Zwei dunkel gekleidete Frauen blicken ernst in die Kamera.
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„Baut ein neues Dach drauf!“ Plattform gegen Machtmissbrauch am Theater gegründet

Eine neue Online-Initiative will Impulse gegen Übergriffe und Diskriminierung an deutschsprachigen Bühnen setzen: „Das zeitgemäße Theater“ lädt zur Beteiligung ein.

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Am Theater wird mit Emotionen gehandelt und mit Befindlichkeiten gespielt, man operiert gewissermaßen an den blank liegenden Nerven des Ensembles. Denn Sensibilität und Verletzbarkeit sind Grundbedingungen der Menschendarstellung. In der Probenarbeit wird es unweigerlich physisch, wird mit Macht- und Ohnmachtskonstellationen experimentiert und um Durchsetzung gerungen. Mit Kollisionen ist zu rechnen.

Und damit leider fallweise auch mit Übergriffen. Geschichten von Machtmissbrauch, Einschüchterung und Gewaltanwendung nicht nur auf hiesigen Bühnen kursieren in der Branche, werden hinter vorgehaltener Hand weitererzählt oder finden sich als schwerwiegende Vorwürfe in den Nachrichten wieder. Das Theater als Brutstätte für Selbstherrlichkeit und Autoritarismus ist als Konzept hoffnungslos veraltet, aber leider noch immer nicht aus der Welt. Wie man die Arbeitsbedingungen von Theaterschaffenden konstruktiver gestalten könnte, das will nun eine neue Initiative samt interaktiver Website näher erläutern – und dabei Instrumente zur Verfügung stellen, die ein achtsameres Klima an großen und kleineren Bühnen ermöglichen. „Das zeitgemäße Theater“ ist seit vergangenem Donnerstag, pünktlich zum Theater-Saisonstart, online (daszeitgemaessetheater.at).

Neue Erzählungen

Die Gründerinnen des Vereins sind ein Trio: Als Obfrau fungiert die Organisationsentwicklerin Charlotte Koppenhöfer, die auch im Bereich Systemisches Coaching arbeitet. Die aus Berlin stammende Maskenbildnerin Tine Wesp ist ihre Stellvertreterin, sie kam nach Jobs an der Komischen Oper und anderen Berliner Bühnen 2010 nach Wien, wo sie fast zehn Jahre lang am Theater in der Josefstadt tätig war und seit 2022 am Volkstheater werkt. Die in der Administration der Volksoper arbeitende Juristin und Compliance-Spezialistin Andrea Weidinger komplettiert das leading team. profil befragte Koppenhöfer und Wesp zu den Hintergründen ihrer „Plattform für Verantwortung, Wandel und neue Erzählungen im Theater“. Einen „vorhandenen Bedarf“ nennt Charlotte Koppenhöfer auf die Frage, was zur Gründung ihrer Initiative geführt habe. „Wir haben wahrgenommen, dass es markante Wissenslücken gibt – vor allem über Arbeitsrechte weiß kaum jemand Bescheid. Und es gibt Lücken in der Sichtbarkeit von Positivbeispielen. Also haben wir beschlossen, etwas gegen die fehlende Orientierung zu tun, Unterstützung anzubieten, Impulse zu setzen.“

Über die Jahre seien immer neue Fälle von Grenzüberschreitungen in der Theaterarbeit aufgetaucht, ergänzt Tine Wesp: „Wir haben aber gemerkt, dass es eine Systematik gibt, damit nicht umzugehen. So wollten wir den Versuch angehen, eine Art Wissensdrehscheibe etablieren – sie sollte möglichst niederschwellig sein, damit all jene, die sich betroffen fühlen oder etwas beobachtet haben, sich einfach informieren können.“

Orientierungshilfe

Nun gibt es bereits gut etablierte Institutionen, in denen man Übergriffe im Kulturbereich anzeigen oder sich beraten lassen kann. Die Vertrauensstelle „vera*“ etwa unterstützt Betroffene bei Belästigungs- und Gewalterfahrung in den Bereichen Kunst, Kultur und Sport. Eine neue Beratungsstelle werde und wolle man nicht sein, erklärt Koppenhöfer. Man finde auf der Website „rund um die Uhr alle relevanten Beratungsstellen und Interessensvertretungen für den gesamten deutschsprachigen Raum“. Anders als „vera*“, ein staatlich geschaffener Ort, an dem man Individuen nach Grenzüberschreitungen über mögliche nächste Schritte berät, biete „Das zeitgemäße Theater“ keine direkte Interaktion an. „Wir sind keine Awareness-Profis, haben auch kein Geschäftsmodell, bieten keine Workshops zur Verbesserung des Betriebsklimas an. Wir wollen grob gefasste Orientierungshilfen geben, die für sehr verschiedene Häuser passen könnten.“

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.