischen Institute of Business Ethics nach Messung mehrerer finanzieller Indikatoren bei zahlreichen Unternehmen zum Ergebnis, dass CSR praktizierende Unternehmen ökonomisch tendenziell erfolgreicher seien als Betriebe, die keinen Verhaltenskodex implementiert haben.

„Natürlich denken wir wirtschaftlich“, sagt Michaela Reeh, CSR-Managerin der OMV. „CSR wird bei uns als Investment gesehen.“ Ein gesichertes „Regulierungsumfeld“, ebenfalls in einem solchen Code of Conduct festgeschrieben, liege im Eigeninteresse – womit die Bemühung gemeint ist, danach zu trachten, beispielsweise in Afrika sukzessive annähernd ähnliche Produktionsbedingungen zu schaffen wie in Niederösterreich. „Uns geht es darum“, so Reeh, „die Länder, in denen wir vertreten sind, auf einen Nenner zu bringen.“ Der Zweck sei Transparenz – intern wie extern. „Partner und Lieferanten kennen unsere ethischen Standards. So gilt Kinderarbeit bei uns und unseren Partnern als inakzeptabel und wird sanktioniert.“ Darüber hinaus gebe es Aktivitäten wie „Think Ahead“. Unter diesem Titel initiierte die OMV ein konzernweites Programm zur Verbesserung der Arbeitssicherheit.

„Unser nachhaltiges Agieren schlägt sich auch in den Bewertungen unserer Aktie nieder“, ist auch Alois Schrems, CSR-Experte der Telekom Austria, überzeugt. „Das heißt, wir steigern damit auch unseren Aktienkurs.“ Seit 2001 ist die Telekom – wie auch die Energiekonzerne EVN und Verbund – im FTSE4Good-Index vertreten, der Unternehmen listet, die sozial verantwortlich agieren. In Deutschland oder der Schweiz, berichtet Schrems, gebe es sogar „ethische Normen bei der Einrichtung von Pensionsfonds, sodass diese zu Kriterien für die Aufnahme eines Unternehmens wurden“.

Auch der Dow Jones Sustainability Index (DJSI) nimmt ausschließlich Unternehmen auf, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung erwiesenermaßen bewusst sind. Im DJSI sind derzeit 300 Unternehmen gelistet, sieben britische liegen dabei an der Spitze – darunter Marks& Spencer, BP und British Telecom. Dagegen belegen nur vier amerikanische Unternehmen gute Positionen im DJSI-Ranking: Procter&Gamble, Intel, 3M und DuPont. Freilich finden jedes Jahr auch Streichungen statt, wenn Schlüsselkriterien von einzelnen Unternehmen nicht mehr erfüllt werden. Dieses Jahr wurden DaimlerChrysler, Heidelberger Druckmaschinen und die Linde AG aus dem Index gestrichen. Die BASF-Aktie hingegen hält sich seit drei Jahren im DJSI.

Investitionsbereitschaft. Das grundsätzliche Bekenntnis zu CSR scheint allerdings noch nicht zwingend zu bedeuten, dass Unternehmen auch zu entsprechenden Investitionen bereit sind. So kam eine Studie des amerikanischen Investor Responsibility Research Center (IRRC) zu dem Ergebnis, dass bei den 20 größten Industrieunternehmen der Welt soziale Verantwortung zwar ein Diskussionsthema sei, dafür aber kaum Geld ausgegeben werde.

Die österreichischen CSR-Standards versuchte jüngst eine Erhebung von CSR-Austria, einer Initiative von Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und Wirtschaftsministerium, zu ermitteln. Lediglich elf Prozent der heimischen Unternehmen sahen dabei keinen Spielraum für soziale Verantwortung. 89 Prozent der befragten Unternehmen gaben dagegen an, dass der gegenwärtige wirtschaftliche Wettbewerb kein Hindernis für ein stärkeres Engagement in Sachen soziale Verantwortung sei. „Solche Maßnahmen haben in Österreich heute sicherlich eine höhere Akzeptanz als vor zehn Jahren“, glaubt Stephan Schwarzer, Umweltexperte der Wirtschaftskammer Österreich. „Wenn man sich die Unternehmenswelt ansieht, merkt man rasch, dass CSR keine Modewelle ist, sondern die strategischen Ziele eines Unternehmens betrifft.“ Freilich gibt es auch kritische Stimmen: „Ohne transparente Überprüfung und Berichtsstrukturen“, meint Eva Angerler von der Gewerkschaft der Privatangestellten, „könnten die freiwilligen Selbstverpflichtungserklärungen unglaubwürdig werden.“

Kriterienkatalog. Zwecks Objektivierung all der Maßnahmen wurde etwa der On-line-Nachhaltigkeits-Kompass Naviko entwickelt, der durch eine Kriterienliste Wirtschaftsprojekte auf ihre CSR-Tauglichkeit überprüft und neben Ökonomie und Ökologie auch Aspekte gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung berücksichtigt.

