Nicholas Ofczarek im Wiener Burgtheater
Interview

Nicholas Ofczarek: „Schrecklicherweise liegen mir zerstörte Charaktere“

Nach langer Abwesenheit kehrt Nicholas Ofczarek mit Ödön von Horváth jetzt wieder an das Burgtheater zurück. Ein Gespräch über falsche Töne, seltsame Hosen, Thomas Schmid und toxisches Arbeitsklima.

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Gleich nach der Begrüßung im Erzherzogzimmer des Burgtheaters sagt Nicholas Ofczarek einen Satz, den man als Journalistin von seinen Interviewpartnern nahezu nie zu hören bekommt: „Ich habe Zeit.“ Ofczarek hat im Haus am Ring schmerzlich gefehlt; nun kommt er, nach zwei Jahren Premierenabstinenz und vielen Filmrollen, mit einem Filetstück an sein Theater zurück – der Rolle des Fleischermeisters Oskar in Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Dass Ofczarek in die brutale Gemütlichkeit des Oskars Bruchstellen fräsen wird, davon ist auszugehen. Egal ob als Jedermann, Onkel Wanja, als verwüsteter Cop in dem Burg-Dauerbrenner  „Diese Geschichte von Ihnen“, verhaltensorigineller  Kommissar in der monumentalen Sky-Serie „Der Pass“ (eine dritte Staffel ist in Planung) oder zuletzt als Privatdetektiv Julian Hessenthaler in der Sky-Verfilmung „Die Ibiza Affäre“: Ofczarek zeigt seine Figuren stets in schonungsloser Wahrhaftigkeit, ohne sie zu verraten.

Der Abend endet im „Vestibül“, der Edelkantine des Theaters – ganz Horvàth-stilgerecht – bei Leberkäse und Veltliner. Anstelle eines Desserts schauen wir uns noch HC Straches Auftritt bei „Fellner Live“ auf dem Handy an, wo der Ex-Vizekanzler die Verfilmung der „Ibiza Affäre“ („lachhaft und dümmlich“) kommentiert. Ofczarek bekommt von Strache Lob als „durchaus interessanter Schauspieler“, die Figur des Detektivs bezeichnet Strache „als armes Hascherl, das aus Idealismus handelt“. Das amüsiert Ofczarek vor allem deswegen, weil man seine Darstellung nicht falscher interpretieren könnte.

profil: Beginnen wir mit der langweiligsten Frage der Welt: Wie geht es Ihnen?
Ofczarek: Ich bin heute Morgen aufgewacht und dachte mir: Oh Gott, du bist 50. Wo ist die Zeit?
 
profil: Und? Was haben Sie sich geantwortet?
Ofczarek: Dass ich sehr viel gearbeitet und mir viel zu wenige Pausen gegönnt habe. Dass man sich erlauben darf, auch einmal Ruhe zu geben. Das musste ich erst lernen. Durch den ersten Lockdown, der ja auch mit einem Drehstopp verbunden war, habe ich  erstmals nach langer Zeit so etwas wie den Frühling erlebt. Und herausgefunden, was das mit mir macht, wenn ich gezwungen bin, nichts zu tun.
 
profil: Und? Sind Sie in die Sauerteig-Offensive gegangen und haben Brot gebacken?
Ofczarek: Natürlich! … Nein, natürlich nicht. Aber ich habe viel gekocht. Vegan. Das soll gut für das Immunsystem sein. Kennen Sie diese englische Köchin Ella Mills? Die finde ich sehr gut.
profil: Noch nicht. Es fühlt sich aber irgendwie seltsam an, mit einem, den einige Ihrer Kollegen als den besten Schauspieler seiner Generation bezeichnen, über Gemüserezepte zu reden.
Ofczarek: Ich sage Ihnen, was sich wirklich seltsam anfühlt: Als ich mit dem 84-jährigen Martin Schwab, der in unseren „Geschichten aus dem Wiener Wald“ den Rittmeister spielt und übrigens topfit ist, kürzlich in der Garderobe stand und wir höchst eigenartige Hosen anzuprobieren hatten. Da standen wir, zwei erwachsene Männer, in dieser Kostümierung vor dem Spiegel, und ich fragte ihn: „Wie lange machst du das schon?“ Seine Antwort lautete: „Seit 1962.“ Und dann fragte ich ihn: „Und? Wie hat sich das Theater verändert?“ – Er antwortete ganz lapidar: „Es ist flacher geworden.“
 
profil: Klaus Maria Brandauer sagte in einem profil-Interview: „Schauspieler ist kein Beruf für einen erwachsenen Menschen.“
Ofczarek: Da muss ich ihm hundertprozentig recht geben. Wir lassen uns eigenartige Bärte ins Gesicht kleben und behaupten, partout jemand anderer zu sein. Außerdem geht es inzwischen oft mehr um die Verpackung, als um den Inhalt. Und manche beherrschen ihr Handwerk weniger als früher. Das macht nicht unbedingt wacher. Theaterspielen ist eigentlich auch mehr was für die Jungen.
 
