Das ist tatsächlich ein sehr harter Vergleich.
Föttinger
Ich hätte wahnsinnig gerne ein Gespräch mit ihm geführt. Wir haben vier Mal schriftlich um einen Termin gebeten - aber es kam nicht einmal eine Antwort.
Nicht einmal von einer Assistenz?
Föttinger
Nichts. Schweigen im Walde. Im Vergleich dazu hatte ich beim Herrn Blümel innerhalb kürzester Zeit einen Gesprächstermin. Der war dann zwar sinnlos, aber immerhin konnte ich mit ihm reden. Jetzt habe ich einen Kulturminister, der es nicht einmal der Mühe wert findet, uns mitzuteilen, dass er gerade keine Zeit hat.
Noch dazu ist ja Andreas Babler aus Ihrer Fraktion.
Föttinger
Umso schlimmer, da dürfte die Scheu mit dem Föttinger zu reden eigentlich nicht groß sein. Dennoch werde ich immer eine sozialdemokratische Gesinnung haben, die kann mir selbst ein Kulturminister Babler nicht austreiben.
Wie sind Sie denn mit der aktuellen Regierung zufrieden?
Föttinger
Es herrscht eine gewisse Profillosigkeit. Leidenschaftliche Persönlichkeiten fehlen, die ihre politischen Visionen glaubhaft an die Wählerschaft vermitteln können. Aber vielleicht fehlen den Persönlichkeiten ja einfach die Visionen.
Eine lautstarke Persönlichkeit wie Herbert Kickl wollten Sie sogar einmal in Ihre Kantine einladen.
Föttinger
Ja, ich wollte gerne, dass er sich Daniel Kehlmanns Stück „Reise der Verlorenen” ansieht und wir nachher in der Kantine ein Gespräch über Flüchtlinge und Migration führen. Natürlich ist er nicht gekommen. Aber wissen Sie, was die FAZ darauf hin geschrieben hat, als ich diesen Wunsch nach einer Begegnung in einem Interview geäußert habe? Allen Ernstes, dass ich mir so bereits einen Weg ins rechte Lager bahnen wollen würde. Absurd.
Die FPÖ forderte mit ihrem Wiener Kultursprecher Stefan Berger vor einem Jahr Ihre sofortige Absetzung, nachdem, ausgehend von einem Artikel im „Standard” hausinterne Vorwürfe unter anderem über ein Klima der Angst, vulgäre Ausfälle gegen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Machtkonzentration und Machtmissbrauch laut wurden. Haben sich diese Personen davor via Betriebsrat an Sie gewandt?
Föttinger
Nein. Aber warum sollte auch irgendjemand zu mir gehen und mit mir reden? Ich will niemandem Unrecht tun, aber mein Eindruck war, dass es nicht wirklich um Veränderung ging, dann hätte man ja mit mir gesprochen anstatt direkt zur Zeitung zu gehen. Meine Person wurde öffentlich verunglimpft, leider auch mit inkorrekten Vorwürfen.
Haben die Beteiligten nicht eine eidesstattliche Erklärung abgegeben? Und wurde nicht ein Rechtsgutachten erstellt, in dem die Vorwürfe bestätigt wurden?
Föttinger
Das Rechtsgutachten wurde mit der Prämisse erstellt, dass diese eidesstattlichen Erklärungen vollumfänglich der Wahrheit entsprechen. Aber mitunter ist eine eidesstattliche Erklärung nicht mehr wert als das Papier, auf dem sie steht. Es waren anonymisierte Vorwürfe, die können stimmen oder auch nicht. Ich kann jetzt anonymisiert eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass Sie ab und zu gerne kleine Kinder essen. Aber da ich das anonymisiert tue und das Medium mich schützt, wird das keinerlei Konsequenzen haben und die Behauptung wird weiter im Raum stehen, ganz egal, wie ich mich dazu verhalte, was ich dazu sage.
Haben Sie nicht angekündigt, gegen die Vorwürfe gerichtlich vorgehen zu wollen?
Föttinger
Nachdem es keine Anzeige und somit auch keine Klage gibt und ich, aufgrund der Anonymität nicht weiß, wer mir da etwas vorwirft, kann ich das gar nicht tun. Wen soll ich denn wegen Rufschädigung klagen?
Sind Sie schwer enttäuscht? Schließlich gelten Sie ja auch bei vielen Ihrer Mitarbeiter als sehr leidenschaftlicher Theatermacher, der dieses Haus aus einer Verschlafenheit wach geküsst hat.
Föttinger
Meine ganze Amtszeit war nichts als ein leidenschaftlicher Kampf, unser Haus von dem Ruf ein konservatives Plüschtheater zu sein, in dem nur Hofratswitwen mit violett gefärbten Haaren sitzen, zu befreien. Erstens sind nicht alle violett, aber vor allem ist es eine ungeheure Diffamierung unseres Publikums.
