Das Ende der „Gotttgleichen“
Der Riesenvorteil der Erfolgswelle sei, dass „wir uns von niemandem mehr wie Gymnasiasten behandeln lassen müssen“. Das sei nämlich ziemlich lange so gewesen – vor allem von Intendanten und Regisseuren, manchmal auch von Kollegen, aber mit denen konnte man das meist intern regeln. Und insgeheim musste man dann immer den Gedanken runterschlucken: Ich weiß genau, was die Lösung wäre. Warum darf ich es nicht einfach sagen? Damit ist jetzt Schluss. Nicht nur wegen des Strunk-Schrenk-Midastouchs, sondern auch weil das Zeitalter der „gottgleichen“ Theaterfiguren wie Claus Peymann, Andrea Breth und Peter Zadek ein Ende gefunden hat: „Natürlich findet man diverse Geschichten, wie sie uns zum Beispiel unser Kollege Martin Schwab von Zadek erzählt, toll, andererseits wundert man sich auch, wenn man hört, wie Menschen da behandelt wurden. Da wurden Künstler ja manchmal regelrecht kaputtgemacht.“ Das geschehe sicher auch heute noch „hie und da“. Obwohl sich am Theater vieles „zum Besseren“ verändert habe: „Machtmissbrauch ist real. Real ist aber auch, dass alle mithelfen müssen für ein besseres Klima. Manche merken sich ja nicht einmal die Namen der Kollegen, mit denen sie täglich arbeiten.“
Eine der diversen Strunk-Legenden, die ehrfurchtsvoll in der Theaterszene kolportiert werden, geht so: Der Mann hat sich als Kind das Klavierspielen selbst beigebracht und hatte nie auch nur eine Klavierstunde. Was ihn nach dem Besuch seiner „Schachnovellen“-Performance, wo er in irrwitzigem Tempo und mit ebensolcher Präzision wechselweise in alle Figuren schlüpft und daneben noch virtuos am Klavier hämmert und dazu singt, als eine Art Mini-Mozart erscheinen lässt. Die Geschichte ist insofern falsch, als der junge Nils sehr wohl eine Klavierstunde hatte, allerdings nur eine einzige: „Meine Mutter hat gemerkt, dass ich danach zu Hause auf einmal nicht mehr am Klavier saß, und hat das sofort abgestellt. Danach habe ich es mir durch das Nachspielen von U2 und Michael Jackson selbst beigebracht, nach dem Motto: ‚Fake it till you make it.‘ Ich wuchs in einem sehr freien, kunstaffinen Ambiente auf, bei uns zu Hause lief oft Jazz oder Bach. Ich durfte mich ausprobieren.“
Eigentlich wollte er für längere Zeit keine Oper mehr bearbeiten: „Aber wenn du einmal einen guten Saft erfunden hast, dann taucht die Frage nach dem nächsten Saft schnell auf. Und keiner wird sagen: Jetzt bau doch einmal zur Abwechslung ein Auto!“
Drei Männer und das Thema Femizid
Ein „Carmen“-Sequel zu machen (das Stück spielt nach dem Eifersuchtsmord, und Carmen, gesungen von Katia Ledoux, lebt nur noch in der Erinnerung), war allerdings eine Idee, die Strunk und Schrenk mehr gefunden hat als umgekehrt: „Lotte de Beer lud uns ein, für den Auftritt der Volksoper am Donauinselfest etwas zu machen. Und meinte, da sie hier am Haus ‚Carmen‘ gemacht hatte, wäre eine neue Perspektive auf den Stoff doch eine Möglichkeit.“ Gemeinsam mit dem musikalischen Direktor, dem Franzosen Gabriel Cazes, entwerfen sie eine Bühnenmagie, in der „wir unsere – in dem Fall – spanische Spaghetti-Western-Romantik à la Sergio Leone mit einem starken Schuss Quentin Tarantino ausleben können“; Cazes’ Musik dazu sei eine „großartige“ Mischung aus Jazz, Flamenco, Pop und Bizet.
Wobei ihn natürlich schon jetzt eine vorauseilende Angst vor möglichen Vorwürfen befalle: „Drei Männer, die sich mit dem Thema Femizid beschäftigen, was denkt man da? Aufgrund der letzten Jahre, wo oft heiß diskutiert wurde, wer was wozu sagen dürfe, muss man vielleicht damit rechnen.“ Carmen sieht Strunk als eine „selbstbestimmte Frau, die klar sagt: Ich lebe und liebe, wie ich will. Ich bin frei. ‚Killing Carmen‘ entwickelte sich aus den Fragen: Was passiert nach ihrem Tod? Was verschwindet mit ihr? Geht dann die Freiheit kaputt und die Sonne weg?“
Das Auge im kreativen Orkan
Wenn Strunk über sein Projekt erzählt, dann „sprudelt“ er, wie er das nennt. Es muss prinzipiell „sprudeln“, damit es gut wird. Und nach der Premiere von „Killing Carmen“ wird gleich weitergesprudelt. Strunk begibt sich in bewährter Crossover-Manier auf „Gullivers Reisen“ im Burgtheater (Premiere: 17. November). Angesichts dieses doch dichten Fahrplans müsse man aber kein Mitleid mit ihm haben. Es sei ein Privileg, das machen zu dürfen. Und noch dazu in Wien, dieser theatervernarrten Stadt, wo es Szene-Kleinode wie das „Bronski & Grünberg“ gibt, einen Ort, zu dem er gerne pilgert. „Das Bronski ist für mich das Auge im kreativen Orkan der Wiener Schauspielkunst.“ Echte Bewunderung sei bitte für die Menschen aufzuheben, die täglich zwölf Stunden lang in einem Krankenhaus arbeiten .
Zugegeben, auch er habe schon einmal das Ortsschild „Burn-out“ in ziemlicher Nähe gesehen, aber als Frühwarnsystem. Bei Gefahr im Verzug seien seine Ohren verlässliche Seismografen: „Das war schon immer so. Wenn’s zu viel wird, melden sich meine Ohren mit Tinnitus und Ähnlichem.“ Selbst wenn er abends den Tanker „Schachnovelle“ stemmen muss, kennt er Stress nur dann, wenn er sich untertags keine Luft gelassen hat: „Ist mir einmal passiert,wurde eine Katastrophe. Wird nicht wieder vorkommen.“ Beim Arbeiten selbst erhole er sich eigentlich, echten Stress kenne er „eher“ nur im Urlaub.Das mit dem Abschalten werde er auch noch lernen müssen, aber natürlich sprudelt es auch dann noch im Kopf weiter: „Ich kann einfach nicht anders.“