Margot Robbie als Tonya Harding
Krimineller Eiskunstlauf: "I, Tonya"

Krimineller Eiskunstlauf: Die schräge Komödie "I, Tonya"

Wie die häusliche Gewalt in den Eiskunstlauf kam: Die Realsatire "I, Tonya" dokumentiert einen aberwitzigen sportlichen Kriminalfall - mit hoher komödiantischer Energie und einer Extraportion Zynismus.

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Der Begriff "White Trash" gehört nicht zu den menschenfreundlichsten Bezeichnungen im Repertoire der Populärsoziologie. Die verarmte weiße Bevölkerung in der nordamerikanischen Provinz hat es in der Regel keineswegs verdient, als "humaner Abfall" bezeichnet zu werden. Im konkreten Fall der Familie Harding mag man da eine Ausnahme machen: So viel Idiotie und Alltagsbrutalität, so viel Gemüt- und Beziehungsmüll wie in "I, Tonya" hat man in einer US-Kinokomödie schon lange nicht mehr gesehen.

Die aberwitzige Geschichte der Eiskunstläuferin Tonya Harding, die - von der profitsüchtigen Mutter buchstäblich in ihre Karriere geprügelt - in den späten 1980er-Jahren zum Star aufstieg, kulminierte Anfang 1994 unschön in einem Attentat: Ein Auftragstäter verletzte die Harding-Konkurrentin Nancy Kerrigan wenige Wochen vor ihrem Antritt bei den Olympischen Spielen in Lillehammer mit einem Schlagstock am Bein. Hardings Ehemann, ein zu massiver häuslicher Gewalt neigender Wohlstandsverlierer, hatte die Tat in die Wege geleitet, seine Frau entging als bloße Mitwisserin dem Gefängnis, nicht aber einer Verurteilung mit hoher Geldstrafe.

Der australische, in New York lebende Regisseur Craig Gillespie ("Lars and the Real Girl") legt in seinem - gemeinsam mit Drehbuchautor Steven Rogers entwickelten - Abriss dieser Ereignisse ein bemerkenswert hohes erzählerisches Tempo vor, das einen wohl auch davon ablenken soll, wie hoch das Maß an Zynismus ist, mit dem hier eigentlich operiert wird. Die aus Heiterkeitsgründen vorgetäuschte dokumentarische Grundierung des mockumentary macht den Gegensatz zwischen psychischem Elend und einer Welt aus Sitzpirouetten, doppelten Rittbergern und dreifachen Axeln noch schärfer.

Strikter Pointenzwang

Gillespie hat lange in der Werbeindustrie gearbeitet, das kann man den (da und dort allzu) fluiden Montagen seines Films ebenso ansehen wie dem strikten Pointenzwang seiner Inszenierung. Der knallige Pop-Soundtrack konzentriert sich seltsamerweise auf Songs aus den 1970er-Jahren, funktioniert jedoch in diesem Rahmen bestens - wenn man sich auch fragen kann, warum eine durchaus tragische Lebensgeschichte wie diese unbedingt ins Cartoonhafte übersetzt werden muss. Aber die handelnden Personen, bis in die Nebenrollen hinein großartig besetzt, verhalten sich tatsächlich derart lachhaft, dass man fast übersehen könnte, wie deprimierend das alles eigentlich ist.

Tonya Harding selbst erscheint als Opfer einer erstaunlich früh entgleisten Mutter-Tochter-Beziehung: Die empathiefreie Mama, die man charakterlich irgendwo zwischen Gulag-Aufseherin und Cruella De Vil einordnen muss, betreibt Ausbeutung und Strafvollzug in großem Stil: Die virtuose Schauspielerin Allison Janney ("The West Wing") wurde für ihr kaltschnäuziges Porträt der prolligen Harding-Mutter unlängst mit dem Oscar als beste Nebendarstellerin gewürdigt. Sie stiehlt der Titelheldin, gespielt von der ebenfalls hervorragenden Australierin Margot Robbie, ein paar entscheidende Szenen.

Tonya Harding ist so etwas wie die Inversion des amerikanischen Traums, der blonde Endel der sozialen Inkompetenz: Im Nachspann erscheinen die zentralen Protagonisten übrigens noch in kurzen, diesmal tatsächlich dokumentarischen Aufnahmen - und man erkennt: Viel Übertreibungskunst hat der Regisseur für diese wilde Geschichte dann doch nicht gebraucht.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.