Der Schriftsteller Franz Xaver Kroetz, den Sie einmal mit einer Schnitzler-Regie beauftragt haben, beklagte sich in einem Interview darüber, dass man im Zuschauerraum der Josefstadt nur über Rollatoren stolpert. Aber in Wahrheit leben die Theater von diesem Publikum, weil es verlässlich und regelmäßig kommt.
Föttinger
Das ist es ja auch, was mich immer so wahnsinnig geärgert hat, dieser Kultursnobismus. Man hat auf uns herabgeblickt, weil unser Publikum angeblich viel zu alt ist. Heute könnte man sagen: das ist eine Form von Altersdiskriminierung. Mir ist jede:r Zuschauer:in willkommen! Egal wie alt sie sind und wie sie sich die Haare färben. Manchmal habe ich das schreckliche Gefühl, dass es mir noch immer nicht gelungen ist...
Was ist nicht gelungen?
Föttinger
Den Leuten klar zu machen, dass es darum geht was auf der Bühne passiert und nicht darum, wer im Zuschauerraum sitzt. Das Theater also von diesem Ruf zu befreien indem man das Thema als unsinnig entlarvt. Damit bin ich nicht fertig geworden. Aber mein Entschluss stand immer fest, dass ich mit 65 aufhöre und ich tue das auch aus freien Stücken. Ich bin wirklich erschöpft. Und es muss auch einmal Schluss sein.
Erschöpft generell oder wegen der Anschuldigungen?
Föttinger
Die sind nur eine Randnotiz meiner Direktionszeit.Wenn ich durch das Haus gehe, dann denke ich darüber nach, was hier in den letzten zwanzig Jahren passiert ist. Wir haben einen völlig neuen Spielplan gemacht. Wir sind ein Uraufführungstheater geworden, wir haben zwei Häuser renoviert, zwei Probebühnen installiert. Und die Kammerspiele sind ein literarischer Ort geworden, wo wir vergangene Woche mit Daniel Kehlmanns „Ostern“ eine Uraufführung gefeiert haben. Mit diesem Bewusstsein gehe ich hier durch die Gänge. Es wäre doch fürchterlich, wenn diese unerfreuliche Causa, die von den Medien aufgeblasen wurde, meine Direktionsära komplett überschatten würde.
Fühlen Sie sich von allen Medien ungerecht behandelt?
Föttinger
Anstand bewiesen die „Presse”, „news“ und das „profil”. Und das sage ich nicht, weil das jetzt ein profil-Interview ist. Ansonsten kann man sich nur die Frage stellen: Warum recherchiert keiner ordentlich? Und warum wird, ohne zu hinterfragen, oft einfach nur behauptet oder abgeschrieben? Und dann kommt der digitale Wahnsinn noch obendrauf, wo jeder unwidersprochen alles sagen kann.
Wenn Sie jetzt durch das Haus in Ihrem letzten Jahr gehen, schwingt da Melancholie mit?
Föttinger
Melancholie ist das falsche Wort, mich überfällt keine Traurigkeit. Man kann nicht seinen Abgang ankündigen und dann, wenn es so weit ist, in der Ecke sitzen und weinen. Aber ehrlich gesagt, bin ich erleichtert, dass ich diese Entscheidung getroffen habe. 20 Jahre sind genug.
Ihre letzte Rolle in Ihrer Amtszeit wird der Librettist Lorenzo da Ponte in einer Turrini-Uraufführung sein – eine Figur, die sich nach Unsterblichkeit sehnt und ihren Bedeutungsschwund fürchtet. Haben Sie vor letzterem Angst?
Föttinger
Ich denke, dass die Bedeutung von Bedeutungsschwund überschätzt ist. Aber ich kann noch nicht sagen, wie ich damit umgehen werde. Wenn Sie wollen, schreibe ich Ihnen im Oktober 2026 und sage Ihnen, wie‘s mir geht.
Sind Sie eigentlich jemand, der in der Lage ist, sich zu entschuldigen, wenn er bei Mitarbeitern übers Ziel geschossen hat?
Föttinger
Selbstverständlich und sofort. Wenn mir jemand kommuniziert, dass ich ihn gekränkt und verletzt habe, suche ich das Gespräch und entschuldige mich. Glauben Sie tatsächlich, dass ich jemand mit Absicht demütigen möchte?
Das hoffe ich nicht. Aber es ist bekannt, dass Sie im Umgang mit Schauspielern und Schauspielerinnen sehr laut werden können.
Föttinger
Und? Waren Sie dabei?
Nein.
