In Beton gegossen

Wohnbau. Warum sich günstiger Wohnraum in Wien verknappt

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Wer weiß noch, wie alles begann? Um auch sozial Schwächeren den Traum vom Eigenheim zu ermöglichen, setzte die US-Regierung kurz nach der Jahrtausendwende die Mindeststandards für Kreditvergaben herab. Unteren Einkommensgruppen wurde der Zugang zu Hypothekarkrediten erleichtert. Eigentum für alle, lautete das Prinzip. So genannte Subprime-Kredite garantierten, dass bei den Schuldnern in den ersten Jahren keine Rückzahlungen anfielen. Die Kredite boomten, die Verschuldung der Privathaushalte wuchs. Die Immobilienpreise stiegen, das Geschäft mit Hypothekarkrediten an den Börsen florierte.

Die Blase platzte 2007.

An den Folgen der Wirtschaftskrise hat auch Europa heute noch zu kauen. Als Vorbild für soziale Wohnungspolitik kann das US-Modell also nicht herhalten.

Dummerweise das österreichische auch nicht. Denn das System der Wohnbauförderung führt sich seit der völligen Aufhebung der Zweckbindung 2008 ad absurdum. Gefördert wird mittlerweile weniger das Wohnen als vielmehr die Kreativität beim Stopfen von Budgetlöchern. Und ob Steuergeld zur Förderung von Eigentum verwendet werden soll, ist angesichts der Budgetlage ohnehin anzuzweifeln. Denn sozial leistbarer Wohnraum, auch in Wien, wird auf absehbare Sicht knapp werden.

Nicht einmal eine Wohnung weitab öffentlicher Verkehrsmittel ist noch zum Schnäppchenpreis zu haben; eine Wohnung nahe einer Straßenbahnlinie oder gar U-Bahn-Station umso weniger. Hier ist es die "Ruhelage“, dort die "günstige Verkehrsanbindung“, für die der Mieter monatlich tief in die Tasche greifen muss. Umziehen in Wien ist nichts für Kleinverdiener.

Die Preise für Neuvermietungen am freien Wohnungsmarkt sind kräftig gestiegen. Für eine 100-Quadratmeter-Wohnung legt man mittlerweile durchschnittlich 950 Euro auf den Tisch - Steuern, Betriebskosten und Energie nicht eingerechnet. Damit wird der gesetzliche Richtwert um mehr als das Doppelte überboten, weil so genannte "Zuschläge für Infrastruktur“ die Kosten hochtreiben.

Wien hat Glück im Unglück. Sechs von zehn Wienern wohnen in Gemeinde- oder Genossenschaftswohnungen. Der im Europavergleich rekordhohe Bestand an kommunalen Wohneinheiten wirkt sich somit dämpfend auf den freien Wohnungsmarkt aus. Laut den vom Wirtschaftsforschungsinstitut erhobenen Daten liegt Wien bei den Mietpreisen auf dem freien Wohnungsmarkt - und hier ist der gesamte Bestand eingerechnet, nicht nur die Neuvermietungen - durchaus günstiger als etwa Vorarlberg, Tirol oder Salzburg, ganz zu schweigen von den Ausgaben für vergleichbare Wohnungen in anderen europäischen Städten.

Dennoch ziehen die Preise österreichweit an. Zwar liegt der Anteil der Wohnungskosten am privaten Konsum hierzulande mit etwas mehr als einem Fünftel noch knapp unter dem EU-Durchschnitt (22,9 Prozent), doch im Vergleich zu den deutschen oder Schweizer Nachbarn stieg dieser Anteil seit 2008 überproportional stark. Wohl auch deshalb, weil die Zahl der geförderten Wohnungen in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist - allein 2010 von 33.000 auf 26.000.

2008, das Krisenjahr, war auch jenes, das in Wien, vorerst unbemerkt, eine Wende eingeleitet hat. Trotz eines Konjunkturpakets, das auch der Baubranche massiv unter die Arme greifen sollte, fuhren die privaten Wohnbauträger ihre Bautätigkeit zurück. Die gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften konnten die Differenz nicht ausgleichen. Auch sie blieben damals hinter den Errichtungszahlen der Vorjahre zurück. Und das trotz verstärkter Nachfrage: Wien ist europaweit die Stadt mit der höchsten Zuwanderung. Um durchschnittlich 10.000 Menschen wächst die Bundeshauptstadt Jahr für Jahr, gleichzeitig steigt die Zahl der Einpersonenhaushalte. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, sollten pro Jahr wenigstens 8000 Wohneinheiten neu errichtet werden. Mit durchschnittlich 6700 jährlich hinkt die Stadt diesem Ziel aber nach - trotz zusätzlich bereitgestellter Mittel. Steigende Grundstückspreise (plus 20 Prozent binnen der letzten fünf Jahre), teureres Baumaterial und komplexe Auflagen treiben die Errichtungskosten in die Höhe. Der durch die Eurokrise ausgelöste Run auf Immobilien als Wertanlage verschärft die Situation: Es werde gekauft, als gäbe es kein Morgen, erzählen Experten. Jene Immobilien, für welche Käufer keinen akuten Eigenbedarf haben, bleiben dem Markt zwar als Mietwohnungen erhalten - allerdings zu hohen Quadratmeterpreisen.

