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Liebe in Zeiten des Kriegs: Das Historiendrama "Vermiglio"

Familienstudie in aller Stille: Maura Delperos differenziertes Melodram „Vermiglio“.

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Es sind nur die Ausläufer des letzten Kriegsjahres, die im Winter 1944/45 das Dorf in den italienischen Bergen erreichen: die Deserteure, die zögernd in die Gemeinschaft aufgenommen werden; die sich verschärfende Versorgungslage; die Säuglinge hinwegraffenden Krankheiten.

„Vermiglio“, geschrieben und inszeniert von der Italienerin Maura Delpero, berichtet von Schicksalsschlägen und Entbehrung – und von der Notwendigkeit, auch all dies in den ruhigen Lauf des Alltags zu integrieren. Eine junge Frau, eines der Kinder des sittenstrengen Dorflehrers, verliebt sich in einen Fahnenflüchtigen, wird schwanger und muss ihn heiraten; von einer Reise in seine sizilianische Heimat kehrt er nicht wieder.

Der Film wurde dort gedreht, wo die Erzählung spielt: in alpinen Dörfern in Trentino-Südtirol, auch in dem 2000-Seelen-Ort Vermiglio selbst. Im Dokumentarbereich hat Delpero einst begonnen, und man sieht, wie detailreich, dabei ganz subtil sie Milieus skizzieren kann. „Vermiglio“ ist ihr dritter Spielfilm, beim Festival in Venedig wurde er vor einem knappen Jahr mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Tatsächlich ist es ein außerordentlich selbstsicher in Szene gesetzter Film geworden, dessen Fotografie (Kamera: Mikhail Krichman, engster Komplize des Russen Andrej Zvyagintsev) beeindruckt. Delpero zeichnet ihre Figuren, die Familienkonflikte differenziert, führt die ununterdrückbare Selbstbestimmung ihrer Heldinnen vor, ohne dies groß betonen zu müssen. Und doch ist das alles fast schon zu sauber, gewissermaßen „vorbildlich“ erledigt: Das existenzielle Grauen, von dem die Regisseurin berichtet, bleibt so gedämpft wie die Jahreszeiten-Musik Antonio Vivaldis, die aus dem Grammophon des Lehrers dringt.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.