profil: Im Publikum sitzen aber vorrangig ältere Menschen, den jüngeren Generationen scheint die Institution Theater offenbar nicht sexy genug.
Ofczarek: Ist das so?
 
profil: Gehen Sie nie ins Theater?
Ofczarek: Selten. Es reicht mir eigentlich, auf der anderen Seite zu sein. Natürlich muss das Theater ein Sprachmuseum und ein Ort der Stille und Poesie sein. Aber darüber hinaus – so könnte man die Jungen vielleicht ködern – sollte man am Theater mehr unmittelbar zu reagieren lernen. Alles andere kann der Film einfach besser.
 
profil: Wie zum Beispiel bei der Online-Verlesung der Chatprotokolle am Burgtheater?
Ofczarek: Zum Beispiel. Das war eine gute Idee. Dabei hat mir nur  ein bisserl der Schmäh gefehlt.
 
profil: Zurzeit ist Ihr Gesicht, verziert mit einem Pornobürsten-Bärtchen, mit der Sky-Serie „Die Ibiza Affäre“ in der ganzen Stadt großflächig plakatiert, die Inseratenaffäre kam gerade auf, als die Serie den Medien präsentiert wurde.
Ofczarek: Jeden Tag habe ich mir gedacht: Echt jetzt? Das kann doch alles nicht wahr sein. Das übertrumpft ja schon fast die Causa Ibiza, dabei wissen wir noch gar nicht alles. Jetzt hat man die andere Seite des so umgänglichen, dauerverbindlichen Jungkanzlers aufblitzen gesehen. Diese Seite finde ich hoch interessant. Was steckt da für eine Art von Kraft dahinter, wenn ein Junger einen innerparteilichen Staatsstreich so eiskalt umsetzt und eine alteingesessene Partei danach türkis umfärbt und völlig umkrempelt?
 
profil: Jetzt muss ich etwas unhöflich einwenden: Sie sind zu alt für die Rolle des Kurz.
Ofczarek: Danke, aber die interessiert mich sowieso weniger als dieser Thomas Schmid, das ist eine Topfigur, Trittbrettfahrer und Waffe in einer Person. Aber der ist dann auch wieder mehr etwas für Schauspieler, die ins Fitnesscenter gehen. Zu denen gehöre ich nicht, wie man sieht. Erstaunlicherweise habe ich trotz meines Bauches Karriere gemacht.
 
profil: Ihr Genre sind die kaputten Typen, wie man in der Sky-Serie „Der Pass“ und auch in der „Ibiza Affäre“ im Part des von Weltekel gezeichneten Detektivs Julian Hessenthaler eindrucksvoll gesehen hat. Warum?
Ofczarek: Schrecklicherweise liegen mir zerstörte Charaktere. Der Weltekel ist aber Ihre Projektion. Ich versehe keine meiner Figuren mit einer moralischen Betriebsanleitung, ich zeige sie einfach handelnd. Aber natürlich muss ich sie verstehen und auch mögen. Superhelden interessieren mich nicht. Momentan werden in Hollywood fast nur solche Filme gemacht, das hat fast etwas Faschistisches.
profil: Hessenthaler sitzt  zurzeit in Untersuchungshaft wegen Kokainhandels, aber Sie haben sich eingelesen, Leute getroffen, die ihn kannten?
Ofczarek: Das ist jetzt vielleicht enttäuschend, aber ich gehöre nicht zu der Sorte von Schauspielern, die tagelang mit Obdachlosen durch die ungarische Steppe ziehen müssen, um einen ungarischen Obdachlosen empathisch nachvollziehen zu können. Ich spiele das, was im Text steht. Gemäß der alten Laurence-Olivier-Weisheit „Why don’t you just try acting?“ Und die Drehbücher zur „Ibiza Affäre“ waren eine einzige Freude.
 
