Theresia Enzensberger
Literatur

"Auf See" von Theresia Enzensberger: Kein Schiff wird kommen

Der deutschen Autorin Theresia Enzensberger ist mit "Auf See" ein komplexer, abgründiger Zukunftsroman gelungen.

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Apollo hieß das erste Schulungsschiff der amerikanischen Scientology-Sekte, ein elitärer, schwimmender Rückzugsort sollte der Luxusliner laut Gründer L. Ron Hubbard werden, bald aber war von Verletzungen der Menschenrechte bei den Arbeitern an Bord die Rede. Utopien, die sich in Dystopien verwandeln, sind das zentrale Thema im Roman der deutschen Autorin Theresia Enzensberger, 36. In "Auf See" finden sich historische Rückblicke auf reale Utopien - wie eben Scientology -, aber auch eine fiktive Handlung, in der Frauen führende Rollen einnehmen. Die Umwelt ist zerstört, das Zusammenleben aus den Fugen geraten, Naturkatastrophen haben Landstriche verwüstet. Wer das nötige Kleingeld hat, flüchtet in Gated Communities.

Wie die 17-jährige Yada, die auf einer Plattform in der Ostsee mit ihrem Vater lebt - in einem Selbstversorgerprojekt, das zunehmend aus den Fugen gerät. Die verschollene Mutter Helena, an die sich der Teenager nur schemenhaft erinnern kann, war eine charismatische Künstlerin, stets auf der Flucht vor dem Ruhm. Aus einem ihrer Kunstprojekte wurde nämlich bitterer Ernst: Sie hat eine Sekte gegründet und mit ihren Zukunftsprognosen unabsichtlich eine Art Guru aus sich gemacht. Wie sich diese kämpferischen Protagonistinnen aus einengenden Rollenzuschreibungen freischaufeln, gehört ebenso zur Qualität dieses komplexen Romans wie ein raffiniertes Spiel mit Genres. Erschreckenderweise scheint die kaputte Welt, die Enzensberger entwirft, gar nicht weit von uns entfernt zu sein.

Karin   Cerny

Karin Cerny