Ein Gebäude des Österreichischen Integrationsfonds in Wien

Der Integrationsfonds und die 750.000-Euro-Frage

Im Gerichtsprozess um umstrittene Immobilien-Geschäfte des Österreichischen Integrationsfonds rückten am Freitag Zahlungen von insgesamt 750.000 Euro in den Fokus. Und das nicht ganz einfache Verhältnis zwischen dem Fonds und dem staatlichen Autobahnbetreiber Asfinag.

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Was hat es mit zwei Zahlungen über insgesamt 750.000 Euro auf sich, die der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) im Jahr 2009 durchgeführt hat? Und was ist in der Folge mit dem Geld passiert? Diese Fragen rückten am Freitag ins Zentrum eines seit Sommer 2024 laufenden Groß-Prozesses um umstrittene Immobilien-Deals des ÖIF. Einem Ex-Manager des Fonds und mehreren Mitangeklagten wird vorgeworfen, bei einer Reihe von Geschäften hohe Summen veruntreut zu haben – letztlich zum Schaden der österreichischen Steuerzahler. Alle bestreiten die Vorwürfe, profil berichtete wiederholt.

In einem Gerichtsverfahren, das sich insgesamt um mehr als 13 Millionen Euro dreht, mag ein Betrag von 750.000 Euro auf den ersten Blick fast schon nebensächlich erscheinen. Doch der Eindruck täuscht: Absolut betrachtet ist es viel Geld, in diese Fall noch dazu Geld der öffentlichen Hand. Darüber hinaus erreicht bereits diese Summe rechtlich eine potenziell ausschlaggebende Größenordnung – etwa, wenn es um die Bemessung eines möglichen Strafrahmens geht. Kein Wunder also, dass man es vor Gericht nun ganz genau wissen will.

Zahlungszweck vorgeschoben?

In ihrer Anklage wirft die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) dem früheren ÖIF-Manager vor, die 750.000 Euro im August 2009 „rechtsgrundlos“ ausbezahlt zu haben. Das Geld ging auf ein Konto bei einer Firma, die für den Integrationsfonds als Hausverwalterin im Bereich von Flüchtlingswohnungen agierte. Aus Sicht der WKStA war der offizielle Zahlungszweck – die Sanierung von Wohnungen – jedoch nur vorgeschoben. Tatsächlich sei es darum gegangen, dem mit finanziellen Engpässen kämpfenden Eigentümer der Hausverwaltung – einem Immobilienunternehmer, der auch anderweitig viel mit dem ÖIF zu tun hatte – „dringend benötigte Liquidität“ zu beschaffen.

Die Angeklagten, zu denen auch der Immobilienunternehmer zählt, bestreiten das. Der frühere Geschäftsführer des Integrationsfonds argumentierte schon bisher im Verfahren zusammengefasst, dass das Geld von der Hausverwaltung sehr wohl für den Integrationsfonds verwendet worden sei. Außerdem sei die Zahlung auf ein Treuhandkonto erfolgt – der Fonds also weiterhin rechtlich gesehen Eigentümer des Geldes geblieben.

„Getan, was gesagt wurde“

Am Freitag wurde nun vor Gericht unter anderem eine frühere Buchhaltungs-Mitarbeiterin des Immobilienunternehmers als Zeugin befragt. Ihr wurden Konto-Unterlagen des ÖIF-Treuhandkontos bei der Hausverwaltung vorgehalten, dessen Betreuung damals in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Dem Kontoauszug zufolge gingen die 750.000 Euro ein, dann dürfte jedoch ein Betrag in gleicher Gesamthöhe weiterüberwiesen worden sein. Empfänger: Laut Zeugin ein Sammelkonto zu Objekten, die dem Immobilienunternehmer gehört hätten. Richter Michael Tolstiuk wollte wissen, ob diese Objekte etwas mit dem ÖIF zu tun gehabt hätten. Das verneinte die Zeugin. Sei der Vorgang für sie damals nicht „nachfragebedürftig“ gewesen, fragte der Richter. „Nein, ich habe einfach getan, was gesagt wurde“, meinte die Zeugin.

Einem bereits im Ermittlungsverfahren beigezogenen Sachverständigen zufolge, dürften für den ÖIF von der Hausverwaltung übrigens Bestätigungen zum Treuhandkonto erstellt worden sein, die einen ganz anderen Betrag enthielten als den tatsächlichen Kontostand. „Wenn man am selben Tag einen Kontostand von 766.000 Euro bekannt gibt, und das Geld ist nicht drauf – geht das?“, wollte der Sachverständige von der Zeugin wissen. Diese verneinte. „Das sehe ich auch so“, meinte der Sachverständige.

„Geld nehmen wie besprochen“

Vom Vertreter der WKStA wurde die frühere Buchhalterin mit einem E-Mail konfrontiert, das ihr damaliger Chef, der angeklagte Unternehmer, im August 2009 kurz vor Erhalt der 750.000 Euro einer anderen Mitarbeiterin geschrieben hatte. Laut Betreff ging es um eine Liste mit „sofort zu begleichenden Rechnungen“. Im Mail hieß es unter anderem: „Wir müssten bereits oder sollten in den nächsten Tagen auf das Treuhandkonto ÖIF einen Eingang von EUR 750.000 haben. Sobald das da ist, mich bitte informieren. Davon wäre auch die Rg von (…) über EUR 80.000 + MWST vom Kto der (…) zu bezahlen. Wir können von diesem Treuhandkonto und (sic!) Geld nehmen wie besprochen.“

Die WKStA geht davon aus, dass die Erwähnte 80.000-Euro-Rechnung, die „davon“ bezahlt werden sollte, von der Firma eines Lobbyisten stammte, der für den Immobilienunternehmer tätig und mit dem damaligen Integrationsfonds-Geschäftsführer eng befreundet war. Der Lobbyist ist in Bezug auf die 750.000 Euro nicht angeklagt, zu anderen umstrittenen Geschäften des ÖIF jedoch schon. Er meldete sich am Freitag in der Gerichtsverhandlung mit Blick auf das E-Mail zu Wort und betonte, er habe zu keinem Zeitpunkt Einblick in das Zahlungswesen des Immobilienunternehmers gehabt. Er habe nicht gewusst, woher Mittel für Zahlungen an ihn stammten und verwies diesbezüglich auch auf Erkenntnisse des Sachverständigen der Staatsanwaltschaft.

