Buchtipps für den Urlaub
Romane für die Rattanliege
Die Fletchers von Long Island
Die drei Kinder eines erfolgreichen jüdischen Schaumstofffabrikanten setzen ihr Erbe in „Die Fletchers von Long Island“ (Eichborn) auf je eigene Art in den Sand; angetrieben von widrigen Umständen, individuellem Irrtum und kollektivem Familientrauma. Taffy Brodesser-Akner bestätigt mit diesem opulenten Generationenroman ihren Ruf als gleichermaßen zügige wie großzügige Erzählerin – Tragödie, Witz und Tiefsinn gehen Hand in Hand in den Untergang.
Sister Europe
Lange schrieb Nell Zink nur aus Freude und für die Schublade. Seit ihrem Debüt „Der Mauerläufer“ (2014) sind etliche lesenswerte Zink-Romane erschienen. „Sister Europe“ (Rowohlt) ist ihr jüngster Streich. Eine wilde, lange Nacht in Berlin, zusammengehalten von einem Thesen- und Ideenroman, der politische und zahllose andere Fragen aufwirft. Gesprächsstoff am Abendbuffet garantiert.
Der Fall Brooklyn
Jonathan Lethems Roman „Der Fall Brooklyn“ (Tropen) – im englischen Original kokett als „Crime Novel“ ausgeschildert – behandelt einen Fall von Gentrifizierung: In der Brooklyner Dean Street eignen sich weiße Zuwanderer, viele von ihnen mit besten Absichten, eine traditionell schwarze Gegend an, wobei aus Hippies bald Zinshauserben werden, aus fragilen Schulfreundschaften komplizierte Oppositionsnetzwerke – und aus kleinen auch mal größere Verbrechen. Der neue Lethem: vielstimmig, sehr stimmig.
Biografien fürs Binnengewässer
Thomas Mann
In seiner Biografie des deutschen Jahrhundertschriftstellers Thomas Mann fokussiert Tilmann Lahme auf dessen lebenslang unterdrückte Homosexualität und erschließt anhand teils unveröffentlichter Quellen eine produktive neue Perspektive auf Manns Leben und Werk. Das gelingt „Thomas Mann“ (dtv) ohne Voyeurismus – und mit erfreulichem Nebeneffekt, nämlich der gesteigerten Lust am Wieder- bzw. Endlichlesen von „Zauberberg“ und „Buddenbrooks“ (falls der Urlaub länger währt).
Hellseher im Kleinen
Einem Meister des scheinbar Nebensächlichen heftet sich wiederum die US-Autorin Susan Bernofsky in der Biografie „Hellseher im Kleinen“ (Suhrkamp) auf die Spur: Man kann die Welt nämlich neu und anders entdecken mit dem Schweizer Radikalpoeten Robert Walser (1878–1956), einer der großen Randfiguren der Literatur. Stets ein lohnendes Unterfangen: Walser lesen – und über Walser lesen.
Bücherstapel für den Badestrand
Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste
Der junge Grischa, ein Unschuldslamm vom Land, entwirft an seinem neuen Arbeitsplatz in Berlin-Ost in der grob un-terforderten Afghanistan-Abteilung der staatlichen Plankommission einen großen Cannabis-Importdeal mit dem sozialistischen Brudervolk. Das Geschäft erweist sich in Jakob Heins Roman „Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste“ (Galiani) als Win-win-Situation für alle Beteiligten – ausgenommen westdeutsche Innenminister. Schöner Schelmenroman, den auch das politische Bewusstsein nicht in DDR-Nostalgie ersäuft.
Wackelkontakt
Schöner Schelmenroman, den auch das politische Bewusstsein nicht in DDR-Nostalgie ersäuft. In „Wackelkontakt“ (Hanser) geht es wunderlich drunter und drüber: Wolf Haas mischt Mafia-Seifenoper, in der 73 Morde begangen werden, mit einem Wiener Todesfall aus Fahrlässigkeit. Eines der herausragenden Bücher des Jahres 2025.
Der Teufel
Er schreibt und schreibt. Es ist zu hoffen, dass Andreas Maier seinem epischen Zyklus „Ortsumgehung“ noch den einen oder anderen Teil anfügt. „Der Teufel“ (Suhrkamp) ist Band zehn der seit 2010 ausgerollten Erinnerungs- und Familiengeschichte. „Der Teufel und der liebe Gott sehen zu, wie die Familie ins neue Haus zieht“, notiert Maier – und steuert sein singuläres Literaturprojekt in die siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sonnenbrandgefahr!
Hochdramatisches für die Höhe
Die Rückseite des Lebens
Gute Fragen: Was ist die Vorder-, was die Rückseite des Lebens? Die französische Dramatikerin und Autorin Yasmina Reza pflegt seit Jahren ein Faible für Strafprozesse. In „Die Rückseite des Lebens“ (Hanser) versammelt sie Kurzgeschichten aus dem Gerichtssaal: Verbrechen, Morde, Vergewaltigungen, all die Katastrophen im Leben ihrer Protagonisten. „Gebrochener Zauber“, so ist eine dieser Geschichten überschrieben. Der Boden der Tatsachen darf auch unter heißer Sonne wehtun.
Drei Wochen im August
Eine Mutter, ihre 13-jährige Tochter, die Haushaltshilfe und drei Wochen Urlaub am Atlantik: Es trügt, wie so oft, der schöne Schein. In Nina Bußmanns Roman „Drei Wochen im August“ (Suhrkamp) wird der Sommer an der französischen Küste zum bedrohlichen Kammerspiel. Es geht um Nähe, Macht und Abhängigkeiten, um die großen und kleinen Konflikte unserer Welt. Ein leiser Roman voller lauter Katastrophen.
Good Girl
Aria Aber versteht sich als Dichterin. Geschadet hat ihr das in ihrem ersten Roman „Good Girl“ (Claassen) keineswegs – im Gegenteil. Mit lyrischem Gespür erzählt sie darin die Geschichte einer jungen afghanisch-deutschen Frau, die sich, pendelnd zwischen persönlicher Freiheit und familiärer Bindung, ein Leben in New York aufbauen will. Ein Coming-of-Age-Buch, das sich den Fragen von Identität und Zugehörigkeit widmet, dabei aber keine Sekunde lang klischeehaft wird.
Der Einfluss der Fasane
Als die (fiktive) Feuilletonchefin der „Berliner Zeitung“, die Heldin in Antje Rávik Strubels neuem Roman „Der Einfluss der Fasane“ (S. Fischer), vom Suizid eines bekannten Theaterintendanten erfährt, ahnt sie Schlimmes. Schließlich war sie es, die einen viel diskutierten Artikel über den gefeierten Künstler veröffentlicht hat – und jetzt für seinen Tod verantwortlich gemacht wird. Es geht in diesem #MeToo-Fall um zeitgeistige Empörungsfreude, unheilvolle mediale Diskurse, absoluten Kontrollverlust – heiter und zugleich düster.
Pointen fürs Planschbecken
Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes
Am Ende will man einfach nur lachen. Giulia Beckers Vademekum „Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes“ (Rowohlt) ist die Garantie dafür. Die ehemalige Texterin des deutschen Satirikers Jan Böhmermann hat bereits in ihrem Romandebüt „Das Leben ist eins der Härtesten“ bewiesen, dass sie Talent für Alltagswitz hat. In „Wenn ich nicht Urlaub mache …“, einer Sammlung kurzer Texte, Listen und Gedankenfetzen, dreht Becker ihre Beobachtungen vom Gewöhnlichen ins Absurde – ungeschliffen, trocken, herrlich chaotisch.