Zwischen allen Stühlen bei der AUA

Die Aktionäre fühlen sich verraten

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Die Bewältigung eines Passagieraufkommens von 420 Personen dürfte selbst für eine Airline wie die AUA keine nennenswerte Herausforderung darstellen. Es entspricht in etwa der Kapazität von zwei Langstreckenfliegern vom Typ Boeing 767-300. Business as usual also. Mittwoch, 7. Mai 2008, 10 Uhr. 420 Aktionäre der Austrian Airlines AG sind der Einladung des Managements zur 53. ordentlichen Hauptversammlung ins Wiener Austria Center gefolgt. Eigentlich sollen die Anwesenden über den Einstieg von Mohamed Bin Issa Al ­Jaber abstimmen. Der österreichische Investor mit saudischen Wurzeln hat sich am 3. April dazu verpflichtet, im Wege einer Kapitalerhöhung 150 Millionen Euro in die Airline zu investieren und dem „Österreich-Syndikat“ um ÖIAG (42,75 Prozent), Banken (5,84 Prozent) und Wiener Städtische Versicherung (1,41 Prozent) beizutreten.

Nur: Al Jaber ist am 30. April wieder abgesprungen. In einem von profil am 3. Mai exklusiv veröffentlichten Kündigungsschreiben seiner Anwälte bezichtigt der Geschäftsmann AUA-Chef Alfred Ötsch der „bewussten Irreführung“ in Zusammenhang mit dem holprigen AUA-Geschäftsgang im ersten Quartal 2008 (profil 19/08). Obwohl Ötsch und Aufsichtsratspräsident Peter Michaelis an diesem Mittwochvormittag vor den übrigen Aktionären de facto ohne Deal dastehen, arbeiten sie ungerührt die Tagesordnung ab. „Gehen Sie davon aus, dass in den vergangenen Tagen eine Reihe von Gesprächen zwischen Herrn Al Jaber und der ÖIAG stattgefunden haben. Wir sind auf gutem Weg, das Vertrauensverhältnis wiederherzustellen und damit die Basis für die Durchführung der Investition wiederherzustellen“, so Michaelis an die Adresse der verblüfften Aktionäre.

Business as usual? Mitnichten. Die AUA-Hauptversammlung vom 7. Mai wird ohne Zweifel als eines der obskursten Spektakel in die an obskuren Spektakeln nicht arme österreichische Kapitalmarktgeschichte eingehen. Der Vorstand ließ sich eine Kapitalerhöhung genehmigen, ohne überhaupt einen Investor zu haben, der diese zum fixierten Preis von 7,10 Euro je Aktie zeichnen will. Die Zustimmungsquote von 99,4 Prozent täuscht. Da bei Weitem nicht alle Aktionäre gekommen waren, vereinigte das „Österreich-Syndikat“ nicht weniger als 97 Prozent des anwesenden stimmberechtigten Kapitals auf sich (siehe Kasten).
Die Antwort auf eine Schlüsselfrage blieben Ötsch und Michaelis wohlweislich schuldig: Wie soll all das nur gut gehen?

Streithähne. Der AUA-Vorstandsvorsitzende hatte bereits im Vorfeld der Hauptversammlung klargemacht, dass er Al Jaber notfalls auf Einhaltung seiner vertraglichen Verpflichtungen klagen werde. Mit einem Beschluss der Hauptversammlung im Rücken dürfte dies zumindest argumentierbar sein, zumal die AUA darauf beharrt, Al Jaber zu keinem Zeitpunkt in die Irre geführt zu haben. Ein Investor, der kein Investor mehr sein will, soll also mittels Gerichtsbeschluss in ein Syndikat gezwungen werden, dem er nicht mehr angehören will. Auch dafür gibt es keinen Präzedenzfall. Al Jaber wollte dazu bis Redaktionsschluss keinen Kommentar abgeben. Aus seinem Umfeld war jedoch zu vernehmen, er sei „konsterniert“.