Inwieweit der Hauptangeklagte in der Causa – der frühere ÖIF-Geschäftsführer – von den internen Vorgängen bei der Hausverwaltungsfirma Bescheid wusste, wurde am Freitag vor Gericht nicht thematisiert. Die vorgelegten offiziellen Saldenbestätigungen, die von der Hausverwaltung erstellt worden sein sollen, dürften jedenfalls nicht offengelegt haben, dass das Treuhandkonto zumindest zwischenzeitlich leergeräumt war – ganz im Gegenteil.

Auszahlung offengelegt?

Sehr wohl ging die WKStA am Freitag der Frage nach, ob die Auszahlung der 750.000 Euro seinerzeit im Jahresabschluss des Fonds erkennbar war. Karl Hutter, Sektionschef im Innenministerium und früherer Kuratoriumsvorsitzender des ÖIF, hatte nämlich ursprünglich als Zeuge vor Gericht zu Protokoll gegeben, dass man im Kuratorium das sicher diskutiert und hinterfragt hätte, wäre ein derartiger Betrag in der Bilanz des Fonds ausgewiesen gewesen. Er könne sich aber nicht erinnern, dass das jemals diskutiert worden wäre.

Was hier mitschwingt: Der Verdacht, der Ex-Geschäftsführer könnte die Angelegenheit vor dem obersten Entscheidungsgremium des Fonds nicht ausreichend dargestellt haben. Eine langjährige Mitarbeiterin der Finanzabteilung des Integrationsfonds, die am Freitag als Zeugin befragt wurde, hatte ihrerseits jedoch keine Probleme, die 750.000 Euro im Jahresabschluss des Fonds zu finden. „Auf Seite 13 sieht man das“, meinte die Frau, die einen vom Vertreter der WKStA vorgelegten Ausdruck kurz durchgeblättert hatte.

Die Frage der Sanierungspflicht

Eine weitere Grundfrage in Bezug auf die 750.000 Euro, ist, warum der Fonds 2009 überhaupt noch so viel Geld für Wohnungssanierungen zur Seite gelegt haben soll. Schließlich war der Fonds damals gerade dabei, sich aus dem Tätigkeitsbereich der Flüchtlingsunterbringung zurückzuziehen und verkaufte seine eigenen Wohnungen in Bausch und Bogen ab.

In Wien war der Fonds allerdings weiterhin in einige Wohnungen eingemietet, die der staatlichen Autobahn-Firma Asfinag gehörten, und gab diese an Asylwerber als Untermieter weiter. Am Freitag wurde die damals zuständige Asfinag-Mitarbeiterin als Zeugin befragt. Sie schilderte einen offenbar nicht ganz einfachen Verhandlungsprozess mit dem ÖIF. Denn eigentlich habe die Asfinag die damals bestehende Situation beenden wollen. Die Miete, die der ÖIF zahlen musste, sei nämlich niedriger gewesen als die Betriebskosten.

„Jedenfalls einvernehmliche Lösung gewollt“

In Bezug auf vier leerstehende Wohnungen sei man sich mit dem ÖIF rasch einig gewesen, habe das Mietverhältnis beendigen und die Wohnungen abverkaufen können, sagte die Asfinag-Mitarbeiterin aus. Mit Blick auf weitere acht Wohnungen sei damals jedoch keine Einigung gelungen.

Johannes Zink, Anwalt des hauptangeklagten Ex-ÖIF-Geschäftsführers, wollte von der Zeugin wissen, ob es für die Asfinag möglich gewesen wäre, das Mietverhältnis der unbefristet vermieteten acht Wohnungen gegen den Willen des ÖIF zu kündigen. Das rechtliche Risiko für die Asfinag wäre hoch gewesen, meinte die Zeugin. Die Autobahn-Gesellschaft habe „jedenfalls eine einvernehmliche Lösung“ gewollt. Wenn die Mietverhältnisse nicht gegen den Willen des ÖIF beendet werden konnten – weshalb hätte dieser dann einer Auflösung zustimmen sollen, hakte Zink nach. Die Antwort der Zeugin: „Weil er die Sanierungspflichten hatte.“

Demnach hätte es also auch nach dem Verkauf der eigenen ÖIF-Flüchtlingshäuser noch Sanierungsverpflichtungen für den Intergrationsfonds gegeben. Wie hoch diese für die verbliebenen Asfinag-Wohnungen konkret gewesen wären, blieb am Freitag offen. Die Zeugin gab an, die acht Wohnungen nicht von innen gesehen zu haben.

Was die vier leerstehenden ÖIF-Miet-Wohnungen betraf, die von der Asfinag zuvor sehr wohl verkauft werden konnten, schilderte die Zeugin eine – von den Anklagevorwürfen unabhängige, aber dennoch bemerkenswerte – Begebenheit. Eine der Wohnungen sei von jemandem erworben worden, der dort früher selbst gewohnt hatte. „Es war überraschend, dass ein Asylwerber eine der Wohnungen bar bezahlt hat.“

Alles in allem freilich nicht er einzige Geldtransfer, der Fragen aufwirft.

Stefan Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.