Andreas Gabalier

Fendrich, Ötzi, Gabalier: Klingende Heimatliebe

30 Jahre "I am from Austria", 20 Jahre "Anton aus Tirol", zehn Jahre Andreas Gabalier: Sebastian Hofer würdigt drei Austropop-Jubiläen und traut seinen Ohren kaum.

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Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Natürlich schadet es nicht, wenn du dir vorher anhörst, welche Lieder sie dort haben. Aber Achtung: Du könntest dabei erschrecken. Denn Popmusik gibt Auskunft über die Gesellschaft, in der sie gemacht und gehört wird. Das gilt selbst dann, wenn sie aus einer Après-Ski-Hütte ballert und offenbar über jeden Sinn erhaben ist. Popmusik entfaltet ihre Wirkung stets im Kontext eines konkreten Zeitgeists. Wer sie hört, wird etwas verstehen -von der Zeit, vom Geist, von Land und Leuten.

Österreich erfindet sich, so gesehen, alle zehn Jahre neu. Vor 30 Jahren veröffentlichte Rainhard Fendrich seine Heimweh-Ballade "I am from Austria", vor 20 Jahren erschien der Alpinskihit "Anton aus Tirol", anno 2009 betrat schließlich Andreas Gabalier die Bühne.

Der Dreisprung führt über den schmalen Grat zwischen Patriotismus und Nationalismus, über Glocknerkitsch und Österreich zuerst in die heimatideologisch vollflexible Gegenwart. Keines der hier besprochenen Musikstücke erklärt im Detail, wie jenes Volk beschaffen ist, von dem es ausgeht. Aber es gibt Hinweise.

1. Stirnfalten

Rainhard Fendrich: "I am from Austria", 1989 Die wahrscheinlich bestignorierte Verszeile der Popgeschichte, noch vor "Hit Me Baby One More Time", lautet: "I kenn die Leit, i kenn die Ratten. Die Dummheit, die zum Himmel schreit." Es geht in dieser Zeile tatsächlich um Österreich und seine Einwohner. Dass das Lied, aus dem sie stammt, zu einer Art Ersatzhymne werden konnte und in einschlägigen Publikumswahlen regelmäßig zum beliebtesten Austropophit aller Zeiten gewählt wird, muss auf einem Missverständnis beruhen. Rainhard Fendrich betont im Rückblick gerne, dass sich "I am from Austria" verselbstständigt und sozusagen eine falsche Identität angenommen habe.

Das Stück erschien erstmals am 9. Oktober 1989 auf dem Album "Von Zeit zu Zeit", also mit bemerkenswert schlechtem Timing. In jener Zeit war gerade ein starker Wind of Change im Gang, was Österreich und seine Popsänger erst einmal weniger interessant erscheinen ließ. Heute ist "Von Zeit zu Zeit" allenfalls von archivarischem Interesse. Die darauf enthaltene Hymne kam, als sie 1990 als Single ausgekoppelt wurde, in den österreichischen Charts über Platz sechs nicht hinaus, wurde aber um ein ikonisches Stück Musikvideogeschichte ergänzt: Rainhard Fendrich besteigt im Spätachtziger-Anorak und mit akustischer Klampfe den Glockner, im Hintergrund rinnt Wasser dramatisch talwärts, die Vergletscherung der Gefühle erlebt erste Vorboten des Klimawandels: Da schmilzt das Eis von meiner Seel'.

Rainhard Fendrich stammt aus einer Generation, in der Lieder noch von Liedermachern gemacht wurden, was sich in tief eingegrabenen Stirnfalten manifestierte, bisweilen auch in gesellschaftskritischen Mahnwachen. Zugleich hat Fendrich die typisch österreichische Kabarettwerdung der Musik aktiv mitgeprägt. "I am from Austria" bleibt aber ein ernsthafter Song, Fendrich hat keine Patriotenhymne geschrieben, sondern die bitteren Empfindungen des Auslandsösterreichers zur Waldheimzeit ins Auge gefasst. Die Heimat hatte weltweit ein schlechtes Image, leider zu Recht - und doch: Der einsame Österreicher, der sich Sorgen macht um sein Land und dessen Ansehen im Ausland, kann machen, was er will. Er ist der Apfel, Österreich sein Stamm. Das In-die-Höhe-Halten von rot-weiß-roten Fußballschals war in diesem Kontext eigentlich nicht vorgesehen.

2. Brüste

DJ Ötzi: "Anton aus Tirol", 1999 Dabei könnte alles so einfach sein: Ich bin so schön, ich bin so toll. Und warum? Weil ich es sage. Und weil du besoffen bist. In England nannten sie das, was DJ Ötzi machte, zu dessen größter Zeit (also zur Zeit von "Hey Baby", kurz nach der Jahrtausendwende) nicht ganz unrichtig: Alko-Pop. Als "Anton aus Tirol" veröffentlicht wurde, im August 1999, war die Resonanz deshalb noch vergleichsweise bescheiden. Im Hochsommer schmeckt kein Jagatee. Zum internationalen Nummer-1-Hit wurde das Stück erst im Lauf der folgenden Après-Ski-Saison. Zehn Wochen stand Anton im Winter 2000 an der Spitze der österreichischen Hitparade und avancierte auch in anderen schneefahrenden Nationen wie Deutschland, Belgien oder den Niederlanden zum Instant-Klassiker.

Das Cover zur Single gibt heute Rätsel auf: Eine Karikatur von DJ Ötzi grinst, damals noch ohne weiße Kippa, aus dem Dekolleté einer dirndltragenden jungen Frau, von der man zwar nur das halbe Gesicht, dafür aber eine Brustwarze sieht. Links unten informiert ein zusätzliches Logo: "Indiana Hit-Tip!" Dazu muss man wiederum wissen, dass "Anton aus Tirol" von dem Produzententrio Ultimatief entwickelt wurde, das kurz zuvor mit dem Stück "A klana Indiana" reüssiert und seinem Namen dabei alle Ehre gemacht hatte:

"A klana Indiana a dicka, fetta, blada sitzt zu noh am Lagerfeia und verbrennt sich seine Eia Ui tuat des weh A heyaheya hey."

Der bayerische Musiker Hans Well, Gründer und Texter der Dialektfolkgruppe Biermösl Blosn, schreibt in dem Bildband "Volksmusik" (Steidl Verlag; siehe auch profil 22/19) über die sogenannte volkstümliche Musik: "Sie liefert die perfekte Tonspur zum Kahlschlag für Speicherseen und Parkplätze und vom Skizirkus verödete Landschaften. Sie ist der stimmige Heimatsound zur Baumarkt-Schnäppchenkultur, zum zünftigen Pressspan-Bauernschrank vom Möbelparadies." DJ Ötzi stellte einfach noch eine Plastikpalme daneben. "Anton" ist eine Hymne des von moralischen Bedenken unbeleckten Billigsthedonismus: Das Leben ist ein Witz, über den man nur lachen kann, wenn man nicht zu genau hinhört. Gerry Friedle hat den Erfolg seines "Anton" einmal damit erklärt, dass er das Lied auf Spanisch einzählt: unos, dos, tres, cuatro. Das versetze die Leute gleich in eine ganz andere Stimmung. Europa war, zehn Jahre nach Fendrich und zwei Jahre vor 9/11, tatsächlich zusammengewachsen, was allerdings kein Verdienst von Maastricht oder Schengen oder gar Brüssel war, sondern von Ischgl und Mallorca. Heimat ist, wo die Puppen tanzen.

Noch eine Anekdote zur volkstümlichen Völkerverständigung: Einer der Autoren von "Anton aus Tirol" war der burgenländische Musiker Walter Schachner (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Ex-Fußballprofi). In den frühen 1990er-Jahren trat Schachner mit dem ethnisch offensiv diversen Volksmusikprojekt "Walter und die bunten Vögel" auf und servierte dabei Witze mit Gänsehautgarantie: Wer hat das Jodeln erfunden? Ein Japaner, der beim Wandern sein Radio verloren hat: Hol du di Ladio. Ui, tuat des weh.

3. Wadeln

Andreas Gabalier: "Da komm ich her", 2009 Völlig ohne fremde Sitten oder Kollegen kam der steirische Musiker Andreas Gabalier aus, als er im Sommer 2009 sein Debütalbum "Da komm' ich her" veröffentlichte. Das Cover zeigte den damals 24-Jährigen in relativ klassischer, Rock'n'Roll-freier Volksmusikerpose mit Quetschn, Lederhose und steirischem Hügelland. Die Musik, die sich zwischen "Stille Nacht" und "Country Road" einsortierte, setzte keine Maßstäbe, traf aber einen Nerv: Das Album blieb insgesamt 295 Wochen in den Charts und wurde mit Fünffach-Platin ausgezeichnet. Die Zeit war einfach reif für einen wie Gabalier, der mit "Da komm' ich her" die aufkeimende Trachtenrenaissance begoss und mit positiven Emotionen veredelte:

"Jo jo des Steiralond des is mei Heimatlond Und drum trog i ah mit so fü Stuiz mei Steiragwond Jo mia san froh dass ma so fesche Dirndaln hom Und a Freindschoft hoit bei uns a Leben long."

Szenisch ist das nicht sehr weit weg vom balzenden "Anton aus Tirol", ideologisch schlägt es eine völlig andere Richtung ein, nämlich nach innen. Es ist eine neue Art von Hedonismus, die in solchen Zeilen durchschlägt. Es geht weniger um sinnliche als um emotionale Befriedigung, was die Angelegenheit nicht weniger egozentrisch macht. Die Menschen haben genug vom globalisierten Krisenkapitalismus und versuchen es noch einmal neu mit dem Alten: Heimat - wo der Mensch noch Mensch ist und ein Manderl noch auf Weiberl steht. Hier komm ich her, hier g'hör ich hin. So weit, so klar.

Aber dann begann etwas, das sich weniger einfach erklären lässt. Gabalier stopfte karierte Schneuztücher in seine Krachlederne und tanzte historisch schwer belastete Symbole. Heute trägt der Künstler bei seinen Konzerten eine hirschgeweihartige Astgabel voller karierter Tücher vor sich her. Auf dem Titelbild zum aktuellen Zehn-Jahres-Jubiläumsalbum fliegt Gabalier als eine Art Jesus-Roboter mit funkensprühender Unterschenkelprothese gen Himmel. Das alles hat natürlich etwas zu bedeuten. Aber was? Andreas Gabalier sendet Signale aus, die sich kaum rational erklären lassen. Das macht es ihm einfacher, rationale Kritik an diesen Signalen als Schwachsinn abzutun. Es war immer schon anders gemeint. Gabalier ist der Igel, liebe Hasen! Das Uneindeutige, zum Teil auch Unfassbare ist zum Markenkern seiner Musik und seiner veröffentlichten Meinung geworden. Vorbei die Ambivalenz des Rainhard Fendrich oder der Unernst des DJ Ötzi, stattdessen Spiegelfechterei: Ich sag ja nicht - ich sag ja nur, das wird man wohl noch sagen dürfen.

Auf dem Album "Mountain Man" von 2015 singt Gabalier in dem Lied "A Meinung haben":"A Meinung ham, dahinter stehn /Den Weg vom Anfang zum Ende gehen / Wenn's sein muaß ganz allan do oben stehn." Das klingt nach Fendrich, ist aber FPÖ. Der Künstler sagt öffentlich gern, was er meint, aber wenn er dafür kritisiert wird, hat er es erstens nicht so gemeint und ist zweitens ein Opfer linker Denkverbote. Und auch wenn ihm niemand den Mund verboten hat, lässt er sich den Mund ganz sicher nicht verbieten, schon gar nicht von "ein paar Randgruppen". Nicht zufällig erinnert diese Strategie an die Vorgangsweise einiger neuerer deutscher Gangsta-Rapper, deren offene Frauenverachtung und unterschwelliger Antisemitismus zwar offensiv ausgestellt, aber auf Nachfrage zum genretypischen Kunstgriff verschleiert werden. Pop provoziert heute nicht mehr von links nach rechts, sondern andersherum. Es geht nicht mehr darum, den reaktionären Mainstream zu verstören, sondern darum, die liberale Mitte als Verschwörung von Gutmenschen zu entblößen.

Der bedeutendste österreichische Popmusiker des Jahres 2019 ist übrigens ein Gangsta-Rapper namens RAF Camora. Seine Heimat heißt Rudolfsheim-Fünfhaus. Die Alpen sieht man von dort aus nicht einmal bei Kaiserwetter.

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Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.