Föttinger
Na also. Aber ja: Ich bin ein impulsiver und lauter Mensch. Ich lobe zum Beispiel sehr laut. Ich schreie hinauf: „Ihr wart großartig!” Habe ich gebrüllt? Ja, habe ich, aber dabei habe ich gelobt. Ich kann natürlich auch versuchen, jetzt nur mehr zu flüstern, und mich ganz klein zu machen. Aber das bin ich nicht. Und wie ich bin, in all meiner Leidenschaft und Impulsivität, hat dem Theater ja auch sehr viel gebracht. Es ging mir immer nur um die Sache.
Die Bilanz lautet, wie Sie in einem Interview sagten: 164 Siege, 71 unentschieden, 53 Niederlagen. Was fällt denn unter Niederlagen? Schlechte Kritiken?
Föttinger
Nein, die ärgern mich nur. Niederlagen sind, wenn ich es nicht geschafft habe, das Publikum so zu verführen, wie ich mir das eigentlich vorgestellt habe. Wie zum Beispiel bei dem siebenstündigen Stück „Das Vermächtnis”, eine herausragende Regiearbeit von Elmar Goerden. In München wurde das Residenz-Theater gestürmt, unser Publikum hat das leider nicht so angenommen, wahrscheinlich hat die Dauer zu sehr abgeschreckt. Wir spielen das Stück aber noch und es zahlt sich wirklich aus, also: kommen Sie!.
In Ihrem letzten Amtsjahr arbeiten Sie nicht mehr als Regisseur. Stimmt es, dass Ihnen das der Aufsichtsrat nahe gelegt hat?
Föttinger
Selbstverständlich. Die sind zu mir gekommen und haben gesagt: „Herbert, du darfst nicht mehr inszenieren.” Und daran halte ich mich auch.
Tatsächlich?
Föttinger
Ach Blödsinn, so ist das nicht gelaufen. Es war schon lange klar, dass ich mit dem Auftragswerk „Leben und Sterben in Wien“ von Thomas Arzt meine letzte Regiearbeit am Theater in der Josefstadt machen werde. Die Premiere war im März 2024, lange vor irgendwelchen Vorwürfen. Dass ich in der letzten Spielzeit nicht mehr inszenieren, hat also nichts mit dem Aufsichtsrat zu tun. Das Stück von Thomas Arzt thematisiert den Faschismus der Zwischenkriegszeit, es wurden entsprechende Lieder wie die „Die Arbeiter von Wien” auf der Bühne gesungen. Das war, wenn Sie so wollen, mein sozialdemokratisches Vermächtnis.
Ein Kritikpunkt an Ihrem Führungsstil war auch, dass Sie durch Ihre Auftritte als Schauspieler zusätzlich zu Ihrem Direktionsgehalt viel verdient haben.
Föttinger
Ich bekomme Spielgeld und das ist ein völlig normaler Vorgang. Ich bin nicht Mitglied des Ensembles, sondern werde als Gast geführt. Gäste bekommen an sich auch eine Gage für die Probenzeit, die habe ich natürlich nicht bekommen. Eine Regiearbeit im Jahr ist in meinem Direktorengehalt inkludiert, für eine etwaige zweite bekäme ich soviel, dass Sie weinen würden, wenn ich Ihnen die genaue Summe sage.
Aus Mitleid?
Föttinger
Natürlich aus Mitleid. Im Vergleich zu dem, was andere Regisseur:innen für Ihre Arbeiten bekommen, ein wirklich lächerlicher Betrag.
Im Zuge des bevorstehenden Amtsantritts von Marie Rötzer mit Herbst 2026 wurden auch 18 Ensemblemitglieder nicht verlängert, darunter die Doyenne des Hauses Marianne Nentwich und Ihre Frau Sandra Cervik, und zehn Personen aus anderen Abteilungen.
Föttinger
Alles, was ich dazu zu sagen habe, habe ich bereits dem Aufsichtsrat mitgeteilt.
Würden Sie es bitte hiermit noch einmal tun?
Föttinger
Ich habe gesagt, dass es nicht schön ist, wie würdelos hier mit Menschen umgegangen wird, die auf und hinter der Bühne einen jahrzehntelangen Verdienst um dieses Haus haben. Aber schauen Sie, das ist jetzt auch nicht mehr mein Thema. Mir liegt viel an einer reibungslosen Übergabe und ich bin jederzeit für Gespräche bereit um mit Rat und Tat zu einer glücklichen Zukunft des Theaters in der Josefstadt beizutragen. Ich habe nicht 20 Jahre wie ein Verrückter gearbeitet, dass dieses wunderbare Theater wieder in Turbulenzen kommt, dass unser wunderbares Publikum, das uns so lange, so treu geblieben ist, sich ein anderes Theater sucht. Ich wünsche Marie Rötzer alles Glück mit diesem Haus. Und dieser Wunsch kommt aus tiefstem Herzen.