Campino von Die Toten Hosen
Interview

Campino von Die Toten Hosen: „Putin hat alles erreicht, was er verhindern wollte“

Seit 40 Jahren ist Campino Frontmann der deutschen Punkrock-Institution Die Toten Hosen. Hier erzählt er, warum der Krieg alles in Frage stellt, warum er keine Angst hat, gecancelt zu werden und warum er Songtexte nicht gendern würde.

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Campino ist in der Stadt. Ein Boutique-Hotel in Wien-Mariahilf und einer der ersten Sommertage im Frühling. Campino, der eigentlich Andreas Frege heißt, wird in wenigen Wochen 60 Jahre alt, wirkt aber für immer jung, isst Nüsse, trinkt Wasser und schwärmt von dieser Stadt. Man könne hier, meint er, einfach den ganzen Tag auf einer Parkbank sitzen und das Leben genießen.

Aber nur zum Spaß ist er nicht auf Besuch: Der Sänger der Düsseldorfer Fun-Punk-Institution Die Toten Hosen gibt auch nach Jahrzehnten im Musikgeschäft noch immer unermüdlich Interviews. Der Grund: Die 40-jährige Bandgeschichte will mit einer opulenten Werkschau gefeiert werden. Unmissverständlicher Titel: „Alles aus Liebe.“ Statt über Musik wird eingangs, wie könnte es anders sein, vom Krieg in Europa gesprochen.

profil: Ihre Band feiert heuer ihr 40-jähriges Bestehen. Jubiläumsfeiern in Zeiten der Pandemie und des Kriegs, geht das noch?
Campino: Als Band ist es uns ein Bedürfnis, ein Ventil zu bieten. Wir können dieses Jubiläum nicht so zelebrieren, wie wir uns das mal ausgemalt hatten. Andererseits: Die Toten Hosen wurden 1982 in Zeiten gegründet, die nicht leicht waren, und wir mussten schon damals für schwierige Situationen die richtigen Worte finden. Die Band bekommt immer dann besondere Bedeutung, wenn es um mehr geht als um die Musik. Erst in solchen Phasen begreifen wir, wie besonders unsere Freiheit ist, die wir so lange als selbstverständlich hingenommen haben. Wir haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, für uns kleine Glücksmomente zu finden.

profil: Europa diskutiert über Waffenlieferungen und den richtigen Umgang mit dem Krieg. Sehen Sie einen Ausweg aus dieser Misere?
Campino: Es ist eine Riesentragödie. Für die Menschen in der Ukraine, deren Leben gerade zerbombt wird, klingt es zynisch, wenn es heißt, dass Waffenlieferungen nicht mit unserer Grundeinstellung vereinbar sein sollen. Wir stecken in einer Situation, aus der niemand mehr mit weißer Wester herauskommt. Bekleckern werden wir uns alle – egal, wie wir uns entscheiden. Andererseits sind der Streit und das Zögern absolut verständlich, weil für mich beide Seiten nachvollziehbar sind. Auch ich bin ambivalent.

profil: Ist es nicht auch gut, dass über Politik wieder richtig gestritten wird?
Campino: Auf jeden Fall, es hilft nur in dieser Situation nicht viel. Eigentlich war Putin schon vor dem Krieg auf einem guten Weg, Europa durch Intrigen und wirtschaftliche Abhängigkeiten zu zerreiben. Die EU als Wertegemeinschaft war dabei ohnehin schon fast zerfallen. Auch der Brexit ist im Sinne Russlands verlaufen. Durch Putins Angriffskrieg hat sich Europa erst wieder formiert und gefunden, nun wollen bisher neutrale Länder der Nato beitreten. Putin hat also alles erreicht, was er verhindern wollte.

Die Band bekommt immer dann besondere Bedeutung, wenn es um mehr geht als um die Musik.

Campino

profil: Seit ein paar Jahren sind Sie offiziell britischer Staatsbürger. Wie haben Sie den Brexit erlebt?
Campino: Eine herbe Enttäuschung. Ich habe mich mit britischer Mutter und deutschem Vater stets als Europäer gefühlt. Ich bin sicher, wenn diese Abstimmung heute stattfände, würde sich Großbritannien bestimmt nicht von der EU abwenden.

profil: Mit dem Rapper Marteria haben Sie kürzlich die beiden Songs „Scheiß Wessis“ und „Scheiß Ossis“ veröffentlicht. Fremdeln Ost und West nach über 30 Jahren Wiedervereinigung noch immer?
Campino: Im Grunde ist es ein Plädoyer für die Freundschaft und fürs Zusammensein, wenn auch auf ironische Art und Weise. In Zeiten des Krieges geht es aber um Wichtigeres als um Befindlichkeiten zwischen Ost- und Westdeutschen. Wir bekommen auf fürchterliche Art vorgeführt, was für ein unglaubliches Glück wir mit der Wiedervereinigung hatten, die so unblutig verlaufen ist und welch teures Gut die Freiheit ist, die immer neu verteidigt werden muss. Ich schätze, dass es aktuell niemanden in der Bundesrepublik gibt, der über die Wiedervereinigung unglücklich wäre.

profil: Was ist bei einem Song wichtiger: Eine gute Textzeile oder die politische Message?
Campino: Die politische Message darf nicht zum Programmpunkt werden nach dem Schema: Wir basteln uns ein Album, und dazu gehören vier lustige Songs, ein paar Liebeslieder, eine Saufhymne und am besten zwei politische Statements. Musikalisch sozialisiert wurde ich von der ersten Punk-Bewegung. Natürlch den Sex Pistols, aber vor allem von The Clash und Bands wie den Stiff Little Fingers. Diese Gruppen haben eben nicht nur Wir-sind-dagegen-Slogans rausgehauen, sondern auch Alternativen aufgezeigt. Sie traten für Hausbesetzer ein, kämpften um Gerechtigkeit in Irland, feierten Rock Against Racism und verbrüderten sich mit Reggae-Musikern. Jenseits der Musik fängt es erst an, interessant zu werden.

 

Campino Philip Dulle Lena Leibetseder

profil: Zurück zu Ihrem Jubiläum mit den Toten Hosen: Wie vermeidet man es als Künstler, dass man irgendwann nur noch das eigene Erbe verwaltet?
Campino: Ich hoffe nicht, dass wir diesen Eindruck hinterlassen, das wäre schade. Für mich gehört eine Lebensneugier dazu, die nie aufhört. Unser Motto war stets: Nichts darf in Stein gemeißelt sein. Ich bin nicht mehr der 20-Jährige von der „Opel-Gang“, aber ich bin der Mensch von heute,  weil ich damals so war. Und ich habe kein Problem damit, im Sommer 60 zu werden. Wenn es nur noch darum ginge, die alten Hits zu spielen, hätten wir keine Freude mehr. Dafür wäre uns das Leben zu schade. Deshalb bringen wir jetzt auch ein paar neue Lieder raus, um das Live-Set anzureichern und das ältere Material neu schimmern zu lassen.

profil: Als Punkrocker sitzen Sie auch gern in politischen Talkshows. Hatten Sie jemals Angst, „gecancelt“ zu werden?
Campino: Von gerne kann man dabei nicht sprechen. Aber Angst vor dem Feuer habe ich auch nicht. Wenn ich mich politisch äußere, könnte ich die eigene Anhängerschaft vergraulen, also bleibe ich lieber neutral.” - so denke ich nicht. Künstlern muss es aber selbst überlassen bleiben, ob sie sich gesellschaftspolitisch einbringen wollen oder nicht. Das ist zu respektieren.

profil: Sollte Pop überhaupt Botschaften transportieren?
Campino: Für mich hat es nie gereicht, nur ein schönes Lied zu hören. Ich wollte immer wissen, wer singt dieses Lied – und welche Haltung haben diese Menschen? Meine älteren Geschwister waren Hippies und fanden The Doors und Jimi Hendrix gut, und wenn jemand in den 60er Jahren gesagt hat, er höre die Rolling Stones, dann ging es vor allem um eine Einstellung und auch um Protest gegen die Elterngeneration. Künstlerisch hatten die Beatles viel mehr drauf, aber sie standen damals für etwas anderes als die Stones. Dieses Auflehnen gegen Autoritäten war mir seit meinem Teenageralter auch immer wichtig. Ich wollte Sprachrohr sein für Leute, die es nicht so leicht haben, sich zu äußern.

profil: Sie haben bestimmt schon viele Ihrer Fans vor den Kopf gestoßen.
Campino: Man heiratet einander ja nicht. Und natürlich gibt es Brüche. Im besten Fall sind wir für die Menschen eine gewisse Strecke lang ein Soundtrack in ihrem Leben. Wenn wir anfingen, Erwartungshaltungen zu bedienen, würde die Band nicht mehr funktionieren.

profil: Stichwort Wokeness: Achten Sie heute mehr auf Ihre Sprache?
Campino: Unser täglicher Umgang mit Sprache und auch der Humor haben sich grundlegend verändert. Seit Bestehen der Toten Hosen sind Erdbeben passiert. Anfang der 1980er-Jahre haben wir mit dem HipHop-Pionier Fab 5 Freddy aus New York ein Rap-Lied eingespielt. Es war seine Idee, dass wir uns dazu schwarz anmalen und eine Ghetto-Gang mimen sollten. Würde man das heute tun, der Aufstand wäre gigantisch – und das zu Recht.

profil: Würden Sie Songtexte gendern?
Campino: Nicht um eine Correctness zu bedienen. Nur weil ich vielleicht unbeholfen bin, heißt das ja nicht, dass meine Texte nicht aufrichtig sind. Tatsächlich glaube ich, dass ich manche Lieder heute nicht mehr singen würde, weil sie einfach verstaubt und Altherren-mäßig daherkommen. Da gab’s mal ein Lied Anfang der Neunziger [singt]: “Sie war der Star im Turnverein, sie war berühmt für ihren Spagat, heut will niemand mehr in ihrer Nähe sein, weil das Testergebnis positiv war. Wahrscheinlich war das aber auch damals schon nicht lustig.

Die Toten Hosen gastieren am 2. Juli 2022 in der Krieau in Wien. 

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.