Rückzugsgefecht. Kristen Stewart in „Spencer“.

Kristen Stewart als Prinzessin Diana: Royal Flush

In dem Film „Spencer“ wagt sich Kristen Stewart nun an die schwierigste Rolle ihrer Karriere: an ein Porträt der psychisch beschädigten Prinzessin Diana.

Drucken

Schriftgröße

Die Ehefrau des Thronfolgers sorgt für weihnachtliche Eklats. Die Rituale der königlichen Familie schlägt sie in den Wind, und auf die emotionale Kälte, die sie im strengen Rahmen des britischen Adels erfährt, reagiert sie mit Nervenkrisen und der Sehnsucht nach Ausbruch und Flucht. Zur Anpassung lässt sich Diana, Princess of Wales, nicht zwingen, denn auch wenn sie unsicher erscheint: Im Kampf um Autonomie, auch jene ihrer beiden Söhne, ist sie unbeirrbar.

Die Idee, Diana Spencer (1961–1997) mit der Amerikanerin Kristen Stewart zu besetzen, ist ein Clou. Eine Außenseiterin spielt hier die andere; als scheue Medienstars, Celebritys wider Willen, gelten beide. Und der Plan geht auf: In „Spencer“ (Kinostart: 
13. Jänner), einem Blick auf die britischen Royals aus ironischer Distanz, verschwimmen die Linien zwischen Realität und Fantasie, um eine Art Psychothriller mit untergründig scharfem Witz freizulegen. Stewarts ambivalentes Spiel hält die Balance zwischen emotionaler Wirkung und kritischer Vernunft. 

Seit 22 Jahren arbeitet Kristen Stewart, heute 31, als Schauspielerin. Die Gnade der geografisch korrekten Geburt lenkt sie früh in Richtung Filmset; in Los Angeles kommt sie im Frühling 1990 zur Welt. Ihre Hippie-Eltern arbeiten beide in den weniger glamourösen Etagen der Kinoindustrie, Kristen wächst mit ihren drei Brüdern im San Fernando Valley auf, nur eine halbe Stunde von der Parallelwelt Hollywood entfernt. Als Achtjährige spricht sie für ihre ersten Rollen in Werbespots und Fernsehfilmen vor. 2001 steht sie, kaum elf Jahre alt, erstmals in einer teuren Kinoproduktion vor der Kamera, in David Finchers Thriller „Panic Room“, an der Seite Jodie Fosters, die einst selbst ein Kinderstar war. 

Während die Filmcrew sich Sorgen um möglicherweise traumatisierende Aspekte der Inszenierung macht, findet Stewart selbst nicht viel dabei, ein von Einbrechern bedrängtes Kind und etwa einen brutalen epileptischen Anfall darzustellen. Mehr als täglich neun Stunden am Set werden ihr trotzdem nicht zugestanden. Am liebsten hätte sie dort übernachtet.

Ihre Liebe zum Kino ist seither nur größer geworden, ihre Ambition, als Schauspielerin Außerordentliches zu leisten, noch drängender. In weit über 40 Spielfilmen hat sie mitgewirkt, in französischen Autorenfilmen wie „Die Wolken von Sils Maria“ (2014) ebenso wie in pop-feministischen Unterhaltungsspektakeln wie „Charlie’s Angels“ (2019). Stewart, die heute zu den gefragtesten Schauspielerinnen der Welt gehört, mischt seit je Mainstream klug mit Arthouse, tritt nebenbei auch in Kurzfilmen und Musikvideos auf, nur Serienrollen hat sie kurioserweise bislang konsequent ausgeschlagen. 

Kristen Stewart ist alles andere als eine expressive Schauspielerin. Der introvertierte Naturalismus, den sie betreibt, stößt nicht nur auf Gegenliebe. Teile der internationalen Kritik taten Stewarts Understatement lange als „hölzern“ und „monoton“ ab. Aber gerade in der Sprödheit, in ihrem zurückhaltenden Stil liegt etwas ganz Ungewöhnliches: Sie unterspielt ihre Figuren, verlässt sich aber keineswegs nur auf ihr Charisma. Für ihre Rollen bereitet sie sich akribisch vor, um sich anschließend die Freiheit zu geben, instinktiv zu arbeiten, sich dem Chaos einer Filmperformance wirklich überlassen zu können. Ihre Dialoge lernt sie, um sie frisch zu halten, meist erst kurz vor dem Schlag der Klappe. So bewahren ihre Figuren, auch wenn manche Inszenierungen alles offenzulegen suchen, stets etwas Mysteriöses, einen unerklärten Rest, die Rätsel und Zufälligkeiten des Lebens.