profil: Vor einigen Jahren erzählten Sie mir in einem Interview, dass Sie bereits während der Fahrt zur Vorstellung im Theater in der Straßenbahn von bleierner Müdigkeit erfasst werden.
Ofczarek: Das hatte eher etwas mit Angst zu tun. Bei der Vorstellung selbst auf der Bühne habe ich sie nicht. Da ist ja das Publikum da, da fühle ich mich beschützt. Aber beim Proben ist die Angst mein ständiger Begleiter. Man geht da viele Irrwege, man scheitert, oder es haut einen auch schon einmal völlig auf die Goschn. Dann muss man sich abklopfen und wieder aufstehen, in Summe ist das einfach alles sehr erschöpfend. Und vor allem dann, wenn man auf der Probe das Gefühl hatte, den falschen Ton getroffen zu haben.
profil: Merken Sie solche falschen Töne gleich?
Ofczarek: In der Sekunde, sofort. Und dann setzt auch gleich ein  Schamgefühl ein.
 
profil: Was empfinden Sie als solche falschen Töne?
Ofczarek: Wenn ich zu laut bin, zu normal, zu äußerlich oder auch zu viel mache. Beim Scheitern gibt es sehr viele Möglichkeiten.
 
profil: Nach über 30 Jahren in dem Beruf kann man sich auf die Routine nicht verlassen?
Ofczarek: Routine ist tödlich. Und bedeutet Stillstand. Du musst dich hingeben, alles andere ist sinnlos und führt zu nichts. Auch auf die Gefahr hin, dass manche deine Hingabe falsch verstehen, vielleicht auch missbrauchen und du darin verbrennst.
 
profil: Ihr Kollege Thomas Stipsits hat kürzlich auf Instagram seinen temporären Rückzug aufgrund eines Burnouts verkündet. Wie finden Sie diesen Schritt?
Ofczarek: Ich habe ihm dazu gratuliert. In dieser leistungsbesessenen Gesellschaft sind solche Aussagen durchaus heilsam.
 
profil: Wir sitzen hier im sogenannten Erzherzogzimmer des Burgtheaters, einer Bühne, der Sie zwei Jahre lang den Rücken gekehrt haben. Sie haben am 18. November in der Regie von Johan Simons in „Geschichten aus dem Wiener Wald“ Premiere.
Ofczarek: Ich war nie weg, ich habe zwei Produktionen, „Mephisto“ und „Diese Geschichte von Ihnen“, immer wieder gespielt.  Ich habe nur nichts Neues probiert. Ich wollte einfach mehr drehen. Im Rückblick auf mein Theaterleben habe ich vielleicht den Fehler gemacht, mir die Dinge oft  zu sehr zu Herzen gehen zu lassen.
 
profil: Mangelte es Ihnen an Anerkennung?
Ofczarek: Um Gottes willen, nein! Es sind diese Machtspiele, die mich am Theater so wahnsinnig gemacht haben und machen. Da konnte ich auch richtig jähzornig werden. Aber unser Regisseur Johan Simons, ein 75-jähriger Holländer, braucht das nicht, deswegen bin ich in ihn auch schwer verliebt. Wir arbeiten das erste Mal zusammen, und es ist eine glückhafte Begegnung. Genauso wie die mit dem Regisseur der „Ibiza Affäre“, mit Christopher Schier. Ich hatte ein gutes Jahr, was neue Begegnungen betrifft. Simons hat keine Machtspiele notwendig, er ist einfach der Chef, aber auf eine natürliche Art und Weise. 
 
profil: Hat sich der Jähzorn verflüchtigt?
Ofczarek: Ja. Wahrscheinlich. Früher habe ich schon manchmal unter Fluchsalven wie „Alles Verräter!“ den Probenraum  verlassen.
 
profil: Haben Sie sich danach geschämt?
Ofczarek: Ein bisserl. Aber wenn man sich zu viel schämt, hört man ja auf zu existieren.
 
profil: Und wie reagieren Sie heute, wenn Ihnen etwas gegen den Strich geht?
Ofczarek: Man wird älter und damit auch gelassener. Gelassenheit ist ganz wichtig, immer, nicht nur im Beruf. Wenn ich Übergriffe beobachte, mache ich noch immer den Mund auf. Und zwar gleich. Mein Vater (der Opern- und Operettensänger Klaus Ofczarek,
gestorben 2020, Anm.) war auch kein angenehmer Zeitgenosse. Der hat sich während seiner ganzen Karriere gegen Autoritäten aufgelehnt. Deswegen mussten wir auch alle vier Jahre umziehen. Nach zwei Jahren hieß es oft: „Der Intendant XY ist ein solcher Kretin!“, und noch  zwei Jahre später musste ich als Kind schon wieder in einer anderen Stadt neue Freunde finden.
 