Auch aus wirtschaftlicher Sicht bleiben Fragezeichen. Ötsch wollte mit den budgetierten 150 Millionen Euro drei neue Flugzeuge anschaffen, Destinationen in den Nahen Osten erschließen, das Marketing intensivieren und das ausgehöhlte Eigenkapital der Airline stärken – obwohl er wissen muss, dass er die 150 Millionen nur einmal ausgeben kann. Die Summe dürfte gerade einmal ausreichen, um die drohenden Verluste des Gesamtjahres 2008 auszugleichen. Allein im ersten Quartal hat der Konzern unterm Strich 60 Millionen Euro versenkt. Was bleibt, ist ein juristisch fragiler ­Deal zweifelhafter ökonomischer Güte – geschlossen zwischen drei Personen, die einander nicht mehr über den Weg trauen. Da Mohamed Al Jaber, dort Alfred Ötsch – und irgendwie dazwischen Peter Michaelis. Was Al Jaber von Ötsch hält, ist spätes­tens seit 30. April manifest. Wie ausführlich berichtet, wirft der Unternehmer und Hotelier (er betreibt in Wien die Nobelherbergen Hotel Schwarzenberg, The Ring und Grand Hotel) dem AUA-Chef vor, die Situation der AUA bei Vertragsabschluss falsch dargestellt zu haben. In dem profil vorliegenden Anwaltsbrief heißt es unter anderem: „Bei Kenntnis der wahren Wirtschaftslage hätten unsere Mandantinnen (Al Jaber und dessen Unternehmensgruppe, Anm.) den Zeichnungsvorvertrag niemals abgeschlossen“.

Ötsch konterte am 6. Mai via Presseaussendung: „Den Vorwurf der Irreführung weise ich ganz entschieden zurück, er entbehrt jeder Grundlage.“ Al Jabers Ausstieg sei „in keinster Weise nachvollziehbar“. Er, Ötsch, sei auch persönlich „tief enttäuscht“. Schließlich soll der Investor noch am 24. April, also am Tag der Veröffentlichung der desaströsen Quartalsergebnisse, den Wunsch nach einer Ausweitung seines Engagements von 20 auf 24,9 Prozent deponiert haben. Vieles deutet inzwischen darauf hin, dass Al Jabers Sinneswandel auch von anderen Faktoren mitbeeinflusst wurde. Mit einem Privatvermögen von knapp mehr als einer Milliarde Dollar könnte er die AUA an sich im Vorbeigehen aufschnupfen. Dennoch wollte er – wie bei solchen Geschäften durchaus Usance – das Geschäft über Kredite bei Banken, allen voran der Bank Austria, finanzieren lassen. Im Lichte des dramatischen AUA-Kursverfalls der vergangenen Wochen, verschärft durch die Quartalsverluste, dürften die Kreditgeber aber kalte Füße bekommen und bei Al Jaber eine höhere private Beteiligung eingemahnt haben. Die Bank Austria ist nicht nur einer der größten AUA-Kreditgeber, sondern mittelbar auch Teil des „Österreich-Syndikats“. Nach profil-Recherchen sollen die Al-Jaber-Finanzierungen zuletzt sogar die Mailänder Konzernspitze beschäftigt haben. UniCredit-Chef Ales­sandro Profumo weilte am 6. Mai in Wien – und soll sich bei einer Aufsichtsratssitzung mangels ausreichender Sicherheiten explizit gegen ein Engagement seiner Gruppe ausgesprochen haben. Die Bank Austria dementiert das nicht, wollte den Sachverhalt aber nicht kommentieren.

Pikant: Auch bei der US-amerikanischen Citigroup dürfte Al Jaber vorstellig geworden sein – und auch diese soll dem Investment eher distanziert gegenübergestanden haben. Wie es der Zufall will, veröffentlichte die Analyseabteilung der US-Bank am 25. April eine vernichtende AUA-Evaluierung, klassifizierte die AUA-Aktien als „hochriskant“ und empfahl Anlegern, sofort zu verkaufen. Fünf Tage später trat Al Jaber von seinem Vertrag zurück.

