„Nebenan“ im Burgtheater: Endstation Rachsucht

Gentrifizierung, was ist das? Martin Kušej interessiert sich in der Burgtheater-Adaption des Kehlmann-Drehbuchs „Nebenan“ lediglich für lädierte Macho-Egos .

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„Wir gehen volles Risiko / Heute Nacht wird riesengroß“: Was da zu Beginn durch das Burgtheater dröhnt, klingt zwar schwer nach Schlagerkönigin Helene Fischer, ist aber von der Schweizer Konkurrenz Beatrice Egli. Der Song beweist: Man singt zwar gern von Wagnis, setzt aber lieber auf bewährte Erfolgsmuster. Passender Einstieg für eine Theaterproduktion, die ähnlich agiert: „Nebenan“ ist die Bühnenkopie eines deutschen Kino-Kammerspiels, mit dem der Schauspieler Daniel Brühl 2021 sein Regiedebüt gab. Bereits der Film funktionierte wie ein Theaterstück, Autor Daniel Kehlmann musste an seinem Drehbuch also wenig ändern, um den Stoff für die Burg-Bühne brauchbar zu machen: Kunst in Zeiten der Mehrfachverwertung. 

Die in Berlin spielende Tragikomödie über Ossis und Wessis, Verlierer und scheinbare Gewinner ist ein Duell zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern, deren Lebenslügen nach und nach bröckeln. Frauen sind bloß Manipulationsmittel im strategischen Kampf. In einer hyperrealistisch gestalteten Eckkneipe trifft ein erfolgreicher Filmschauspieler (Florian Teichtmeister) auf seinen Nachbarn, der ihn ausspioniert hat und nun kunstvoll fertigmacht. Norman Hacker legt diesen Wende-Verlierer unangenehm hartnäckig an, sein Frust rührt und schreckt zugleich ab.

In dieser überlangen, berechenbar-biederen Inszenierung, die Konstruktionsschwächen deutlicher zutage treten lässt als ein Film, stellt sich die Frage: Welcher Überflieger geht schon in ein Tschocherl? Gentrifizierung ist ein zentrales Thema, Kušej aber macht Lachnummern aus den sozial Abgehängten, die da kurz hereinschneien. Einen Alkoholiker mit künstlichem Darmausgang steckt er tatsächlich in einen Fatsuit. Befremdlich für einen Intendanten, der betont, wie inklusiv er sein möchte – und der gerade um seine Vertragsverlängerung pokert. Für die Burgtheaterausschreibung ab 2024 sind laut Büro der Kunststaatssekretärin Andrea Mayer 15 Bewerbungen eingegangen.

Karin   Cerny

Karin Cerny