Szenenbild aus "2001 - A Space Odyssey"
Kosmische Oper

Kosmische Oper: Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltall"

Der schwarze Monolith des Kinos: Vor 50 Jahren wurde Stanley Kubricks Science-Fiction-Philosophicum "2001 - Odyssee im Weltall" einer ratlosen Weltöffentlichkeit präsentiert - ein Avantgardefilm im Blockbuster-Format.

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Der Schauspieler Rock Hudson hatte entnervt das Weite gesucht, lange bevor der Film sein mysteriöses Ende fand. Er war keineswegs der Einzige, der am 4. April 1968 während der Hollywood-Premiere des Science-Fiction-Epos "2001 - A Space Odyssee" vorzeitig geflüchtet war. Man möge ihm doch bitte erklären, "wovon zur Hölle dieser Film eigentlich handelt", habe Hudson bei seinem Abgang vernehmlich gemurmelt, berichtet der Kritiker Roger Ebert, der an jenem Abend ebenfalls zugegen war.

Worauf Stanley Kubricks "2001" hinauswill, ist tatsächlich nicht leicht erklärt, auch heute nicht, da das Werk längst als Klassiker seines Genres gilt und in unzähligen Listen der besten Filme aller Zeiten an vorderster Front aufscheint. Denn "2001" ist ein Film, den es - gemessen an den Gesetzen der Industrie - gar nicht geben dürfte: ein Stück Avantgarde im Cinerama-Breitwandformat, ein philosophisch-verqueres Hightech-Spektakel, bezahlt von dem Hollywood-Unternehmen Metro-Goldwyn-Mayer, gedreht in den englischen Borehamwood-Studios der MGM.

Stanley Kubrick, der im kommenden Juli 90 Jahre alt geworden wäre (er starb 1999), genoss nach seinen vergleichsweise kostengünstig produzierten Erfolgsfilmen "Lolita" (1962) und "Dr. Strangelove" (1964) das Image des smartesten und erfinderischsten Regisseurs der USA, was ihm maximale kreative Freiheit bescherte. Der in der New Yorker Bronx geborene Wahlbrite reagierte mit dem Projekt "2001" auf das space race, dass USA und Russland seit den frühen 1960ern veranstalteten. Der Film erreichte die Kinos noch vor der ersten bemannten Mondlandung im Juli 1969, deren angeblich fiktionale Fernsehübertragung diverse Verschwörungstheoretiker ironischerweise auch Stanley Kubrick unterstellen sollten.

Ästhetischer Irrwitz

Die "Odyssee im Weltraum" begann als Kollaboration mit dem SciFi-Romancier und Zukunftstheoretiker Arthur C. Clarke, den Kubrick kontaktiert hatte. Gemeinsam erdachten sie eine Erzählung, der eine eher wissenschaftliche als dramatische Struktur zugrunde lag. Ein auf dem Mond vergrabener, vier Millionen Jahre alter Monolith, dessen Strahlung auf den Planeten Jupiter gerichtet ist, ruft eine Weltallmission auf den Plan. "2001" löst, gemächlich in Szene gesetzt, das Rätsel dieser Expedition nicht, bezieht auch seine Spannung nicht aus dieser Frage, sondern allein aus dem ästhetischen Irrwitz, den er in aller Ruhe entfesselt, aus den Kunstmitteln, die er einsetzt. Und Kubrick kam ohne die großen Stars der Ära aus, obwohl er zweifellos Zugriff auf diese gehabt hätte. Keir Dullea, Gary Lockwood und William Sylvester waren wenig populär, verlässliche Routiniers zwar, aber lediglich Vertreter der B-Garde Hollywoods.

Schon das Vorspiel, das den Film wie eine postmoderne Oper initiiert, ist als Maßnahme gegen das Blockbuster-Denken zu verstehen: Györgi Ligetis düster-atonales Stück "Atmosphères" leitet das erste, fast 20-minütige Kapitel der Erzählung ein, das in leeren Wüstenlandschaften spielt, vor der Entstehung des Homo sapiens auf der Erde. Rivalisierende Affenhorden kämpfen um eine Wasserstelle und stoßen auf einen glattpolierten schwarzen Monolithen. Es folgt, mit dem vermutlich berühmtesten Schnitt der Filmgeschichte, ein Sprung über Jahrmillionen hinweg: Der Knochen, den einer der Primaten in die Luft wirft, verwandelt sich in eine Raumstation, die um den blauen Planeten schwebt, begleitet vom Donauwalzer des Wieners Johann Strauß. Die Musik ist ein Schlüssel zum Verständnis dieses Films: Neben zwei weiteren Ligeti-Kompositionen verwendet Kubrick den hymnischen Anfang von Richard Strauss' "Also sprach Zarathrustra" sowie ein Stück des sowjetischen Komponisten Aram Chatschaturjan. Der erste Dialog erfolgt in Minute 25. Das modernistische Sixties-Design passt perfekt zu den visuellen Effekten, an denen Douglas Trumbull entscheidenden Anteil hatte. Für die special effects gab es wenig später einen Oscar - den einzigen, den Kubrick je bekam.

