Interview

Valerie Pachner: „Als Teenager wollte ich die Welt retten“

Die Schauspielerin Valerie Pachner wird bei den kommenden Salzburger Festspielen im „Jedermann“ die Rolle der Buhlschaft übernehmen. Ein Gespräch über Sexismus, Klimaaktivismus und die Schwierigkeit, die Buhlschaft feministisch aufzuwerten.

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Als die Oberösterreicherin Sophie Rois 1998 als Buhlschaft in Salzburg antrat, wetterte sie gegen den „Titten-Fetischismus“ der Festspiele-Society. Birgit Minichmayr war 2010 erstaunt, dass immer noch nach der Farbe ihres Kleides gefragt wurde – und ob es eh ein ordentliches Dekolleté habe. Sogar die „Süddeutsche Zeitung“ titelte 2014 noch: „Jährlich grüßt das Superweib“. Der Medienrummel um die berühmteste Minirolle der Dramengeschichte ist so verlässlich wie der Schnürlregen an der Salzach. Mittlerweile thematisieren Schauspielerinnen wie Stefanie Reinsperger aber auch verstärkt, wie unzeitgemäß und sexistisch die Kommentare über den jeweiligen Körper der Buhlschaft sind. Müssen Frauen tatsächlich weiterhin auf ihr Aussehen reduziert werden? In einem anonymen Brief wurde Reinsperger 2017 angedroht, dass sie mit Konsequenzen rechnen müsse, wenn man den Anblick „ihres dicken Körpers“ weiter ertragen müsse.

Der Jedermann und seine Buhlschaft werden alljährlich hofiert, als hätten sie staatstragende Funktionen zu erfüllen. Das Publikum kommt nicht nur wegen des biederen Stücks, es locken der Event-Charakter der Veranstaltung, die verschwenderische Starbesetzung, die faszinierende Naturkulisse des Domplatzes im Abendlicht. Man will hautnah erleben, wie das Ensemble in aufwendigen Kostümen schwitzt. Die teuersten Karten kosten 190 Euro, auch heuer waren sämtliche Vorstellungen lange im Voraus ausverkauft. Burgtheater-Star Michael Maertens gibt ab 21. Juli den Jedermann, Buhlschaft ist die Oberösterreicherin Valerie Pachner, die auch den Tod spielen wird. Diese Doppelrolle ist eine Premiere bei den Salzburger Festspielen.

Das folgende Interview mit der Schauspielerin, die mittlerweile in Berlin lebt, wird per Zoom geführt. Pachner ist gerade auf dem Sprung nach Salzburg, wo die „Jedermann“-Proben mit Regisseur Michael Sturminger beginnen.