Lieblingsfeinde. Peter Michaelis? Hat sich zu all dem, von Beschwichtigungsversuchen einmal abgesehen, öffentlich nicht geäußert. Der ÖIAG-Vorstand steht im Rufe, stets den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Das mag auch erklären, warum er Ötsch in den Verhandlungen mit Al Jaber zunächst weitgehend freie Hand gelassen hatte – obwohl der 62-Jährige von Anfang an Vorbehalte gegen die Transaktion gehabt haben soll. Selbst Michaelis dürfte inzwischen einleuchten, dass die AUA langfristig um eine vertiefte Allianz mit einem strategischen Partner wie etwa der Lufthansa nicht herumkommt. Al Jabers 150-Millionen-Euro-Investment wird weder die hohen Treibstoffpreise noch die Konkurrenz durch Billig­flieger entschärfen.
Und dennoch hat Michaelis dem Treiben tatenlos zugesehen – möglicherweise nicht ohne Genugtuung.

Auch er begegnet Alfred Ötsch mit gesteigertem Argwohn. Und das nicht erst seit einer Woche. profil liegt ein vertraulicher Briefwechsel zwischen AUA-Chef und AUA-Präsident vom Herbst des Vorjahres vor, der tiefe Einblicke in das eigenwillige Innenleben des Konzerns erlaubt. Im September 2007 hatte der Aufsichtsrat beschlossen, den AUA-Vorstand um zwei Personen aufzustocken. Dies war auch deshalb erforderlich geworden, weil Marketing-Vorstand Josef Burger im August nach schweren Meinungsverschiedenheiten mit Ötsch den Hut genommen hatte. Der machtbewusste AUA-Vorstandsvorsitzende hätte zum damaligen Zeitpunkt lieber nur mit dem verbliebenen Vorstandskollegen Thomas Kleibl weitergemacht. Via Rundschreiben an die Belegschaft machte er kein Hehl aus seiner ­Ablehnung gegen den vom Aufsichtsrat präferierten Vierervorstand. Woraufhin Michaelis am 4. Oktober 2007 zur Tat schritt. In einem an Ötsch adressierten Schreiben, das in Kopie an ausgewählte Aufsichtsratsmitglieder erging, hielt er wörtlich fest: „Ich muss Ihnen mitteilen, dass Sie … einerseits Ihrer Aussage im Struktur­ausschuss widersprechen, dass Sie die Entscheidung des Aufsichtsrates mittragen, andererseits werte ich Ihre schriftliche Aussage als illoyale Haltung des CEOs gegenüber einer im Aufsichtsrat getroffenen Entscheidung; ich weise nochmals darauf hin, dass die Ressortverteilung im Vorstand nicht in Ihre Kompetenz fällt.“

Alfred Ötsch antwortete am 9. Oktober: „Das Erheben des Vorwurfes der illoyalen Haltung eines Vorstandsvorsitzenden gegenüber einer Entscheidung des Aufsichtsrates ist nicht unbedenklich. (Duden, Das Fremdwörterbuch, definiert Illoyalität als Respektlosigkeit gegenüber einer Instanz.) … Ohne mich zu präjudizieren, erlaube ich mir zunächst anzuregen, dass Sie … zeit- und formgerecht eine entschuldigende Klarstellung zum Vorwurf meiner beruflichen Illoyalität vornehmen.“ Man stelle sich vor: Der Aufsichtsrats­präsident einer börsennotierten Aktiengesellschaft mit staatlicher Beteiligung unterstellt deren Vorstandsvorsitzenden Treulosigkeit. Und dieser fordert im Gegenzug eine Geste der Unterwerfung ein – der Stolz der österreichischen Luftfahrt, ein Minenfeld.

Sosehr Ötsch und Michaelis später bemüht waren, das Verhältnis zu normalisieren – es blieben Risse, die über die Monate nur noch tiefer wurden. Mitte Jänner verkündete auch Finanzvorstand Thomas Kleibl seine Demission. Seinem Abgang sollen ebenfalls leidenschaftliche interne Auseinandersetzungen vorangegangen sein. Und nun das Desaster mit Investor Al Jaber. Alfred Ötsch wird den bei der Hauptversammlung mehrfach erhobenen Rücktrittsaufforderungen der Kleinaktionäre nicht entsprechen, weil er nach subjektivem Empfinden nichts falsch gemacht hat.
Peter Michaelis muss das auch so sehen, schließlich war er es gewesen, der Ötsch seinerzeit an die Spitze der Austrian Airlines geholt hatte.
Eine Gemeinschaft, wie sie schicksalhafter nicht sein könnte.

Von Michael Nikbakhsh und Josef Redl