Einer jener Unternehmer, die sich den Naviko-Kriterien unterwerfen, ist Klaus Kreisel, Geschäftsführer der auf Kfz-Bereifung spezialisierten Johann Leo Kreisel GmbH, die in der Oststeiermark eigenen Angaben zufolge zehn Standorte betreibt. Kreisel initiierte eine Zukunftskonferenz für Stakeholder, aus der schließlich eine Art „Werte-Guide“ entstand, der die Unternehmenskultur transparent macht. Die einst streng hierarchischen Strukturen habe er durch eine partizipative Unternehmensführung ersetzt, berichtet Kreisel. So wurden die Filialleiter in Besprechungen eingebunden und zur aktiven Teilnahme an Strategiesitzungen eingeladen. Folge dieser Maßnahme sind laut Kreisel engagiertere und besser informierte Mitarbeiter. „Jeder hat Verantwortung zu übernehmen“, doziert Kreisel.

Verantwortlich gegenüber Mitmensch und Kunden fühlt sich auch der steirische Fleischwarenhersteller Karl Schirnhofer. Nicht zuletzt aufgrund der Fleischskandale der jüngeren Vergangenheit entschloss er sich, ein Qualitätssicherungssystem zu etablieren. Nun sind Bauern, Tierärzte und Futtermittellieferanten in ein regionales Netzwerk eingebunden, wobei jeder Schritt bei Tierhaltung, medikamentöser Behandlung und Futterlieferung penibel erfasst und nach mehr als 70 Kriterien geprüft wird – von unternehmenseigenen Betreuern und externen Beratern. Wer nicht entspricht, fliegt aus dem Programm. Kein leichtes Unterfangen, berichtet Schirnhofer: „Kontrolle will keiner, weder Bauern noch Tierärzte oder Futtermittelhersteller.“

Dennoch glaubt er an seine Mission. Er zwängt die Bauern in ein enges Korsett, bezahlt ihnen aber auch um rund 15 Prozent mehr als ortsüblich: „Wir arbeiten an der gesunden Landwirtschaft der Zukunft. Wirtschaftlich gesund für den Bauern, ernährungsmäßig gesund für den Konsumenten.“ Weitere Projekte wie die „Kräuterschweine“ laufen bereits an. Das reine Kräuterfutter sei zwar teurer, dafür reduziere sich der Einsatz von Medikamenten. Schirnhofer: „Unser Ziel ist eine Schweinewirtschaft ohne Medikamente.“

Andere Unternehmer wie Heide Zeiringer, Geschäftsführerin des Installationsbetriebes Zeiringer GmbH im steirischen Murau, wollen ihre Verantwortung gegen-über Mensch und Umwelt direkt über ihre Produke dokumentieren. So will Zeiringer, die im Vorjahr mit 40 Mitarbeitern drei Millionen Euro umsetzte, bis 2005 in Neubauten keine Ölheizungen mehr installieren. „Wir wollen die Leute davon überzeugen“, so Zeiringer, „dass erneuerbare Energien besser für das Gesamtsystem sind.“

Weil trotz aller Initiativen nach Ansicht von Experten wie Heinz Peter Wallner, Partner der Wiener Nachhaltigkeits-Agentur Wallner & Schauer, noch erheblicher Nachholbedarf besteht, will er im Rahmen von Beratungstätigkeiten helfen, CSR-Strategien zu entwickeln. „Wir unterstützen in Klausuren und Seminaren derzeit 40 Unternehmen dabei, sich auf eine Wirtschaft mit sozialer Verantwortung vorzubereiten“, berichtet Wallner. „Viele Unternehmen entwickeln daraus neue Geschäftsfelder und finden Möglichkeiten, Gewinne zu lukrieren.“