Dabei fließt in Wien jeder Cent der Wohnbauförderung in den Neubau oder die Sanierung; auf die rund 460 Millionen Euro pro Jahr, welche die Bundeshauptstadt vom Bund überwiesen bekommt, legt das Land noch 100 bis 150 Millionen drauf. In anderen Bundesländern werden die Wohnbauförderungsgelder oft unglücklich am Finanzmarkt investiert (Niederösterreich, Kärnten), in die Installierung von Alarmanlagen in Eigenheimen gesteckt (Steiermark) oder verschwinden in dem einen oder anderen Finanzierungsloch des Landesbudgets. Doch die beliebige Verwendung der Wohnbaugelder ist bundespolitisch in Beton gegossen.

Dass die Wohnbauförderung weit an ihrem ursprünglichen Ziel als familien- und sozialpolitische Unterstützung vorbeischießt, steht längst außer Frage: 2,5 Milliarden Euro wurden im Vorjahr österreichweit ausgegeben. Von Treffsicherheit kann aber keine Rede mehr sein, wenn acht von zehn Neubauten im Staat mit Fördergeld errichtet werden.

So ist anzuzweifeln, ob tatsächlich jeder, der in Wien in einer geförderten Wohnung sitzt, "sozial bedürftig“ ist. Dass dies nicht der Fall ist, wird im Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig eingeräumt, doch dies sei politisch gewollt: Getreu dem Prinzip des "Roten Wien“ - auch jedem bürgerlichen Bezirk sein Gemeindebau - soll soziale Durchmischung Gettobildungen verhindern.

Fraglich ist auch, ob die Zuschüsse zum Eigenheim im ländlichen Raum ökologisch und sozialpolitisch vertretbar sind. Die zunehmende Zersiedelung zieht nicht nur Infrastrukturkosten für Gemeinden nach sich, sie fördert auch das Verkehrsaufkommen. Wer im Grünen wohnt, arbeitet in den seltensten Fällen dort. Also schüttet der Staat im Jahr zusätzlich 750 Millionen Euro unter dem Titel Pendlerpauschale aus.

Es ist nicht nur der Widerstand der Länder, der ein Umdenken bei der Wohnbauförderung unwahrscheinlich macht - so könnten die Mittel etwa an den Zuzug geknüpft werden, was den städtischen Wohnungsmarkt entlasten würde, oder aber an strengere Einkommensbestimmungen. Doch zu sehr scheiden sich auch die ideologischen Geister. Die ÖVP will Eigentum fördern. Das schwarz-grün regierte Oberösterreich etwa reformierte erst im Dezember seine Wohnbauförderung und legt seinen Schwerpunkt nun auf die Schaffung von Eigentum. Die SPÖ argumentiert, die eingesetzten Steuergelder sollten Generationen in Form leistbarer Mietwohnungen erhalten bleiben.

Zwei Beispiele der jüngeren Geschichte erhärten diesen Standpunkt: Berlin privatisierte ab 2000 ein Drittel seiner Kommunalwohnungen - mit dem Ergebnis, dass die Mieten deutlich anzogen. Madrid heizte, ähnlich den USA, durch Eigentumsförderung (85 Prozent aller Wohnungen stehen im Eigentum) den Immobilienmarkt an, heute laborieren Banken an faulen Krediten, und Wohnungseigentümer stöhnen unter hohen Schulden.

Internationale Experten sind bei der Meinungsfindung nicht sonderlich hilfreich. Als der Dachverband der gemeinnützigen Wohnbauträger 2008 vor einer Verknappung der Mittel und vor Investitionen ins Eigentum warnte, wurde er mild belächelt. Damals predigte die OECD eine Liberalisierung des Wohnungsmarkts und den Rückzug des Staats. Heute? Empfiehlt die OECD einen ausgewogenen Mix aus Eigentum und Miete.