Charles Randolph gewann für "The Big Short" den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch
„The Big Short"-Autor Randolph: „Mundpropaganda extrem wichtig“

„The Big Short"-Autor Randolph: „Mundpropaganda extrem wichtig“

„The Big Short"-Autor Randolph: „Mundpropaganda extrem wichtig“

Drucken

Schriftgröße

profil: Gibt es die Dankesrede schon? Charles Randolph: Leider nein. Ich verfasse sie auf den letzten Drücker. Es sind ja streng 45 Sekunden, die sollte man besser nicht vergeigen.

profil: Was ist der härteste Part an einer Oscar-Nominierung? Randolph: Das Kampagnisieren im Vorfeld. Unser Studio, Paramount, hat eine eigene Abteilung, die sich nur mit Awards-Angelegenheiten beschäftigt. Mein Regisseur und Koautor Adam McKay, Hank Corwin, der für den Schnitt nominiert ist, und ich touren seit Wochen quer durch Amerika, um nach Screenings, auf Podiumsdiskussionen oder Cocktailpartys über „The Big Short“ zu reden. Auf die Frage nach unseren Zukunftsplänen stöhnt Adam manchmal: „Unser nächstes Projekt heißt ,The Two Jet-Lagged Writers‘“.

profil: Christian Bale, für die beste Nebenrolle nominiert, kneift? Randolph: Nein, der kommt auch gelegentlich, aber er macht prinzipiell nicht sehr viel PR. Er ist extrem entspannt, warmherzig und völlig unprätentiös.

profil: Ist diese Form des Stimmenfangs mittels Mundpropaganda noch zeitgemäß, um die Academy zu gewinnen? Randolph: Absolut. Mundpropaganda ist extrem wichtig. Ich würde sogar behaupten, dass die Strategie des „word of mouth“ bei den Oscars ganz wesentlich ist. Unsere Mission ist schlichtweg, so viele Menschen wie möglich für den Film zu interessieren.

profil: Wer kommt zu solchen Veranstaltungen? Die Academy-Mitglieder? Randolph: Natürlich, aber es kommen auch spannende Leute aus der Industrie, etwa der Regisseur Michael Mann, mit dem ich gerade an einem Western arbeite. Viele Academy-Mitglieder – häufig Schauspieler über 60 – wohnen nicht mehr in den großen Metropolen, da sie schon im Ruhestand sind. Die trifft man eher bei Screenings in kleineren Städten. Sicherlich wird „The Big Short“ bei den traditionellen nicht so gut ankommen wie bei jüngeren, die einen gewissen Intellekt mitbringen.

Es gibt einen großen Gemeinschaftssinn unter allen Nominierten.

profil: „The Big Short“ ist eine hochkomplexe Komödie über die Abgründe des Kapitalismus – Komödien haben bei den Oscars stets schlechte Karten. Die „L. A. Times“, die dem Film wohlwollend gegenübersteht, schreibt sogar: „Vermeiden Sie bitte das C-Word.“ Randolph: Stimmt. Man kann sich unsere Chancen relativ leicht ausrechnen. Für den Oscar in der Kategorie bester Film stehen „The Revenant“ und „Spotlight“ möglicherweise um einiges chancenreicher da. Dass es für uns als Drehbuchautoren aber eine erste Oscar-Nominierung ist, könnte uns nützen.

profil: Ist in den Veranstaltungen, die im Vorfeld der Show ablaufen, Rivalität zwischen den Studio-Mannschaften zu spüren? Randolph: Gar nicht, im Gegenteil. Es gibt einen großen Gemeinschaftssinn unter allen Nominierten. Das ist auch der Verdienst der Academy, die dieses Gefühl fördert. Kürzlich gab es den traditionellen Lunch für alle Nominierten. Es war erstaunlich, wie ruhig und unhysterisch es dabei zuging. Ich hatte ein sehr angenehmes Gespräch mit Eddie Redmayne, nominiert für „The Danish Girl“.

profil: „The Big Short“ basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch des Journalisten Michael Lewis, in dem der Finanzcrash des Jahres 2008 anhand jener Wall-Street-Player erzählt wird, die an der Immobilienkatastrophe Milliarden verdienten. Das Buch erschien 2010. Warum wurde es erst jetzt zum Film? Randolph: Kein Studio wagte es, so viel Geld in die Hand zu nehmen. Plan B, Brad Pitts Produktions Company, hat mir damals den Auftrag erteilt, aus dem damaligen Bestseller ein Drehbuch zu machen. Danach stand eine Weile alles still.

