Elisabeth Sobotka, Intendantin der Bregenzer Festspiele

Intendantin Elisabeth Sobotka: Stille Größe

Seit 2015 lenkt Elisabeth Sobotka die Geschicke der Bregenzer Festspiele – und balanciert dabei geschickt Massenware und Opernexperimente.

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Die Salzburger Festspiele haben zwar die beinahe unersetzliche Präsidentin Helga Rabl-Stadler, die Ende dieses Sommers nach 26 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird. Aber eine Frau als künstlerisch bestimmende Intendantin wird es dort frühestens 2026 geben, wenn Markus Hinterhäusers Vertrag endet. In dieser Hinsicht sind die Bayreuther und die Bregenzer Festspiele schon weiter. Denn die deutsche Urmutter aller sommerlichen Opernfestivitäten und das qualitativ avancierteste Open-Air-Festival nicht nur Österreichs sind fest in weiblicher Hand. Bayreuth war es von 2008 an sogar doppelt, denn neben der dominanten Katharina Wagner war bis 2015 deren stillere Halbschwester Eva Wagner-Pasquier Co-Direktorin des oberfränkischen Walkürenfelsens. In Bregenz führt Elisabeth Sobotka, 55, seit 2015 das Festspielhaus und die 7000 Menschen fassende Seebühne.

Auf dem See wird Sobotka nächstes Jahr die dort noch nie gezeigte "Madama Butterfly" in der Regie von Andreas Homoki päsentieren-"eine der großen musikalischen Breitwandopern".Angst vor der Diskussion um eine nicht asiatische Hauptdarstellerin hat sie nicht: "Ein wichtiges Thema", seufzt sie, aber vielleicht sei Bregenz dafür nicht unbedingt der geeignete Austragungsort. "Doch auch die Opernbranche wird sich der Diversity-Thematik stellen müssen. Dafür ist die Kunst da. Sie muss keine einfache Lösung, kein Entweder-oder anbieten."

Bis 2024 läuft Sobotkas Bregenzer Vertrag. Als alleinerziehende Mutter eines bald 17-jährigen Sohnes, der aus ihrer Beziehung mit dem Dirigenten Michael Boder stammt, weiß sie Vorarlbergs Naturschönheiten in Pandemiezeiten zu schätzen. Die Frage ist nur: Wird ihr, bei aller Ausgeglichenheit, die große Seebühne als Saisonbetrieb, "wo man als Intendantin wunderbar nah an allen Produktionen dran ist",nicht irgendwann zu eng werden? An jedem großen Opernhaus weltweit hätte Elisabeth Sobotka gute Chancen. Ein schöner Zufall, dass auch an der Berliner Staatsoper der Vertrag des 2018 vom Salzburger Mozarteum hierher gewechselten Matthias Schulz 2024 enden wird. "Kein Thema", sagt die Intendantin. Zumindest offiziell. Jetzt soll erst einmal der Bregenzer Seebühnensommer kommen.

 

Doch die Unterschiede zwischen der gerne auch auf Skandal gebürsteten Urenkelin Richard Wagners und der ruhigen, unauffälligen Wienerin Sobotka sind so gewaltig wie die zwischen Franken und Vorarlberg, Rotem Main und Bodensee. Katharina Wagner war ihr Schicksal anscheinend von Geburt an vorbestimmt, Elisabeth Sobotka hat es sich nachdrücklich und metiersicher erarbeitet. Ab 1992 war sie zehn Jahre lang in den Opernbetriebsbüros von Leipzig und Wien unter den schillernden Intendantenpersönlichkeiten Udo Zimmermann und Ioan Holender als unersetzliche Stütze groß und professionell geworden. An der Berliner Staatsoper, neben dem Generalmusikdirektor Daniel Barenboim und dem Intendanten Peter Mussbach, die einander nie mochten, wusste sie ab 2002 zu vermitteln und gewann an direktorialer Statur.

