Noch immer auf Mission: Tom Cruise als Agent Ethan Hunt

Mission Impossible Rogue Nation: Denkmal der künstlichen Schmerzen

Mission Impossible Rogue Nation: Denkmal der künstlichen Schmerzen

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Wenn Hollywood von der Hinrichtung des österreichischen Bundeskanzlers durch ein Terrorkommando in der Wiener Staatsoper phantasiert, sind handfeste ökonomische und touristische Interessen nicht ausgeschlossen. Während Puccinis Liebes- und Enthauptungsoper „Turandot“ läuft, wird in „Mission Impossible: Rogue Nation“ ein – natürlich fiktiver – Kanzler erst in seiner Loge angeschossen, anschließend von einer Autobombe zerfetzt. Man darf dies verraten, da es bereits nach einer knappen Dreiviertelstunde passiert und keineswegs als dramatischer Höhepunkt gesetzt ist, fast nebenbei stattfindet.

Der fünfte Teil der „Mission Impossible“-Franchise (weltweiter Kinostart: 6./7. August) ist der Wiederaufguss einer Reprise, die zum IMAX-Einerlei erstarrte Action-Zerstreuung. Vor zwei Jahrzehnten hatte sich Regisseur Brian De Palma daran gemacht, den Fernsehserienklassiker der späten 1960er-Jahre („Kobra, übernehmen Sie“) fürs Kino neu aufzuwärmen.

Man zögert allerdings ein wenig, für das, was Cruise in diesem Film tut, den Begriff Schauspiel zu verwenden

Hauptdarsteller und Koproduzent Tom Cruise, 53, ist seit 1996 als Ethan Hunt dabei, ein unverbrüchlicher, ewig jugendlicher, aber immer maskenhafter, statuarischer agierender Protagonist – er wird erschossen, er ertrinkt und verunfallt, wird im Zweifelsfall einfach wieder reanimiert: ein Denkmal der künstlichen Schmerzen, eine Ikone der Unsterblichkeit.

Wer den Groschenromannamen Ethan Hunt trägt, muss diesem auch gerecht werden: So jagt, springt, stürzt und rast der Held der „Mission Impossible“-Serie von einer Szene zur nächsten. Man zögert allerdings ein wenig, für das, was Cruise in diesem Film tut, den Begriff Schauspiel zu verwenden. Denn tatsächlich stellen nur seine Partner tatsächlich etwas dar, das über die bloße Filmstarpose hinaus weist – vor allem der heiter-nerdige Kollege Simon Pegg und die sehr schlagkräftige Rebecca Ferguson (sowie im Schurkenbereich auch Sean Harris) geben ihren Figuren mit breiten Pinselstrichen einige Wirkung.

Rezept- und Formelkino, ein choreografiertes Episodenspektakel, das auf die ältesten Tricks seines Genres vertraut

In Österreich wurde im Sommer 2014 ein paar Tage lang gedreht, vor und in der Staatsoper, auch in der U-Bahn-Station Schottenring. Viel mehr als eine immerhin 25minütige Episode gibt Wien im fertigen Film daher nicht ab. Während „Turandot“ läuft, klettert Cruise als Phantom der Oper über Schnürboden und schwebende Lichtinstallationen, liefert sich leise Faustkämpfe mit einem – wie in Hitchcocks „Der Mann, der zu viel wusste“ auf einem bestimmten Punkt der Partitur wartenden – Heckenschützen; die „Nessun dorma“-Arie wird hier unversehens zum filmindustriellen Imperativ: Keiner schlafe, wenn Hollywood den Puls (und die Schnittfrequenz) erhöht.

Der freiberuflichen Impossible Missions Force (IMF) ist bekanntlich keine Aussichtslosigkeit zu heftig, keine Infiltration zu kompliziert und kein Risiko unannehmbar. Die Inszenierung, abgewickelt von „Die üblichen Verdächtigen“-Autor Christopher McQuarrie, versucht sich dagegen gar nicht erst an Unmöglichem, bleibt in den Routinezonen des globalen Action-Kunsthandwerks, pflegt alle Standards der Bond-, Heist- und Chase-Movie-Ikonografie (motorisierte Verfolgungsjagden durch marokkanische Bazare, Einstiege in tausendfach gesicherte Hochtechnologieburgen, bombastische Stimmungsmusik): Rezept- und Formelkino, ein choreografiertes Episodenspektakel, das auf die ältesten Tricks seines Genres vertraut.

Dieser Film hat zum aktuellen Zustand der Welt, dem er so gerne nahe wäre, nichts zu sagen

Die „politische“ Erzählung in „Rogue Nation“ schließlich ist das sprichwörtliche Opium, das Hollywood seiner Öffentlichkeit so gern verabreicht: Es verhandelt nur scheinbar die drängenden Fragen einer Gesellschaft, die von Terrorismus und staatlicher Überwachung bedroht wird – tatsächlich weicht der Film diesen Fragen in jeder Hinsicht aus, indem er die Religion als Tatmotiv durch bloße Finanzgier ersetzt und die Skrupellosigkeit der Geheimdienste zum Glamourstoff verklärt. Dieser Film hat zum aktuellen Zustand der Welt, dem er so gerne nahe wäre, nichts zu sagen. Er hat nur den Rausch der Geschwindigkeit und die technischen Komplikationen sinnloser Missionen zu bieten: Opium für die Kassen statt populärpolitischer Subversion.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.