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Endspurt bei den Filmfestspielen in Cannes: Wer wird die Goldpalme gewinnen?

Israel-Anklage mit Hitlergruß, eine Techno-Odyssee und Revolten gegen die Barbarei: Die 78. Filmfestspiele in Cannes, kurz vor der Preisverleihung.

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Jedes Jahr im Mai bündeln sich in der südfranzösischen Hafenstadt Cannes die globalen Kinokräfte, um nie Gesehenes vorzuführen, Geschäfte anzukurbeln und nebenbei auch Kultur- und Weltpolitisches auszuhandeln. Das neben der Oscar-Show bedeutendste Filmereignis der Welt ist somit nicht bloß Geld, Fantasy und Glamour, sondern auch ein Reality-Check: Womit befassen sich Unterhaltungsindustrie und Kinokunstschaffende gerade? Wie reagieren sie auf das Elend der Gegenwart? 
Wie verwirrend diese Gegenwart bisweilen sein kann, machte ein Besuch im Programm der renommierten Cannes-Nebenschiene Quinzaine des cinéastes deutlich. Man gab eine wütende Polemik zur laufenden Tragödie im Nahen Osten, ein bewusst vulgär gehaltenes Sex- und Hedonismus-Kriegsmusical namens „Yes“, inszeniert von dem linken israelischen Regisseur Nadav Lapid. Nach dem Screening des für seinen formalen Irrsinn und den Widerstand gegen die rechtsextreme Netanyahu-Administration zu Recht gefeierten Films hob der Hauptdarsteller, der in Tel Aviv arbeitende, für seinen Aktivismus gegen die israelische Besetzung Palästinas bekannte Performance- und Theaterkünstler Ariel Bronx den Arm zum Hitlergruß, zudem legte er zwei Finger als Bärtchenandeutung zwischen Nase und Mund. Ernsthaft? Was war das? Ein Schauspieler, der in seiner Rolle hängengeblieben war? Eine Geste der israelischen Brachial-Selbstkritik?

Yes

Wie auch immer man solche Provokationen deuten mag: Filme wie dieser oder auch  „Once Upon a Time in Gaza“, eine krude Satire der palästinensischen Nasser-Brüder, die ins Jahr 2007 zurückführt, verstehen sich auch als Interventionen – vertiefende Ideologiearbeit mit den Mitteln der Kunst. Auch für die einzige österreichische Koproduktion gilt dies: „Militantropos“, ebenfalls präsentiert in der heuer sehr stark besetzten Quinzaine-Reihe, führt direkt in die Hölle des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, in eine versehrte, gebrochene Welt. Dem Dilemma, das schiere Grauen durch Bildschönheit auch zu ästhetisieren, entkommt das ukrainische Regie-Trio (Yelizaveta Smith, Alina Gorlovka und Simon Mozgovyi) jedoch nicht.

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.