Wie wird man eigentlich Buhlschaft? Melden sich die Salzburger Festspiele direkt oder läuft das über Ihr Management?
Pachner
Ich wurde tatsächlich persönlich von Schauspielchefin Bettina Hering angerufen. Wir sind lose in Kontakt, seitdem ich das Max Reinhardt Seminar abgeschlossen habe.
Haben Sie lange gezögert, die Rolle anzunehmen?
Pachner
Ehrlich gesagt hatte ich schon Bedenken, was man damit machen soll und kann. Ich hatte zunächst als erste Idee vorgeschlagen, einen Monolog schreiben zu lassen und diesen parallel aufzuführen. Um der Buhlschaft mehr Raum zu geben und damit dieses leidige Thema, sie habe zu wenig Text, vom Tisch ist. Aber Bettina Hering hat mir dann angeboten, nicht nur die Buhlschaft, sondern auch den Tod zu spielen. Das fand ich künstlerisch spannend und herausfordernd zugleich.
Die Buhlschaft feministisch aufzuwerten, ist so schwierig, wie die Frauenfiguren in James-Bond-Filmen komplexer zu machen.
Pachner
Man muss jetzt sehen, wie es in den Proben läuft, aber die Rolle ist nun einmal, was sie ist. Sie wurde vor über 100 Jahren geschrieben, und ich kann ja nur spielen, was da ist. Ich finde aber richtig, dass der Jedermann von einem Mann verkörpert wird, weil es unsere Gesellschaft widerspiegelt: Männer haben noch immer mehr Macht, verdienen mehr als Frauen, besetzen zentrale Positionen. Insofern ist die Aufteilung leider nach wie vor aktuell. Sie reflektiert den Status quo der Welt.
Sie sehen die Rollenverteilung im „Jedermann“ als realistischen, kritischen Blick aufs Patriarchat?
Pachner
Diese allegorisch-exemplarische Figur könnte auch von einer Frau gespielt werden. Aber ich habe mich gefreut, dass es diesmal noch ein Mann geblieben ist. Es geht um das Sterben eines Kapitalisten, der absolut nicht nachhaltig gelebt hat, vor allem auf sich schaut. Das ist auch in Bezug auf die Klimakrise aktuell. Letztlich sind es noch immer überwiegend Männer, die als Entscheidungsträger massiv dafür verantwortlich sind, was gerade schiefläuft in Sachen Umweltpolitik und ungleicher Verteilung von Kapital und Macht.
In der Rezeption der Buhlschaft wird auch deutlich, wie sexistisch unsere Welt ist: Das Aussehen und das Kleid der jeweiligen Schauspielerin sind nach wie vor zentral.
Pachner
Ich fände gut, eine Pressekonferenz zum Anzug des Jedermann zu machen. Wie ihm der steht. Auch an jener Debatte sieht man, dass jungen Frauen noch immer gern der Platz als Schmuckstück zugewiesen wird.
Als Buhlschaft ist man auch außerhalb der Bühne die Prinzessin von Salzburg. Haben Sie keine Angst vor diesem „Seitenblicke“-Sommer?
Pachner
Ich bin bereit! Sonst hätte ich den Job ja nicht angenommen. Aber klar, ich habe auch Respekt davor. Dieser Öffentlichkeitsaspekt meiner Arbeit hat mich ein wenig überrascht. Es ging mir nie darum, auf der Straße erkannt zu werden. Bisher wurde ich auch eher inhaltlich zu meinen Filmrollen befragt, erst beim „Jedermann“ schwingt nun diese zweite Ebene mit. Das ist für mich ungewohnt.
Bitte um Ihre ersten Erinnerungen an Salzburg!
Pachner
Ich bin auf einem Schulausflug verloren gegangen. Damals war ich höchstens zehn. Ich weiß nicht mehr viel, außer dass es geregnet hat. Wir waren auf der Festung, die anderen haben den Lift genommen. Mit zwei weiteren Mitschülerinnen blieb ich zurück. Aber wir haben es geschafft, uns allein zum Bahnhof durchzuschlagen.
Sie meinten einmal in einem Interview, dass Sie Salzburg „schräg“ finden. Warum?
Pachner
Die Stadt besteht aus krassen Gegensätzen: Dieses Himmelhoch-Schöne, aber auch dieses Entrische, wie man in Österreich sagt. Dieser nie aufhören wollende Regen, diese tiefen Schluchten, diese Dunkelheit. Und dann im Sommer wird die ganze Stadt zur Festspielbühne, die sich herausputzt.
Zuletzt haben Sie in der BBC-Western-Miniserie „The English“ eine toughe Siedlerin gespielt. Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Ihre Rollen?
Pachner
Wenn ich einen Text lese und mir eine Rolle vorstelle, gehe ich von mir aus, das ist sehr intuitiv. Ich muss die Figur nicht mögen, aber etwas mit ihr erzählen wollen. Dafür muss das Gesamtpaket stimmen. Mittlerweile überlege ich mir genau, mit wem ich zusammenarbeite. Man hat im Prozess als Schauspielerin nur einen gewissen Grad an Kontrolle über das Endresultat. Und es gehört natürlich auch Glück dazu.
