Mit dem erhabenen Desillusionierungsdrama „This Is Hardcore“ (1998), in dem Exzess und Entfremdung jener Tage mit Grandezza verhandelt wurden, war die gemeinsame Reise im Grunde schon auserzählt. Freilich tänzelte und scharwenzelte Cocker auch in den Folgejahren im bewährt idiosynkratischen Look mit dickrandiger Brille und Statement-Sakkos, die man wohl selbst auf Vinted etwas länger suchen muss, und mit charmanten Anekdoten-Sammlungen („Good Pop, Bad Pop“) als exzentrischer Onkel solo durch die Musikmanege. Doch selbst wenn es zwischendurch eine Reunion-Tour von Pulp gab, war die Aussicht auf ein „echtes“ Comeback der Band illusorisch.
Und doch sind Pulp nun, nach nahezu einem Vierteljahrhundert, tatsächlich vollumfänglich zurück – mit einem schlicht „More“ überschriebenen achten Album, das nicht bloß der Reaktivierung des eigenen Legendenstatus dienen will. Dass die Motivation zu diesem „Mehr“ bei einer Band, die das süffisant Sozialkritische stets tief in der DNA trug, nie rein monetär sein konnte, liegt auf der Hand. Letztlich war es ein unfreiwilliger Blick zurück, der den Neustart einleitete. Der jähe Tod des Bassisten Steve Mackey im März 2023 fungierte als Katalysator, wie Cocker im Interview mit dem Magazin „Mojo“ berichtete: „Wenn jemand stirbt, der einem wichtig ist, denkt man unweigerlich über die eigene Sterblichkeit nach – und darüber, dass man, solange man lebt, noch immer Dinge erschaffen kann.“ Pragmatischer klingt Keyboarderin Candida Doyle: „Jarvis wird sowieso Songs schreiben, egal, was wir machen. Da können wir auch gleich dabei sein. So wurde es eben ein neues Pulp-Album.“
Für Doyle, Gitarrist Mark Webber und Schlagzeuger Nick Banks hätte der Zeitpunkt für die Rückkehr vor den samtenen Vorhang indes kaum besser gewählt sein können – bewegt sich Cocker auf „More“ doch auf der absoluten Höhe seiner performativen und lyrischen Fähigkeiten. Diesen Eindruck bestätigte bereits die vorab veröffentlichte Single „Spike Island“, die mit ihrer synthetisch-schillernden, prachtbegabten Melodiefertigkeit zeigte, wie sich der Vintage-Pulp-Sound ganz ohne Nostalgie-Karaoke revitalisieren lässt. Überhaupt ist der gemeinsam mit dem gefragtesten Produzenten der Stunde, James Ford (Depeche Mode, Fontaines D.C., Blur), zur vollen Entfaltung gebrachte Songkatalog eine rare Erscheinung unter den Reunion-Releases: Das Erbe einer etablierten Band wird damit spät, aber sinnstiftend fortgeschrieben.
Dabei kommt Pulp sicher zugute, dass sie zur Britpop-Blütezeit bereits älteren Semesters waren als viele ihrer Weggefährten – weltklüger und zugleich weltmüder. So fällt es ihnen vermutlich leichter, in „Grown Ups“ mit der selbstironischen Sentenz „I am not ageing / No, I am ripening“ einen Blick auf das Leben nördlich der 60 zu werfen. Dass dieses anders ausgestaltet ist, ja sein muss, als jenes mit Mitte 30, legt der erlesene Song „Farmer’s Market“ nahe – anstelle von Nightlife heißt es nun nämlich: Marktabklappern. Und statt Pomp und Gloria gibt es ein spärliches Klavier und elegische Streicher zu hören – und darüber das entwaffnend ehrliche Eingeständnis, dass es an der Zeit ist, den Tag zu nutzen und dem Herzensmenschen „Ain’t it time we started living?” zuzurufen. Als Appell zur Öffnung des Herzens kann auch die Überflieger-Nummer „Got to Have Love“ gelten: eine himmelwärts strebende, energetische Northern-Soul-Einkehr mit hochansteckender Wirkung – augenblicklich einer der besten Songs der Bandgeschichte.
Erfreulicherweise ist die „Disco 2000“ von Pulp im Jahr 2025 noch immer unverwechselbar. Cocker & Co. verfügen nach wie vor über eine different class, wenn es darum geht, die Tragikomödie des Daseins in elegante, eloquente Popmusik zu verwandeln – in letztlich deeply heartfelt Hadern, die bei aller mitgelieferten Ironie gar nicht anders können, als die Bedeutung von Liebe, Gemeinschaft und Optimismus zu beschwören. Davon kann man nie genug bekommen. Davon will man, ganz eindeutig, auch in Zukunft: more.