Als Intendantin agierte Sobotka an der Grazer Oper seit 2009 so besonnen wie innovativ. Und nach den Peinlichkeitsflutwellen, die im Gerangel um die Nachfolge des Bregenz-Chefs David Pountney entstanden, konnte sie das Seebühnen-Festival im Sinn ihres Vorgängers weiterführen und-entwickeln. In Graz, wo sich immerhin die nach Wien zweitgrößte Opernbühne des Landes befindet, zählte sie Stars wie Peter Konwitschny und Stefan Herheim zu ihren Stammregisseuren, Letzterer war gleich 2015 auch im Bregenzer Festspielhaus mit Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" dabei. Und Sobotka kümmerte sich stets um Nachwuchskräfte, ob sie nun sangen oder inszenierten. Und auch wenn die Bregenzer Regiehandschriften in den bisher drei großen Seeproduktionen der Ära Sobotka-2015/16 "Turandot" von Marco Arturo Marelli; 2017/18 "Carmen" von Kasper Holten und 2019/21 "Rigoletto" von Philipp Stölzl-etwas braver als früher sind, mehr auf bildliche Überwältigung denn auf inhaltliche Durchdringung setzten: Elisabeth Sobotka wird weiterhin dafür sorgen, dass Bregenz nicht stehen bleibt. Denn sie ist eine souveräne Teamspielerin, die ihr Ego gut unter Kontrolle hat.

Draußen Masse, innen rare Klasse: Denn auch dem Festspielhaus, das seit 40 Jahren das Tribünenfundament bildet, gilt eine besondere Bregenzer Dramaturgie - mit möglichst ausgefallenen Opern, für die Kenner von weither anreisen, gerne in italienischer Sprache, seien es Belcanto-Seltenheiten oder Verismo-Perlen. Schon zum 70. Bregenz-Geburtstag hatte sich Elisabeth Sobotka mit Franco Faccios "Hamlet" von 1865 ein Geschenk bereitet. Sie hatte nämlich einst ihre Diplomarbeit über diese interessante Shakespeare-Adaption verfasst, für die Arrigo Boito, Librettist der letzten Verdi-Opern, den Text erstellt hat. Und Boito, selbst Komponist, schrieb nicht nur den in den letzten Jahren öfter gespielten "Mefistofele", sondern auch einen "Nero", der erst 1924, sechs Jahre nach Boitos Tod, uraufgeführt werden konnte. Arturo Toscanini, der das Werk als vollendet erachtete, erstellte eine Aufführungsfassung des Vierakters. Der fünfte Teil blieb, ähnlich wie beim dritten Akt von Schönbergs "Moses und Aron", unkomponiert. Zuletzt wurde dieser Riesenschinken ohne Arien und längere Melodien 1988 in Bielefeld gespielt.

Elisabeth Sobotka kann wunderbar stur sein: Sie glaubt fest an das "verrückte Werk ohne jegliche Zuschreibung, das ich schon lange im Auge habe und endlich auf einer Bühne sehen will. Auch mein, Hamlet'-Team, der Regisseur Olivier Tambosi und der Dirigent Dirk Kaftan, findet diese hypertrophe Partitur großartig, aber auch wahnsinnig. Boito konnte das wohl gar nicht fertigstellen: ein Opernmonster, das einem Psychopathen wie Kaiser Nero irgendwie historische Gerechtigkeit widerfahren lassen möchte. Wie soll das gehen?"


Und das braucht es gerade jetzt. 2019 hatte man in Bregenz 250.000 Zuschauer in 80 Veranstaltungen, wobei allein rund 180.000 Besucher den "Rigoletto" als schrill-bunten Totentanz um den gigantischen Kopf eines Zirkusclowns auf der Seebühne verfolgt haben. Die Auslastung für die 27 Vorstellungen lag bei 100 Prozent. Salzburg konnte im selben Jahr 270.000 Besucher begrüßen. Weit liegen die beiden größten Sommerfestspiele Österreichs nicht auseinander.

Dann kam Corona. Nach mutigem Lavieren konnte Salzburg ab 1. August 2020 mit halb vollen Sälen und reduziertem Jubiläumsprogramm anlässlich seines (gleich bis in den Sommer 2021 verlängerten) 100. Geburtstags spielen. Bregenz musste früher passen und Mitte Mai alles absagen. Zu groß sind hier einfach die Dimensionen. Die Seebühne blieb verwaist.