profil: Das Theater stand ja nicht nur als Ort sexueller Übergriffe in der #MeToo-Debatte im Kreuzfeuer, sondern auch im Zusammenhang mit  Machtmissbrauch und sogenannten toxischen Arbeitsverhältnissen.
Ofczarek: Theater ist nun einmal kein Ort der flachen Hierarchien. Aber hier versucht man das zu ändern, auf Respekt und Augenhöhe zu setzen.
profil: Nach dem Ende der Ära Matthias Hartmann gab es 2018 einen offenen Brief von 60 Mitgliedern des Burgtheaters, in dem das toxische Klima unter dessen Intendanz angeprangert wurde. Auch Sie haben unterschrieben.
Ofczarek: Wobei man sagen muss: Das Toxische war unter Hartmann subtiler, nicht greifbar, ist langsam eingesickert und hat das Klima natürlich vergiftet, aber man konnte nicht genau verorten, wo und wie. Aber natürlich hat man sofort aufzustehen, wenn ein Regisseur einen Kollegen auf der Probe nach dessen sexueller Orientierung fragt. Ich war froh, dass dieser Kollege mir dann zuvorgekommen ist und mit „Das geht Sie gar nichts an“ geantwortet hat. Denn wenn man für jemanden Partei ergreift, läuft man ja auch in Gefahr, denjenigen dadurch zu schwächen.
 
profil: Das Theater ist auch von dem neuen Phänomen der „Wokeness” ergriffen, einer moralischen Vorsicht oder auch Empfindlichkeit gegenüber diskriminierten Minderheiten. In Frankfurt diskutierte man neulich auf einer Probe, ob man in einer Shakespeare-Komödie Männer in Frauenkleidern zeigen darf, ohne die Gefühle der transsexuellen Community zu verletzen.
Ofczarek: Hallo? Das ist bitte Theater. Natürlich muss das möglich sein, es kommt doch immer auf den Kontext an. Aber grundsätzlich finde ich diese neue Wachsamkeit gut, es ufert dann nur leider immer irgendwie aus. 
 
profil: Ihre 23-jährige Tochter Maeve Metelka gilt in Branchenkreisen als Hochbegabung. Erleichtert Sie das?
Ofczarek: Vor allem möchte ich, dass sie in diesem Beruf glücklich wird. Wobei das Glücklichsein oft nicht gleichzusetzen ist mit dem Erfolg. Sie studiert jetzt an der Ernst-Busch-Schule in Berlin. Ich war froh, dass sie aus Wien weggegangen ist. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass sie kein Talent fürs Schauspielen hat, hätte ich sie schon leise mit dem Satz gewarnt: „Du, das ist vielleicht nicht das Richtige für dich.“
 
profil: Der Schauspielerberuf hat, wie Sie ihn schildern, auch etwas Brutales.
Ofczarek: Deswegen fände ich es gut, wenn meine Tochter noch eine zweite Ausbildung macht. Vor allem für Frauen um die 40 wird es ungerechterweise dann oft eng. Ich hoffe sehr, dass sich das schleunigst ändert. Und bei jedem Rollenangebot muss man auch immer damit rechnen, dass man nicht die erste, sondern die zweite, dritte oder auch vierte Wahl ist.
 
profil: Das passiert Ihnen noch heute?
Ofczarek: Selbstverständlich. Auch ich muss Castings machen. Und dann kommen statt einer direkten Absage Sätze wie: „Sie waren in der engeren Auswahl, aber die Konstellation hat nicht gepasst.“
 
profil: Kränkt einen das?
Ofczarek: Gegenfrage: Soll ich mich damit auch noch aufhalten?
 
profil: Abschlussfrage: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Ofczarek: Ich bezweifle stark, dass ich bis zum Umkippen auf einer Bühne stehen werde. Ich habe schon gelernt, nein zu sagen, aber ich werde in Zukunft noch öfter nein sagen. Denn im Grunde meines Herzens bin ich irrsinnig faul. Wahrscheinlich habe ich auch deswegen manchmal so viel gearbeitet – um dagegen anzukämpfen. Vielleicht war meine  ganze Karriere bisher nichts anderes als ein verzweifelter  Kampf gegen diese Faulheit.
Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort