Feuchter Alptraum: Die SciFi-Horrorserie "Alien: Earth" startet auf Disney+
Da kommt etwas auf uns zu: Mit „Alien: Earth“ wagt sich das wohl berühmteste aller Science-Fiction- Monster erstmals auf unseren Planeten – und in die Serienform.
Das Arsenal überholter popkultureller Gewissheiten darf sich dieser Tage über Nachschub freuen. Denn wenn man sich im „Alien“-Kosmos, der in 45 Jahren sieben Kinofilme zutage gefördert hat, auf eines verlassen konnte, dann wohl darauf, dass man der titelgebenden Bestie, dem phallusförmigen Xenomorph, nur da draußen im All gegenübertritt – in abgeschotteten Kolonien und der klaustrophobischen Enge eines Raumschiffs. Doch niemals, so schien gesichert, begegne einem dieser von Dan O’Bannon und Ronald Shusett einst ersonnene, von H.R. Giger gestaltete Alpha-Außerirdische, der aus mehreren Kiefern Säureblut sabbert, hier unten auf dem schönen blauen Planeten. Nun also doch.
Der Verstoß gegen dieses Grundgesetz der Saga verdankt sich ihrem erstmaligen Einsatz auf kleinen Bildschirmen: Die ab 13. August auf Disney+ abrufbare Serie „Alien: Earth“ gibt dem Filmwerbeslogan aus 1979 – „Im Weltraum hört dich niemand schreien“ – ein Update, das sich so formulieren ließe: auf der Erde aber schon.
Doch wie kam es dazu, dass dieses laut Showrunner Noah Hawley „beste Monster, das je fürs Kino erfunden wurde“, den Weg auf den Boden unserer Tatsachen fand? Die naheliegende Motivation: Der Disney-Konzern, stets auf der Jagd nach weiterer Monetarisierung seiner Marken, hat in der langlebigen SciFi-Institution ein gefundenes Fressen ausgemacht. Bereits das letztjährige Leinwand-Spin-off „Alien: Romulus“, das auf Slasher-Standards und übertriebenen Fan-Service setzte, zeigte, wie ungebrochen der Appetit des Publikums auf dieses Setting ist.
Ausbaufähige Mythologie
Mit seinen Serien „Legion“ – so verstrahlt hintersinnig ging es bei Marvel selten zu – und der anthologisch ausgerichteten, eigenwilligen „Fargo“-Reihe (nach Joel und Ethan Coen) hatte der Autor, Regisseur und Produzent Hawley bereits exemplarisch vorgeführt, dass er in der Lage ist, Stoffe mit ganz eigener künstlerischer Signatur erfolgreich in atmosphärisch autonome Arbeiten zu überführen. Er selbst sah den Reiz der gestellten Aufgabe darin, dass die „Alien“-Reihe eine vergleichsweise ausbaufähige Mythologie besäße, somit auch reichlich Raum für eigene Setzungen böte, also für eine breiter angelegte Story.
„Alien: Earth“ setzt 2120 an, zwei Jahre vor den Ereignissen des ersten Kinofilms – aber auf der Erde. Demokratische Institutionen wurden dort längst abgeschafft, fünf Mega-Corporations lenken nun den Lauf der Welt, darunter auch: Weyland-Yutani. Der ewig böse Betrieb hatte vor Dekaden sein Forschungsschiff Maginot (ein retrofuturistisch heruntergekommenes Ebenbild der legendären Nostromo) losgeschickt, um außerirdische Geschöpfe einzusammeln und zur Untersuchung mitzunehmen.
Der Auftrag endete nun aber mit einem Absturz im südostasiatischen New Siam, das wiederum von dem Konkurrenzkonzern Prodigy kontrolliert wird, der einen Weg gefunden hat, das Bewusstsein unheilbar kranker Kinder in synthetische Erwachsenenkörper zu übertragen. Machttaktische Hintergedanken hegend, beansprucht dessen Chef, ein buberlhafter Tech-Milliardär namens Boy Kavalier, die ihm per Zufall in die Hände gefallene, potenziell wertvolle Fracht für sich.
Also zieht Prodigys Suchtrupp mit den besagten „Hybriden“ unter der Ägide ihrer Quasi-Anführerin Wendy (kühl: Sydney Chandler als Sigourney Weavers Wiedergängerin) los. Im Inneren des havarierten Schiffs findet man die gefürchtete biomechanische Killerkreatur vor – und vier weitere Ungetüme aus den finstersten Winkeln des Alls, die hier umherhuschen und -schwirren. Selbstredend verfügt jedes von ihnen über seine singulär grausame Überlebensstrategie – Obacht vor dem parasitären Augapfel! Diese neuen, heterogenen Panikfronten schaffen Momente echter Unberechenbarkeit, halten das Treiben dynamisch. Und sie nehmen dem Xenomorph, dessen Entwicklungshistorie vom Ei über Facehugger und Chestburster bis zur fertigen Bestie unter Fans als bekannt angenommen werden darf, etwas von der Last des Nervenkitzelns: Er darf nun konzentrierter und bestialischer, aber auch enigmatischer seine tödlichen Kreise ziehen.
Hawley weiß, dass eine achtteilige Serie vom Schrecken allein nicht leben kann. So webt er Existenzphilosophisches und moralische Ausnahmezustände in die Handlung ein: Überlegungen zu Bewusstsein und dem Preis des Überlebens, zum Verhältnis von Biologie und Technologie sowie zum Leben in der letzten Ausbaustufe des Hyperkapitalismus – und der ersten des Transhumanismus.
Die Früchte der Saat
Ohne den inhaltlichen Kanon übermäßig dogmatisch abzuarbeiten, bereichert und erweitert er – wie schon in „Fargo“ – die alte Saga. Aus ästhetischer Sicht baut er dabei sinnvoll die Vorgaben der „Alien“-Pioniere Ridley Scott und James Cameron weiter aus, weist jedoch auch deutlich darüber hinaus und erlaubt sich gelegentlich manch schlaue Seltsamkeit: alles auf versponnene Weise neuartig und zugleich irritierend vertraut hier.
„Alien: Earth“ ist, und darin liegt sein großes Versprechen, entschieden größer angelegt, als es eine erste Staffel erwarten ließe. Nach sechs vorab verfügbaren Folgen (von gesamt acht) lässt sich zwar noch nicht mit finaler Gewissheit sagen, welche Früchte die mit Weitblick ausgestreute Saat aus heftigem Creature-Horror, ethischen Grauzonen und Körperpolitik tragen wird – und wie viel sich die verantwortlichen Köpfe für künftige Spielzeiten in der Hinterhand behalten möchten. Als gesichert gelten darf jedoch bereits jetzt, dass Zeremonienmeister Hawley dieser ikonischen Franchise im fünften Jahrzehnt ihrer Existenz mit seinem schmutzig schönen Kapitel ganz neue Möglichkeitsräume eröffnet hat – es sind die wohl aufregendsten seit der Frühphase. Der letzte Schrei wird nicht so bald erklungen sein.