Voodoo Jürgens
Aufgedreht

Voodoo Jürgens und Nina Hagen: Seelentröster und Zuckerbäcker

Nina Hagen und Voodoo Jürgens erforschen mit ihren neuen Songs die menschliche Seele – und zeigen sich dabei als grantelnde Gutmenschen.

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Hat sich Voodoo Jürgens aus dem Beisl herausentwickelt – oder ist das Beisl selbst differenzierter geworden? Was da genau passiert ist, kann man nicht sagen, aber fest steht: Die neue Platte des Liedermachers aus Tulln (pathetischer Titel: „Wie die Nocht noch jung wor“) fügt dem gewohnten Voodoo-Sound zwischen Punk und Wienerlied etwas Neues hinzu. Der Mann, der eigentlich David Öllerer heißt, zieht in seinen zwölf neuen Songs wie gewohnt durch die dunkle Wiener Seele (Wir erinnern uns an: „Heite grob ma Tote aus“, 2016), spricht aber vermehrt sozialkritische Themen an, singt über den Mietwahnsinn („Lassalle Strossn“), über erkaltete Beziehungen („Fost wie ans“), verpasste Lebenschancen („Zuckerbäcker“) und die Vereinzelung zwischen Isolation und Arbeitsamt („Beses End“). Am Ende dann „Odessa“: eine knapp vierminütige Trauerhymne, die das Grauen des Krieges zu vermitteln weiß. Kein Wunder, dass es bei so viel Weltschmerz sogar dem Beisl-Dichter die Sprache verschlägt. Für das Finale braucht Voodoo Jürgens nur seine Band, die „Ansa Panier“, die hier mit Trompete, Violine, Horn und Bass dunkel-ominös zum zweiten Album dieser Rezension überleitet.

Aus dem politisierten Voodoo-Beisl marschiert man zur Friedens-Demo von Nina Hagen. Die Berliner Punk-, Stil- und Empowerment-Ikone meldet sich nur zu Wort, wenn sie etwas zu sagen hat. Elf Jahre lang hat sich die heute 67-Jährige für „Unity“ Zeit gelassen, auch wenn die neuen Lieder so klingen, als wären sie einfach aus dem Ärmel geschüttelt worden. Nina Hagen ist in Zeiten der globalen Krisen gar nicht mehr richtig zu fassen, lieber lässt man sich fallen in diesen wilden Strom aus Pop, Politik („United Women Of The World“) und Lust an waghalsigen Sound-Collagen („Shadrack“).

Nina Hagen

Hagen und Jürgens, die beiden grantelnden Gutmenschen, bringen die Menschen, am Ende dieses kaputten Jahres, mit ihrer Musik doch noch zusammen – egal ob in Wien, Berlin oder irgendwo dazwischen.

 

Jetzt auf Spotify: Die Songs der Woche von Lena Leibetseder und Philip Dulle in der Aufgedreht-Playlist. Jeden Freitag neu.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.