Laut Fragens Album "Facetten des Widerstandes": Verstörung, ja bitte!

Es gibt sie noch, die politische Musik. Das Elektro-Post-Punk-Duo "Laut Fragen" zeigt mit "Facetten des Widerstandes" wie sie klingt und verstört.

Drucken

Schriftgröße

Spielte die Band "Laut Fragen" dieser Tage ein Konzert - was aus bekannten Gründen nicht geht - würde es sich so anhören: shreddernde Post-Punk-Gitarren, treibende Synthie-Sounds und düstere Klangfiguren. Darüber, dazwischen, darunter wütend-euphorisch-trotzig-stolzer Gesang, Sprechgesang, Geschrei. Das Publikum würde kopfwippend Bier in der Hand halten und immer wieder mal - weil es nicht anders kann - die Texte mitsingen. "Vierundsechzigvierunddreißig/Eine Nummer war einmal" oder "Nie wieder! Nie wieder!" Nach dem Konzert würde man vor dem Klub stehen, sich eine Zigarette anzünden und sich in der Gruppe wohlwollend zunicken. "Electro-Post-Punk at its best, angereichert mit Streichern und Saxophon", würde man unausgesprochen in die Runde nicken; die Texte immer noch im Kopf: "Nie ..."

Doch dann - wenn die Zeilen sich ein paar Mal im Kopf gedreht haben - hielte man zum ersten Mal inne. Die Musik wird leiser und die Fragen lauter. Verunsicherung, ein bisschen Beklemmtheit würden sich breit machen.  Gedanken kommen. Wie war das nochmal? "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Zuerst geht der Hitler und dann die Partei". Mh. Und das andere Lied? "Ihr seid das Heute! Heute wird gestern.Wir sind das Morgen! Morgen wird heute!" Und dann würde man es merken: Diese Musik reißt mit, bewegt, treibt an - und verstört im selben Moment. Denn die Texte, die hier von einem fein-arrangierten Post-Punk-Sound getragen werden, erzählen von Widerstand, Hoffnung im Konzentrationslager und Solidarität in düsteren Zeiten. Es gibt sie also noch, die politische Musik. Bezeichnenderweise greift sie dabei auf historische Texte zurück.

Elf Texte des Widerstandes gegen Nationalsozialismus und Austrofaschismus haben Maren Rahmann und Didi Disko auf ihrem Album "Facetten des Widerstandes" vertont. Es sind Gedichte, Erinnerungen und Erzählungen von mutigen Menschen, deren Namen selten in Geschichtsbüchern zu finden sind. "Der Fokus lag auf Widerstandsgeist und Lebenswillen", erzählt Maren Rahmann im Gespräch mit profil. "Viele Texte fielen aus, weil die Sprache sehr veraltet oder pathetisch klang oder einfach nicht für ein Songformat tauglich war. Und wir wollten den Anteil an Texten, die sehr niederdrückend und hoffnungslos sind - und davon gibt es viele - gering halten", fügt Didi Disko an.

Das Lied "Schlurf" zum Beispiel erzählt von einer Jugendkultur, die sich gegen die NS-Gleischschaltung in Kleidung und Denken auflehnte. Übergroße Sakkos, lange, pomadisierte Haare, bunte Hemden oder Pullover, Krawatten oder Halstücher in grellen Farben prägten den Stil der Schlurfs. Im Song kommt dazu Paul Vodicka, Wiener Widerstandskämpfer und Zeitzeuge, zu Wort. "Wir haben versucht, uns in die Situation der Schreibenden hineinzudenken. Diese Stimmung wollten wir in die Musik übertragen", sagt Rahmann.

"Combat" wiederum erzählt die Geschichte von Herbert Traube, der von Wien nach Frankreich geflüchtet war, später verhaftet und in einem Viehwaggon nach Auschwitz deportiert wurde. Traube konnte jedoch auf der Fahrt entkommen. Für die Vertonung haben die beiden den Überlebenden getroffen. Die Band dazu: "Combat ist ein Beispiel, wo wir sehr lange für die Umsetzung gebraucht haben, weil die Geschichte so stark ist und wir sie von Herbert Traube selbst erzählen lassen. Wir haben nervös auf die Reaktion des mittlerweile 96-Jährigen gewartet." Traube, so die beiden, habe sich über das Ergebnis gefreut und ihnen geschrieben: "Schön, dass Sie mich nicht vergessen haben! Der kleine Ausschnitt aus unserem Gespräch ist gut ausgewählt, die musikalische Begleitung beeindruckend, hoffentlich werden es viele Leute zu hören bekommen, was ja der Grund der Sache ist!“

 

Das musikalisch Spannende an "Facetten des Widerstandes" ist, dass die Electro-Punk-Grundierung immer wieder durchbrochen, verlangsamt, erweitert, aufgelöst wird, ohne an Dringkichkeit zu verlieren. „Junge Partisanin" klingt wie ein Film-Soundtrack, "Staub von Städten" ist eine fast schon folkige Ballade, "Vergessen" hat einen psychedelischen Touch. Zu diesen Texten hat einfach kein Elektro-Punk gepasst", sagt Rahmann, die den Großteil der elf Stücke singt bzw. spricht, während ihr Bandkollege Didi Disko sich vorrangig um die Musik kümmert. 

Dieses musikalische Kunststück macht "Facetten des Widerstandes" zum eindringlichsten Album des Jahres 2020. Und das mit Texten, die rund 80 Jahre alt sind. Gleichzeit - und hier taucht wieder die Verstörung auf - scheuchen die Songs den aktuellen Zeitgeist an die Oberfläche: unruhig, angespannt, in Bewegung, aussichtslos, widerständig, beklemmend, hoffnungsfroh. Was verbindet den Menschen von damals mit dem Menschen von heute? "Ich bewundere die Kraft, mit der die Menschen unter schwierigsten Umständen den Widerstandsgeist, aber auch den Sinn für Kunst und Schönheit bewahrten", antwortet Rahmann. Und fügt an: "Wir brauchen Musik als Utopie gegen die täglichen politischen Zumutungen. Wir sind immer auf der Suche nach Hoffnungsschimmern, nach Ideen, wie wir diesem Wahnsinn entkommen können."

Ein Anfang wäre "Laut Fragen" bald live sehen zu können und sich nach dem Konzert - nach dem Mitsingen, Mitwippen und Mittrinken, nachdem sich die Verstörung etwas gelegt hat - die Frage zu stellen: Wohin von hier aus?

 

"Facetten des Widerstandes" ist bei Numavi Records erschienen.