Judith Holofernes
Interview

Judith Holofernes: "Ich habe übersehen, dass ich keine übermenschlichen Kräfte habe"

Judith Holofernes wurde als Frontfrau der deutschen Band Wir sind Helden berühmt. Ein Gespräch über ein Popstarleben mit Kinderbetreuungssorgen, das schleichende Ende ihrer Naivität und die ungeklärte Frage, wie man sich im Musikbusiness selbst treu bleiben könnte.

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"Kuckuck", sagt Judith Holofernes am anderen Ende der Zoom-Leitung. Die Musikerin und Autorin, bekannt geworden Anfang der 2000er-Jahre als Frontfrau der deutschen Indie-Rockband Wir sind Helden, sitzt in ihrer Berliner Arbeitswohnung und spricht über ihre soeben erschienene Autobiografie "Die Träume anderer Leute". An ihrer Seite: ihre Hündin Lupita und die Erkenntnis, dass sie inzwischen genügend Zeit für lange Spaziergänge hat, ganz gut ohne Pop-Business leben und ihre Kunst mittels Crowdfunding finanzieren kann. In "Die Träume anderer Leute" geht es, untypisch für Ex-Rockstars, keineswegs um die Zeiten des Ruhms und der Exzesse, sondern um das Leben nach den Auftritten bei Rock am Ring und "Wetten, dass...?", den ausverkauften Tourneen und gut dotierten Plattenverträgen. Holofernes, 45, berichtet über ihren kaputten Körper und ihr Burnout; erzählt, wie sie den Tourbus für ihre damals kleinen Kinder umbauen ließ und wie sie irgendwann einsah, dass sie ihre eigenen Popstarträume nach zwölf Jahren und vier Alben an den Nagel hängen musste. "Am Mount Everest sterben die meisten Leute beim Abstieg", notiert sie in "Die Träume anderer Leute".

Frau Holofernes, in "Die Träume anderer Leute" schildern Sie Ihren Rückzug aus dem Popstar-Leben, der auch gesundheitliche Gründe hatte. Können Sie schon wieder Interviews geben?
Holofernes:
Ich mache noch immer Stimm- und Körpertherapie und muss bei längeren Arbeitsphasen darauf achten, dass ich entspannt bleibe. Die Bücherwelt ist viel gelassener als das Popgeschäft. Als Autorin ist es voll okay, sich mal drei Jahre zurückzuziehen und an einem neuen Buch zu schreiben.
Mit Ihrer Band Wir sind Helden galten Sie als Antithese eines Popstars, schrieben Songs über Verweigerung, Nonkonformismus und das Neinsagen. Wie sind sie dennoch in diese Maschinerie gestolpert?
Holofernes
Das ist die alte Frage: Was passiert mit subversiven Kräften, wenn sie in den Kommerz eingespeist werden? Man darf nicht vergessen: Als Band, die ohne Plattenvertrag ihren ersten Hit gelandet hat, waren wir unglaublich frei, haben vieles ausgeschlagen oder abgesagt. Für uns war das ein Best-Case-Szenario. Im Buch geht es um meine Achillesferse: den Willen, es den Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, stets recht zu machen. Daraus ist diese paradoxe Spannung entstanden: Als Popstar konnte ich im Radio eine dicke Lippe riskieren und mich selbst über Jahre völlig kaputtarbeiten.
Judith Holofernes

Musikerin und Autorin Holofernes: "Ich war noch nicht bereit, dieses Leben aufzugeben."