Kristen Stewart hat die Aura eines Popstars. In ihrem Blick, den sie vor den Objektiven der Fotokameras gern aufsetzt, lodert die grimmige Entschlossenheit eines Riot Girl, einer Punk-Diva. Wenn sie von sich und ihrer Arbeit erzählt, streut sie gern großzügig Phrasen wie „fucking“ und „Dude“ (etwa: „Alter“) ein. 

Stewart ist schnell, heiter und ein bisschen linkisch, medial also bestens einsetzbar. Das Celebrity-Spiel beherrscht sie perfekt, ohne sich ihm je ganz zu überlassen: Sie ist modefixiert und trotzdem oft in Jeans und T-Shirt gekleidet, als „Botschafterin“ und Gesicht des Hauses Chanel ist sie seit Jahren aktiv. Ihre praktisch wöchentlich wechselnden Frisuren und Haarfarben beschäftigen die Gossip-Magazine unaufhörlich. Los Angeles, ihre Heimatstadt, dürfte sogar in ihrer DNA nachweisbar sein, das Kürzel L.A. ließ sie sich auf ihr Handgelenk tätowieren.

Zur Teenager-Ikone wurde Kristen Stewart 2008, mit dem Start der Fantasy-Reihe „Twilight“, in der es, nach Stephenie Meyers Romanzyklus, um das Treiben heroischer Vampire geht. Als Bella Swan, die – verliebt in einen Vampir (Robert Pattinson) – ihrer Entmenschlichung erstaunlich gelassen entgegensieht, verwandelte sie sich vom Emo-Girl in eine Standard-Superheldin. Künstlerisch gibt die Filmserie wenig her, für die Hauptdarstellerin aber war sie äußerst lukrativ: Für die beiden letzten „Twilight“-Episoden, veröffentlicht 2011 und 2012, erhielt Stewart 25 Millionen Dollar Gage – plus kolportierte 115 Millionen Dollar an Einspielbeteiligungen.

Kristen Stewart ist, vielleicht gerade weil sie ihre Parts so hintergründig anlegt, vielfältig besetzbar. 2010 spielte sie noch eine Rock’n’Roll-Legende in schwarzem Leder: Joan Jett, Frontfrau der Seventies-Band The Runaways. Es ist die erste von Stewarts Darstellungen berühmter Frauen; Jean Seberg und Diana Spencer folgten 2019 und 2021. Zwei Jahre nach „The Runaways“ wechselte sie erneut und fundamental  das Register: In „Snow White and the Huntsman“, einem dunklen Action-Update des Märchens, trat sie tatsächlich als Schneewittchen in Szene.

Das Gefühl, ein Superstar zu sein, wird sie inzwischen nicht mehr los. Wie JLo oder Brangelina hat sie längst ihr eigenes Kürzel in der anglophonen Society-Berichterstattung: K Stew. Sogar der einstige US-Präsident scheint besessen von ihr zu sein. Donald Trump twitterte, während er eigentlich die Vereinigten Staaten von Amerika durch schwere Zeiten lenken sollte, hasserfüllt über sie; aber nicht einmal, sondern gleich elf Mal – deutlich öfter, als er Antisemitismus öffentlich gebrandmarkt habe, wie es der Late-Night-Moderator Stephen Colbert unlängst formulierte. Im Herbst 2012 fand Trump also Zeit für eine wiederholte Empfehlung an Stewarts Noch-Partner Robert Pattinson; er solle sich schleunigst von Stewart trennen, weil sie ihn betrogen habe „wie einen Hund“ und es wieder tun werde („in ein paar Jahren wird er mir dafür danken“). Die Schauspielerin zeigte sich verblüfft von Trumps Aufmerksamkeit, auch wenn sie sich seine Antipathie ganz gut erklären konnte: „I’m so gay!“, erklärte sie in der Comedyshow „Saturday Night Live“ lächelnd. 