Mit den Vorwürfen gegen den deutschen Schauspieler Til Schweiger wird derzeit auch thematisiert, wie toxisch die Arbeitsbedingungen beim Film sein können. Hören Sie sich um, bevor Sie zusagen?
Pachner
Ich habe noch nie konkret nachfragen müssen. Oft spürt man schnell, dass eine Konstellation nicht passt. Für mich ist zentral, dass ich eine gute, respektvolle Verbindung mit dem Regisseur oder der Regisseurin habe. Wenn ich die nicht spüre, lasse ich lieber die Finger davon.
Was sollte sich ändern, damit man sich nicht nur auf Gerüchte und seine Intuition verlassen muss?
Pachner
Es ist wichtig, dass über Missstände gesprochen wird, wie es jetzt passiert. Dass man Mechanismen findet, schneller offenzulegen, wenn sich Menschen danebenbenehmen.
Sie wollten zuerst Theaterschauspielerin werden. War Film ein Hintergedanke?
Pachner
Ich habe nie gedacht, dass ich Filme drehen würde. Ich fand mich zu eigen, nicht hübsch genug fürs Fernsehen. Wahrscheinlich hatte ich eine konventionelle Vorstellung von der Film- und Fernsehwelt. In der Schauspielschule wurde uns vermittelt, Theater sei ein Ort, an dem politische Themen verhandelt werden. Film und Fernsehen habe ich als eher eitel abgetan. Und wurde dann eines Besseren belehrt.
Sie haben Internationale Entwicklung studiert, ehe Sie an die Schauspielschule wechselten. Wollten Sie damals die Welt retten?
Pachner
Als Teenager auf jeden Fall. Der Übergang zur Kunst war zunächst schwierig. Ich habe mich gefragt: Was ist das Gute für die Welt, wenn ich jetzt Schauspielerin werde? Deshalb zog mich Theater zuerst mehr an, ich fand es bodenständiger und kritischer.
Würden Sie sich als politischen Menschen bezeichnen?
Pachner
Alles ist politisch, da kann man sich doch nicht herausnehmen. Ich habe für mich gemerkt, dass man sich in der Kunst freier mit Themen beschäftigen kann. Es erfüllt mich auch mehr, wenn ich an Projekten arbeite, die ein Anliegen haben oder zum Nachdenken anregen.
Sympathisieren Sie mit dem gegenwärtigen Klimaaktivismus? Mit Leuten, die sich an Straßen festkleben?
Pachner
Absolut. Und ich finde schwierig, dass sie dermaßen kriminalisiert werden. Das sind Menschen, die sich um unsere Zukunft sorgen. Punkt. Es ist doch höchste Eisenbahn, dass etwas getan wird. Es ist erschreckend, wie wenig sich in der Politik diesbezüglich bewegt.
Wie finden Sie die Millionenerbin Marlene Engelhorn, die eine Vermögenssteuer fordert?
Pachner
Es ist schön, wenn superreiche Menschen so klar Stellung beziehen. So offen sagen, was an diesem Erbschaftssystem und unserer Verteilung der Ressourcen falsch ist. Es ist wahnsinnig schwer, aus einem Privileg heraus zu sprechen. Und ich finde, das macht sie sehr gut.
Der Jedermann würde solche Argumente nicht gern hören.
Pachner
Das ist ein zutiefst menschliches Problem: Man sieht nur jene, die mehr haben als man selbst. Der Kapitalismus basiert auf Konkurrenz und Wettbewerb. Ganz schnell enden Gemeinsamkeit und Solidarität. Nur noch das Gefühl: Ich muss zuerst auf mich schauen. Das ist natürlich eine hochkomplexe Angelegenheit. Aber durch die Klimakrise gibt es im Moment einen sehr klaren Protest.

Valerie Pachner, 35, wird heuer bei den Salzburger Festspielen nicht nur die neue Buhlschaft im „Jedermann“ spielen, sondern auch die Rolle des Todes. Premiere ist am 21. Juli. Pachner wuchs im oberösterreichischen Bad Schallerbach auf, studierte in Wien, bevor sie am Max Reinhardt Seminar ihre Schauspielausbildung absolvierte. Danach wechselte sie zu Martin Kušej ans Residenztheater in München. Bald schon folgten internationale Filmangebote, 2016 wurde sie von Terrence Malick für die weibliche Hauptrolle in dem NS-Widerstandsdrama „Ein verborgenes Leben“ engagiert. Für ihre Darstellung einer kühlen Unternehmensberaterin in Marie Kreutzers „Der Boden unter den Füßen“ (2019) erhielt sie den Deutschen Schauspielpreis. Zuletzt war sie in der kritischen Western-Miniserie „The English“ (2022) zu sehen.

 
 
Karin   Cerny

Karin Cerny