"2001" nimmt nicht zuletzt den elektronischen Überwachungsterror vorweg, an dem die Welt heute leidet: Kubrick und Clarke entfachen im Mittelteil des Films das Duell des Menschen gegen eine sich fehlerlos wähnende, alles kontrollierende, potenziell mörderische Maschine. Das blutrote Sichtfeld des mit sanfter Männerstimme kommunizierenden Bordcomputers HAL 9000 wird zum Alarmsignal, der Kampf eskaliert, der Großrechner versucht, seine menschlichen Widersacher zu beseitigen.

Kubricks Panik

Das finale, praktisch erzählungsfreie Kapitel des Films ("Jupiter and Beyond the Infinite"), das die letzte halbe Stunde einnimmt, beginnt mit einem am Rande der Abstraktion choreografierten Tanz der Sterne und Planeten, gefolgt von einer achtminütigen Farbrauschsequenz, die von einer Dimension in die nächste führt, zum Jupitermond. In seinem Raumschiff gerät der einsame Held in einen Sog aus kosmischem Licht, aus Sternennebeln und meta-biologischen Bildwelten. Kubricks psychedelischer Surrealismus kulminiert in einer alptraumhaften Szene, in der sich Keir Dullea im feuerroten Raumanzug in einer neoklassizistisch möblierten Suite mit weißem Disco-Leuchtboden und geparkter Raumkapsel wiederfindet. Er altert rapide, wie abgespalten von sich selbst, vor seinen eigenen Augen. Der sterbende Astronaut blickt aus dem Bett auf einen letzten schwarzen Monolithen - und verwandelt sich in einen Fötus, der schließlich aus dem All, begleitet wieder vom Pathos des "Zarathustra"-Stücks, auf die Erde blickt. Für das Innere des Hauptraumschiffs ließ Kubrick eine Zentrifuge bauen, die 750.000 Pfund kostete, um mit optischen Täuschungen und Rotationselementen spielen zu können. Die offenbare Selbstgefälligkeit, ja Maßlosigkeit Kubricks mag irritieren (und für die ebenso maßlose Ablehnung durch weite Teile der Branche und der Kritik gesorgt haben), aber die Faszination dieses Films, der selbst wie ein unerklärliches gefundenes Objekt erscheint, war schon damals nicht zu leugnen. Die Starkritikerin Pauline Kael diffamierte "2001" dennoch als "größten Amateurfilm aller Zeiten", der nicht nur "monumental fantasielos", sondern in seinem Plot auch "glorios redundant" sei. Die Weltpremiere des 161-minütigen Films am 2. April 1968 im Uptown Theater in Washington, D.C., sei "furchterregend" gewesen, erzählt Christiane Kubrick, die Frau des Regisseurs. Reihenweise seien Hollywoods Studiobosse während der Projektion abgewandert, weil sie den Film einfach nicht verstanden. Kubrick verlor danach in Panik seine Stimme, schlief die ganze Nacht nicht, aber er reiste weiter nach Los Angeles und New York City, zu weiteren lokalen Premieren seines Werks.

In den Wochen danach kürzte Kubrick "2001" um fast 20 Minuten. Dieses Material wurde erst 2010 in einem Archiv der Warner Bros. wiedergefunden; es wird wohl unveröffentlicht bleiben, da Stanley Kubrick die 143-Minuten-Version als die letztgültige anerkannte. Und er behielt Recht: "2001" wurde Kult, vor allem unter jungen Kinogängern, gehörte am Ende zu den lukrativsten Filmen des Jahres. Die halluzinogene Wirkung dieses überaus raffinierten Gedichts von den Wirren der Evolution und dem Ende der Menschheit, kennt kein Ablaufdatum. Das Jahr 2001, von dem er 1968 so berückend fantasiert hat, erlebte Kubrick selbst nicht mehr. Es hätte ihn vermutlich ohnehin enttäuscht.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.