Ihre Verlobung mit der Drehbuchautorin Dylan Meyer, die sie zu heiraten plant, sorgte im vergangenen November für absehbares Rauschen im Boulevardblätterwald. Dabei geht sie seit einem Jahrzehnt völlig offen und unspekulativ mit ihrer queerness um; Kristen Stewart passt in die Gegenwart und die Welt, in der sie lebt, ohne sich passend zu machen – ein Identifikationsangebot für die Millennials, ein Star neuen Zuschnitts. In David Cronenbergs futuristischem Body-Horror-Thriller „Crimes of the Future“, den er im Spätsommer 2021 in Griechenland gedreht hat, wird sie demnächst zu sehen sein, neben Léa Seydoux und Viggo Mortensen. 
Sean Penn, für den sie 2007 in „Into the Wild“ eine Rolle gespielt hat, habe in ihr die Lust geweckt, selbst Filme zu inszenieren, sagt Stewart. Gerade bereitet sie ihre erste große Regiearbeit vor, eine Adaption der wilden Memoiren Lidia Yuknavitchs: „The Chronology of Water“. Sie glaube nicht, dass sie jemals aufhören werde, in Filmen aufzutreten, meint sie noch: Sie wüsste nicht, was sie ohne das Kino anfangen sollte.

Für „Spencer“ hagelt es seit Monaten Preise, und es werden wohl noch mehr werden: Einen Golden Globe als beste Schauspielerin in einem Kinodrama könnte Stewart demnächst schon, nämlich in den frühen Morgenstunden des 10. Jänner, entgegennehmen – gut möglich, dass sie Ende März dann auch ihren ersten Oscar erhalten wird. 

Gedreht wurde die royale Tragikomödie in deutschen Schlössern in den pandemischen Wochen Anfang 2021. Der Drehbuchvirtuose Steven Knight („Peaky Blinders“) ist übrigens der einzige Brite in dem Quartett, das „Spencer“ entscheidend geformt hat: Die französische Kamerafrau Claire Mathon hat Stewarts Diana-Nachempfindungen auf Filmmaterial gebannt, auch ihr Blick fiel, wie jener des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín, gleichsam von außen auf diese Geschichte. 

Überraschende Rekapitulationen des Lebens historischer Figuren sind Larraíns Spezialität. „Jackie“, ein Krisenporträt der Kennedy-Witwe, und die surreale Politfantasie „Neruda“, beide veröffentlicht 2016, sind so etwas wie Neuerfindungen der alten Form der Filmbiografie. Man könne Menschen nicht porträtieren, meinte Pablo Larraín in einem profil-Gespräch damals: „Man kann an der Idee, ein reales Leben auf die Leinwand zu bringen, nur scheitern.“ So habe er keinen Film über den Dichter Pablo Neruda gedreht, sondern einen à la Neruda: „Wir haben nicht gesagt: Das ist Neruda. Sondern: Willkommen in Nerudas Welt! Willkommen in seinem Kosmos, seiner Vision. Ich habe selbst keine Ahnung, wer der Typ war.“  

So ähnlich muss Larraín auch für „Spencer“ vorgegangen sein, und er hat sich dabei von der Fernsehroutine der populären Serie „The Crown“ ferngehalten. Seine Heldin ist eine scheue, unter dem Druck der Verhältnisse verkrampft gewordene Diana. Kristen Stewart spielt sie als Verlorene und Einzelgängerin: Allein in ihrem offenen Sportwagen verirrt sie sich gleich anfangs auf den Landstraßen. Den Akzent und die Manierismen einer psychisch angespannten jungen Frau bringt Stewart bestens über die Leinwand, konzentriert sich auf Dianas Schüchternheit und Melancholie, auch auf deren Depressionen: „Spencer“ ist das Psychogramm einer vor dem Absprung stehenden Kämpferin um die eigene Freiheit.

Neben zwangsläufig Fantasiertem findet sich in diesem Film viel Recherchiertes, etwa Dianas zornige Flucht in Selbstverletzungen und Bulimie. Auch eines der Filmplakate zu „Spencer“ zeigt die verzweifelte Diana abgewandt, im weißen Prachtkleid, mit der Stirn an der Klobrille. Im Poker gilt ein Royal Flush als unschlagbar, in der Leidensgeschichte der Princess of Wales war der alltäglichere „flush“, die Toilettenspülung, die einzige Chance auf Abfuhr und Erleichterung.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.