Herzkanonen: Das englische Indie-Rock-Duo Wet Leg liefert wieder Maßarbeit
Da mögen proaktiv Planende noch so eindringlich anderes erklären: Die besten Dinge passieren immer noch ohne Vorsatz. Man schlage und frage bei Wet Leg nach. In „U and Me at Home“, dem herrlichen Ausklang des zweiten Albums ihrer Band, reflektiert Sängerin Rhian Teasdale, wie sie das Duo mit ihrer Freundin Hester Chambers einst als „Scherz“ ins Leben rief – nun seien sie aber „über die ganze Welt verstreut“. Was einer halt so passieren kann, wenn sie vom Ruhm überrannt wird. Der hatte sich im konkreten Fall binnen kurzer Zeit in Form von Charts-Höhenflügen, Grammys und einer gemeinsamen Tour mit Ultra-Fan Harry Styles eingestellt.
Selbstredend war es aber kein Zufall, dass das initiale Spaßprojekt mit dem kuriosen Namen von der Isle of Wight aus den Planeten Pop im Eilzug erobern konnte. Schlichtweg zu umwerfend war 2022 sein Debütalbum geraten (auf dem sich mit „Chaise Longue“ und „Wet Dream“ gleich zwei Überhits finden) – nicht zuletzt dank mitreißender Hooks und hinreißender Texte über feuchte Träume und Backstage-Schmusereien mit unmöglichen Typen auf noch unmöglicherem Mobiliar.
„Moisturizer“, der naturgemäß feuchtigkeitsfixiert betitelte Nachfolger widmet sich nun den Verschiebungen nach dem Durchbruch – emotional und personell. Die drei zotteligen Kerle, die bislang nur bei Live-Auftritten dabei waren, sind inzwischen feste Bandmitglieder. Und während Chambers, die an Sozialphobie leidet, sich neuerdings bewusst zurücknimmt, agiert Teasdale mit pink-orangefarbener Mähne jetzt umso offensiver als Frontfrau. lotet weibliches Begehren und queere Selbsterkundung aus.
Mit Ausnahmen von Songs wie „Catch These Fists” und „Mangetout” richtet sich der Blick nach innen, bleibt dabei aber wohltuend verdreht. Teasdales Texte sind nach wie vor durchzogen von singulärer weirdness: In „CPR” kann sie Liebe kaum noch von Selbstmord unterscheiden, in „Pillow Talk” lässt sie dem Kink im Kopf verschmitzt-verschwitzt freien Lauf. Den intimeren, verletzlicheren Texten sind Kompositionen beigestellt, die angriffslustiger tönen als bisher. Wet Leg lassen ihre schnoddrigen Sprechgesang-Singalongs nun mit Spaß an rotzig verzerrten Gitarren schwappen, die sich an der Gabelung von Grunge und Shoegaze bewegen – überall dort, wo Kanten und Krach dynamische Klangwelten formen.
Mit reichlich Schalk im Nacken haben Wet Leg zwischen ungebremster Coolness und entwaffnender Offenheit an Kontur gewonnen. Sie sind gewachsen, ohne dabei gleich erwachsen zu werden. Vielleicht ist dies ja ihr bislang größter Trick – ganz ohne Plan.