Ähnlich wie Salzburg erhalten die Bregenzer Festspiele nur rund 20 Prozent ihres Etats als Subvention, vor allem für die Betriebskosten und den Unterhalt der Liegenschaften. 75 bis 80 Prozent dieser Summe müsse freilich das Spiel auf dem See lukrieren, "damit finanzieren wir alles andere",erklärt Sobotka gegenüber profil. "Ich kann an den Nebenspielstätten, die für mich übrigens Hauptbühnen sind, viel verrücktere Sachen machen als anderswo. Wir haben diese Freiheit, denn wir erarbeiten uns die Budgets dafür selbst."Dafür stehen ihr drei Orte zur Verfügung: das Festspielhaus, die Studiobühne und das Landestheater.

So plädiert die Intendantin einmal mehr dafür, die Bregenzer Festspiele mit ihrem ständigen Orchester, den Wiener Symphonikern, nicht allein auf die Seebühne zu reduzieren. Doch mit nur 1000 dort zugelassenen Besuchern pro Abend hätte Sobotka angesichts des gleich hohen Aufwands 2020 enorme Verluste eingefahren. "Außerdem wären die Mitwirkenden angesichts einer fast leeren Tribüne in tiefe Depression gefallen. "Immerhin boten die kurzfristig und ersatzweise hochgefahrenen Festtage im August 2020 mit der kleinen Uraufführung "Impresario Dotcom" von Ľubica Čekovská ein wenig Trost. "Es ging wenigstens etwas - und das sogar szenisch. Die Produktion reist jetzt nach Bratislava, sie lebt also weiter."

Indem sie im Sommer 2020 abseits davon nicht spielen ließ, konnte Sobotka für ihren sonst gewaltig hochfahrenden Saisonbetrieb Kosten sparen, Subventionen gab es trotzdem, auch Ausfallzahlungen für das künstlerische Personal. "Und wir hatten einen schönen Finanzpolster aus bestens gelaufenen fünf Jahren auf dem See. So ist Bregenz mit einem blauen Auge davongekommen." Was sie nicht sagt: Der Schrecken sitzt noch allen in den Knochen, seit David Pountney mit der vorgeblich populären Verismo-Oper "Andrea Chenier" 2011/12 trotz einer bildsatten, viel gelobten Produktion gewaltige Verluste einfuhr.

Eine finanzielle Niederlage wie diese will sich Elisabeth Sobotka nicht leisten. Also programmiert sie am See lieber konservativ, um sich mit wieder voller Tribüne und ohne Maskenpflicht die Experimente auf den anderen Bühnen leisten zu können. An 29 Abenden sind 203.000 Karten für den heuer noch einmal gespielten, mit Julia Jones erstmals in Bregenz von einer Frau dirigierten "Rigoletto" aufgelegt. Fast die Hälfte der bereits verkauften Tickets von 2020 sind für diesen Sommer umgetauscht worden, Bregenz ist also gut gebucht und gibt sich optimistisch.

"Jetzt können wir endlich wieder das tun, was wir wollen", betont die Chefin. Sie freue sich über dieses Geschenk und stürze sich "mit Energie und Begeisterung in den Sommer. Wir wollen unbedingt wieder aufwachen!" Denn auch in Bregenz gibt es ein Jubiläum zu feiern - oder besser: nachzuholen. 2020 wäre der 75. Geburtstag des Festivals fällig gewesen, der nun einfach, samt Programm, um ein Jahr verschoben wurde. 1946 begannen die Bregenzer Festspiele mit Mozarts "Bastien und Bastienne" auf zwei Kieskähnen im Wasser. Vier Jahre später entstand die immer weiter ausgebaute Seebühne, auf der zunächst viel Operette geboten und seit Alfred Wopmanns Intendanz ab Mitte der 1980er-Jahre auch die Oper als anspruchsvolles Massen-Musiktheater-Event im Biennalen-Takt erfolgreich neu erfunden wurde.