„Elektra“ und „Così fan tutte“ bei den Salzburger Festspielen: In der Gefühlschirurgie

Halbe Tragödie und überirdische Schönheit: Zu den beiden Opern-Premieren der heurigen Salzburger Festspiele.

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Von Manuel Brug

Nur gut und teuer, das reicht oft nicht. Diese Musiktheatererfahrung macht man selbst bei den ach so glamourösen Salzburger Festspielen bekanntlich oft genug. Aber diesmal, im Corona-konform von zehn auf zwei Werke eingedampften Opernprogramm der 100. Jubiläumsaison, gelang das doch – sogar perfekt. So wurde gleich am ersten Wochenende den klingenden Festspielheiligen Richard Strauss und Wolfgang Amadeus Mozart erfolgreich gehuldigt.

„Elektra“, 1909 als erste Gemeinschaftsarbeit der Festivalgründer Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal (Max Reinhardt hatte dessen Sophokles-Adaption in Berlin urinszeniert), war schon vor der Pandemie ins Auge gefasst worden. Mit lokal bewährten Kräften: Franz Welser-Möst dirigiert am Pult der mit 110 Musikern angetretenen Wiener Philharmoniker, wie schon 2018 in „Salome“ – eine freudianisch zuckende, brutal sich aufbäumende Nervenmusik. „Elektra“ gerät nicht ganz so eindrücklich wie damals die „Salome“, aber doch stark: große Oper – endlich wieder live!

Asmik Grigorian, vor zwei Jahren Salome, ist nun Chrysothemis, die Schwester der Titelheldin, mit leuchtenden Sopranspitzen. Ihre litauische Landsfrau Aušrinė Stundytė gibt eine jugendlich-menschliche Elektra, keine hochdramatische Megäre, sondern ein traumatisiertes Mädchen. Lyrisch und berührend ist sie in der Wiedererkennungsszene mit Bruder Orest (wuchtig: Derek Welton), aber Rächerinnen-Tiefe und nötiges Fundament hat ihre Stimme nicht.

Regisseur Krzysztof Warlikowski lässt in einem blechausgekleideten Hof mit rostigen Duschen und Kneippbecken spielen, links thront in einem Glaskubus die gattenmordende Königin Klytemnästra. Die famose Tanja Ariane Baumgartner muss einen Aischylos-Prolog sprechen, der überflüssigerweise die Vorgeschichte klären soll. Später rekelt sie sich wie Liz Taylor in deren mittleren Jahren. Das alles ist systemkonform „modern“ inszeniert, einige Mätzchen wie der untot herumstapfende Papa Agamemnon inklusive. Am gewaltigen Ende wird Orest von den metergroß videoprojizierten Erinnyen-Fliegen Sartres gejagt.

Ein ordentlicher Festspielauftakt, aber ohne echte Tragödienintensität. Dafür ereignete sich anschließend ein kleines Mozart-Wunder. Ausgerechnet mit einer schnell improvisierten, aus der COVID-Not geborenen „Così fan tutte“ (Foto): die schwierigste aller Amadeus-Opern, vielgespielt heute, früher vielgescholten und entstellt wegen ihrer vorgeblich zweifelhaften Moral. Richard Strauss war eine der wenigen, der sich nachhaltig für Mozarts modernstes Musiktheater stark machte.

Man muss in der Festspielchronik weit zurückgehen, um sich an einen solchen Abend der Harmonie und Seinsvergessenheit zu erinnern: ein Ereignis, geschöpft aus dem Wissen und Wollen einer Schar von Profis wie dem erfahrenen Regisseur Christof Loy. Und –  als erste Frau am Pult in einer Salzburger Opernpremiere – mit einer 34-jährigen, so intelligenten wie intuitiven Dirigentin, die souverän bündelt und zusammenhält, gleichzeitig locker sich tragen lässt. Die den Wiener Philharmonikern ihren weichen, honigrunden Klang erhält und sie trotzdem zu lebendigen Tempi animiert: Joana Mallwitz.

So gelingt ein einfaches, kluges Mozart-Ping-Pong als smartes Gesellschaftsspiel der höheren, absolut beglückenden Art. Dem auch der große Zuschauerraum nicht schadet, weil alles so konzentriert und klar ist, auf der Bühne wie im Graben. Da wegen der Corona-Auflagen die Pause entfallen musste, wurde der Zweiakter um 45 Minuten beschnitten. Aber man vermisst nichts! Denn der so pingelige, chirurgisch kühle Emotionsanalytiker Christof Loy vertraut ganz auf den Ewigkeitswert dieser Verkleidungsparabel. Aus dem Orchester hinaufführende Stufen verzahnen Musik und Szene – eine weiße Wand mit zwei Doppeltüren. Sonst nichts. Gleißende Helle, kühler Minimalismus. Da entwickelt sich ein bezwingendes Spiel von Schein und Sein, ganz natürlich, aus einer Laune des Augenblicks. Spiel und Gesang: durch die Bank großartig; im Quartett sind die Paare herrlich ausbalanciert. Dazu der trockene Sarkasmus Alfonsos (Johannes Martin Kränzle) und die schnippische Zofenschludrigkeit Despinas (Lea Desandre): ein Singspielsextett der überirdischen Art.

 

Beide Opernabende sind in der Arte-Concert-Mediathek online abrufbar.