Am Zenit Ihres Erfolgs haben Sie den Drummer Ihrer Band geheiratet, zwei Kinder bekommen und sind als Familie auf Tournee gegangen. Warum haben Sie sich keine Pause gegönnt?
Holofernes
Ich war getrieben. Ich hatte den starken Drang, mir selbst und den anderen zu beweisen, dass Familie und Popstar-Leben miteinander vereinbar seien. Außerdem hatte ich befürchtet, dass ich den Weg zurück ins Musikgeschäft nicht schaffen würde, dass ich das Rad, diese Band unbedingt am Laufen halten müsste. Man darf nicht vergessen: Das Leben als Musikerin war mein Jugendtraum. Ich war noch nicht bereit, dieses Leben aufzugeben.
In den letzten Jahren ist die Popwelt weiblicher und diverser geworden. War die Zeit damals vielleicht noch nicht reif für Ihr Lebenskonzept?
Holofernes
Das würde ich jungen Künstlerinnen und Künstlern wünschen. Das Leben als Popstar unterscheidet sich ja gar nicht so sehr von einem anderen Beruf, wenn es um Kinderbetreuung geht. Eltern sind stets am Rande des Machbaren. Es gehört Mut dazu, beim Elternabend die Frau zu sein, die sagt, sie habe keine Zeit, diese Arbeit auch noch zu übernehmen. Ich habe selbst übersehen, dass ich keine übermenschlichen Kräfte habe.
Kann man überhaupt unbeschadet durch das Pop-Business kommen?
Holofernes
Das Geschäft ist nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die meisten Bands oder Künstler halten ohnehin nicht länger als ein paar Jahre durch. Ich vergleiche das gern mit der Politik. Da ist es auch schwer, nachhaltig zu denken, wenn man alle vier Jahre abgewählt werden kann.
Ist man als Musikerin auch eine Art Spitzensportlerin?
Holofernes
Spitzensportlerinnen wissen von Anfang an, dass früher oder später Schluss ist. Niemand, der in der NBA spielt, denkt, dass er das mit 40 noch machen kann. In der Musik sieht man immer die paar Leute, Koryphäen wie Patti Smith, die es über Jahrzehnte schaffen, eine nachhaltige Karriere zu haben. Die zehn Jahre, die mit Drogensucht oder Familienaufzucht verbracht werden, blendet man dann gerne aus.

 

Die Band Wir sind Helden

Band Wir sind Helden: "Wir waren jung, es war ein totaler Rausch."

Sind Sie mit Wir sind Helden zu erfolgreich geworden?
Holofernes
Die gläserne Decke spürt man erst, wenn man sie berührt. Schlechtreden will ich die Helden-Zeit aber nicht. Das hat unglaublich viel Spaß gemacht, wir waren jung, es war ein totaler Rausch. Die Probleme beginnen in der Karriere erst, wenn man nicht mehr überall mitmacht, wenn man beginnt, sich quer zu stellen. Die Wucht dieser Maschinerie, die Vorschüsse, die Erwartungen, die Energie, spürt man erst, wenn man als Produkt nicht mehr ganz kompatibel ist.
Hätten Sie Ihren Ruhm nicht viel unverschämter ausnutzen können?
Holofernes
Bands wie das britische Pop-Duo The KLF haben die Kohle sprichwörtlich verbrannt. Auch mir haben Menschen gesagt: Nimm doch das Geld und lauf! Im Grunde wusste ich, dass mich ein Vertrag bei einer großen Plattenfirma nur unfrei machen würde. Und dann wird dir suggeriert, dass du mal wieder ein Lied schreiben müsstest, das alle verstehen-immerhin würden Arbeitsplätze von einem Hit abhängen.
Judith Holofernes und Philip Dulle

Judith Holofernes im Gespräch mit profil-Redakteur Philip Dulle

Spüren Sie Verantwortung gegenüber Ihren Fans?
Holofernes
Mein Mann machte Andeutungen, dass ich hin und wieder meinem eigenen Heiligen-Komplex erlegen bin. Ich sehe mich als Teenagerin, die eine tiefe Verbundenheit zur Musik verspürt hat. Als Musikerin wollte ich nie kaltschnäuzig oder weniger verbindlich sein. Das klingt jetzt furchtbar kitschig, aber den absurden Erfolg, den wir hatten, hatten wir wegen der Reinheit unserer Herzen.
Sie schreiben, dass aus Musikliebe irgendwann Liebeskummer wurde.
Holofernes
Das ist glücklicherweise vorbei. Wenn ich heute erfolgreiche Bands auf Instagram sehe, scrolle ich nicht mehr weiter, als würde ich ein Foto von einem Ex-Freund sehen. Ich bin nur ein wenig erleichtert, dass ich das selbst nicht mehr machen muss. Ich fange wieder an, Musik zu hören, erstelle Playlisten und singe wieder. Die beste Vorbeugung gegen Bitterkeit ist ohnehin, wenn man sich erlaubt, hin und wieder traurig zu sein.

 

Am Ende Ihres Buchs unterschreiben Sie mit: "The artist formerly known as Judith Holofernes".
Holofernes
Für mich funktioniert das wie ein Voodoo-Zauber. Es hat ein großes, starkes Zeichen gebraucht, um zu sagen: Ich werde mein künstlerisches Schaffen nicht mehr einer Karriere unterordnen.
Heute kann man sagen: Sie haben das Popgeschäft überlebt ...
Holofernes
... und das ist in meinem Beruf keine Selbstverständlichkeit. Die Risiken sind groß.
Judith Holofernes: Die Träume anderer Leute

Judith Holofernes: Die Träume anderer Leute.

Kiepenheuer & Witsch. 416 S., EUR 24,70

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.