Neue Leiterin der Bregenzer Festspiele: „Vorarlberg ist sehr finnisch!“
Brigitte Fassbaender hat es ihr vorgemacht: Vor 30 Jahren beendete die Weltklasse-Mezzosopranistin ihre Gesangskarriere, damals 56, weil sie Regie führen und eine Institution leiten wollte. Von 1999 bis 2012 war sie Intendantin des Tiroler Landestheaters. Auch die neue Chefin der Bregenzer Festspiele, die Finnin Lilli Paasikivi, trat, zwar nicht ganz so berühmt, bis letztes Jahr als Mezzosopranistin auf. Nebenbei hatte sie schon in ihrer Heimat zwei kleinere Festivals geleitet, ehe sie 2013 die Chance ergriff, die Nationaloper in Helsinki zu übernehmen, wo sie seit 1998 im Ensemble gesungen hatte. „Mir wurde klar“, sagt Paasikivi im profil-Gespräch, „dass dieser Bus nur ein Mal an meiner Station halten wird. Ich fand es etwas früh, stand auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Aber ich dachte: Verdammt, ich wage den Sprung! Und ich habe es nie bereut. Denn das Leben ist wie ein Fluss. Man lässt sich treiben, statt gegen den Strom zu schwimmen.“
Was dann folgte, sei eine „organische Entwicklung“ gewesen. „Über die Jahre sang ich bei Festivals, an verschiedenen Häusern, aber mein Interesse an dieser Art von 360-Grad-Blickwinkel wuchs: Ich wollte das Gesamtkonzept für ein Haus entwerfen, Programme planen, über die Rolle der Solistin hinauswachsen.“ Nach ihrer Zeit an der Finnischen Nationaloper habe es sich „ganz natürlich“ angefühlt, eine Position im Ausland anzustreben. Die naturverbundene Finnin, die diese Woche 60 wird, stammt aus Südkarelien an der russischen Grenze, sie schwimmt täglich, fährt Rad und steigt gern auf Berge. „Aber natürlich: Bregenz ist Wien fern, und Vorarlberg ist schon anders. Ich mag das. Man ist hier bodenständig, entspannt, humorvoll und fleißig. All dies trifft übrigens auch auf die Finnen zu.“
Im Dezember 2022 wurde Lilli Paasikivi als Nachfolgerin Elisabeth Sobotkas designiert, im Herbst 2024 fing sie in Bregenz an. Die Planung, vor allem das Stück auf der Seebühne, greift weit voraus. Heuer kann sie sich noch auf die Weiterentwicklung des 2024 mit 100-prozentiger Auslastung entstandenen „Freischütz“ konzentrieren, für 2026 und 2028 hat sie bereits zwei große Regienamen bekannt gegeben: den Italiener Damiano Michieletto, der gerade das Sommerfestival der römischen Oper in den Caracalla-Thermen kuratiert; er wird Verdis noch nie auf der Seebühne gespielte „La Traviata“ inszenieren. Und die Amerikanerin Lydia Steier, die ab 2027 die Ruhrtriennale leiten wird, soll Wagners „Der fliegende Holländer“ herausbringen.
Im Festspielhaus hat die neue Intendantin, die Werke des frühen 20. Jahrhunderts liebt, nun George Enescus wenig bekannte Oper „Oedipe“ von 1936 angesetzt, im Jahr darauf wird Janáčeks „Die Ausflüge des Herren Brouček“ (1920) folgen. Diesen Sommer soll es am Bodensee aber auch sehr finnisch zugehen. Mit Hannu Lintu (für „Oedipe“) und Jukka-Pekka Saraste (für das Sibelius-Nationalepos „Kullervo“) stehen zwei ihrer dirigierenden Landsmänner bereit, es gibt zudem ein finnisches Chorkonzert, finnischen Tanz zur Musik von Kaija Saariaho, finnische Kammermusik und ein finnisches Tangofestival am See. Aber auch eine Uraufführung des US-Komponisten Kevin Puts mit Joyce DiDonato, einem weiteren Mezzo-Star, wird auf der Werkstattbühne zu sehen sein. In Kooperation mit dem Wiener Burgtheater kommt das jüngste Stück des gewitzten steirischen Autors Ferdinand Schmalz zur Uraufführung: „bumm tschak oder der letzte henker“ heißt es, Burgchef Stefan Bachmann hat Regie geführt.
Einen Dämpfer für ihre Planungen hat Paasikivi freilich durch die 30-prozentigen Budgetkürzungen der Landesregierung für 2025 und 2026 bekommen. Noch lässt sich dies verkraften, durch Rücklagen und Reduktionen. Aber: „4,2 Millionen Euro weniger sind eine Menge Geld, dessen Fehlen sich auf die Programmgestaltung auswirken wird. Wir betreiben unser Festival verantwortungsbewusst. Weil unser Geschäft wegen der Größe der Seebühne aber riskant und wetterabhängig ist, brauchen wir Rücklagen. Wissen Sie, was Sisu bedeutet? Es ist die finnische Art der Entschlossenheit. Bei den Bregenzer Festspielen haben wir Sisu, also werden wir es schaffen, diese Kürzungen umzusetzen.“