Brad Pitt agiert völlig unaufgeregt, im Mittelpunkt zu stehen, ist ihm längst nicht mehr wichtig.

profil: Der Name Brad Pitt bedeutet also nicht automatisch grünes Licht und Geldflüsse bei großen Studios? Randolph: Nein, das ist für ihn genauso hart und mühsam wie für jeden anderen Produzenten. Erst als Adam McKay als Regisseur im Boot war und Christian Bale, Ryan Gosling, Steve Carell und Pitt selbst als Besetzung fix waren, hat Paramount die Ampel auf grün gestellt.

profil: Peinliche Frage, aber: Wie ist Brad Pitt denn so? Randolph: Der beste Produzent, mit dem ich je gearbeitet habe. Und ein durch und durch erwachsener Mann. Er weiß, was er will, für ihn gibt es nach über 30 Jahren in Hollywood nichts Neues mehr unter der Sonne. Er agiert völlig unaufgeregt, im Mittelpunkt zu stehen, ist ihm längst nicht mehr wichtig.

profil: Wie schätzen Sie Gosling und Carell ein? Randolph: Gosling ist ein Vollblutkomiker, der dauernd Witze reißt. Carell wirkt sehr schüchtern und introvertiert, aber kaum spürt er eine Kamera oder Publikum, geht er aufs Ganze.

profil: Wie sehr wirkt sich eine Oscar-Nominierung tatsächlich auf die Karriere aus? Randolph: Es gibt ein paar Anfragen mehr bei meiner Agentur, aber im Prinzip ist meine Karriere seit 15 Jahren ziemlich stabil. Wie man im Hollywood-Jargon so sagt: „Ich stehe auf der Liste“, wenn es um die Wahl von Drehbuchautoren für A-Produktionen geht. Und selbst wenn ein Film nicht so toll lief, überlebt man das als Autor ganz gut. Denn in der Regel wird dem Regisseur die Schuld zugeschoben.

Wien ist der beste Platz der Welt, um zu leben, aber leider eben nicht, um dort zu arbeiten.

profil: Eine erstaunliche Karriere für einen Wahlwiener, der als Philosophiedozent am Wiener Zweig der Webster University Vorlesungen über die „kryptomarxistischen Elemente in frühen Madonna-Songs“ gehalten hat. Randolph: Wien ist der beste Platz der Welt, um zu leben, aber leider eben nicht, um dort zu arbeiten. Ich ging 1999 an die University of Southern California, um einen Sommerkurs zu halten. Dann hatte ich richtiges Glück, dass schon mein zweites Buch sehr schnell in Hollywood verkauft wurde und Alan Parker die Regie machte. Seither konnte ich mit Leuten wie Sydney Pollack, Steven Spielberg und Ridley Scott arbeiten.

profil: Das Fernsehen, früher jene Branche, in die große Stars kaum einen Fuß gesetzt hätten, läuft dem Kino zunehmend den popkulturellen Bedeutungsrang ab. Randolph: Absolut. Seitdem Tony Soprano (Anm.: in der HBO-Mafiaserie „The Sopranos”) seine Mutter umbringen durfte und trotzdem die Sympathie des Publikums behielt, hat sich vieles geändert. Fernsehen ist künstlerisch risikofreudig geworden. Deswegen habe ich in den vergangenen Jahren auch Projekte für den Bezahlsender HBO entwickelt und pilotiert.

profil: Etwa die stark autobiografisch inspirierte Geschichte „The Missionary“ – Ihr Vater war Missionar, der Bibeln durch den eisernen Vorhang schmuggelte. Randolph: Das Projekt ist leider inzwischen gestorben. Ein historischer Stoff, der noch dazu im Ausland spielt, überfordert das amerikanische Publikum. Aber natürlich wird Fernsehen auch für die A-Liga-Stars immer interessanter. Nicole Kidman und Reese Witherspoon machen gerade eine Serie für HBO. Das Material, das TV-Drehbücher bieten, ist oft so viel besser und experimentierfreudiger. Im Filmgeschäft müssen sich Schauspieler meist zwischen stumpfsinnigen Actionfilmen, die niemanden über 21 interessieren, oder eben prestigeträchtigen Indie-Produktionen entscheiden – dazwischen ist die Auswahl dünn.

Dieser Morgen hätte auch deprimierend enden können.

profil: Wie nervös sind Sie jetzt? Randolph: Geht so. Richtig nervös waren wir alle, als wir uns im Jänner in Los Angeles um fünf Uhr früh bei Adam McKay im Haus versammelten, um im Fernsehen zu sehen, ob „The Big Short“ bei der Verkündigung der Nominierungen überhaupt ins Rennen geht. Dieser Morgen hätte auch deprimierend enden können.

profil: Waren die Stars des Films auch dabei? Randolph: Nein. Wenn einer aufgestellt ist und die anderen leer ausgehen, herrscht unter denen nicht gerade die beste Stimmung.

profil: Und wie wurde gefeiert? Randolph: Es gab erst Omeletts und dann natürlich Champagner. Trotz der Uhrzeit.

profil: Was würden Sie jungen Talenten, die nach Hollywood wollen, raten? Randolph: Sie sollten wissen: Es ist relativ leicht, reinzukommen und am Tisch Platz zu nehmen. Die Industrie ist gierig nach talentiertem Nachwuchs. Aber dann musst du dranbleiben, um an diesem Tisch auch irgendetwas auf deinen Teller zu kriegen.

Charles Randolph, 53, Sohn eines texanischen Missionars, übersiedelte in den 1980er-Jahren nach Wien, wo er an der Webster University fast ein Jahrzehnt lang Film- und Kulturtheorie unterrichtete. Schon sein zweites Drehbuch, „The Life of David Gale“, wurde 2003 mit Kate Winslet und Kevin Spacey verfilmt. Es folgten „Die Dolmetscherin“ mit Nicole Kidman und die Anne-Hathaway-Komödie „Liebe und andere Drogen“ mit. Randolph, Vater zweier Kinder, ist mit der israelischen Schauspielerin Mili Avital verheiratet.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort