Stefan Grissemann

Stefan Grissemann Stachel im Fleisch

Kommentar. Stachel im Fleisch

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Das Kremser Donaufestival hat mit den Wiener Festwochen wenig gemeinsam, auch wenn es in seiner Mischung aus Musik, Performance, Theater, Medien- und bildender Kunst über eine ähnliche kulturelle Bandbreite verfügt. Zwei Jahre lang wird Tomas Zierhofer-Kin in Niederösterreich nun also noch tun, was er seit 2005 schon tut: Er wird das Donaufestival leiten, ehe er 2017 als Nachfolger von Markus Hinterhäuser sein erstes Festwochenprogramm vorstellen wird. Auf exakt fünf Jahre hat man seinen Vertrag beschränkt, ohne Option auf Verlängerung, was auf die Entscheidung der Wiener Kulturpolitik zurückgeht, Intendanzen mit kürzeren Laufzeiten (und erhöhter inhaltlicher Bewegung) zu vergeben.
Man habe, sagt Festwochen-Präsident Rudolf Scholten, eine „beträchtliche Zahl an europäischen Festspielmachern und -macherinnen getroffen“ (nämlich genau 16), ein Jahr lang Gespräche geführt, ehe man sich für Zierhofer-Kin entschieden habe. Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny nennt Zierhofer einen „avantgardistischen Stachel“, der er in den 1990er-Jahren schon im Fleisch der Festspiele gewesen sei. Der gebürtige Salzburger, 46, hat seine Basis in der Musik und der Philosophie. Als Kulturmanager spricht er gern vom „Utopischen“, von der Notwendigkeit, sich der Realität zu stellen und zugleich seinen Möglichkeitssinn auszubilden. Er werde als Chef der Festwochen keine weiteren Nischen mehr erfinden oder Terrains besetzen wollen. Vielmehr sollten Künstler und Vordenker in Wien entstehen lassen, „was nirgendwo anders hätte stattfinden können“.

Es erscheine ihm „ganz natürlich, zwar pessimistisch zu sein, aber auch nach Utopien zu hungern“, sagte Zierhofer bereits in einem profil-Gespräch 2012: „Die Übersättigung und zugleich die Angst vor dem Verlust dieser Übersättigung haben uns in einen anti-utopischen Zustand versetzt. Wir haben keine Modelle mehr, können uns nirgendwohin mehr entwickeln. Die Menschen haben aufgegeben, die Politik ist nur noch ratlos. Die Kunst ist das einzige Feld, in dem noch Modelle angeboten werden.“

Man könnte die Wahl Zierhofers zu naheliegend nennen – das hieße aber auch, einen bloß oberflächlichen Blick auf diese Personalentscheidung zu werfen: Denn Tomas Zierhofer-Kin arbeitete zwar tatsächlich über mehr als ein Jahrzehnt mit dem amtierenden Festwochenchef (und baldigen Festspiele-Intendanten) Hinterhäuser zusammen – erst an dem Festival „Zeitfluss“, das zwischen 1993 und 2001 die Salzburger Festspiele bereicherte, danach an der Festwochenschiene „Zeit_Zone“. An die „idiotische“ Trennung von E und U habe er nie geglaubt, sagt Zierhofer; intermediale Projekte liegen ihm deutlich näher als Kunstreinheitsgebote, er plant etwa, Leute aus Philosophie, Ökologie und Ökonomie in seine Festwochen einzubinden – und die alte Form der Oper eng mit dem Theatralischen und Performativen zu verweben. Insofern sei Hinterhäuser dabei, ihm einen „idealen Nährboden“ zu bereiten. Es gehe darum, einen „künstlerischen Ausnahmezustand“ herzustellen, so Zierhofer, „das Leben, Überleben, die Hoffnungen und Ängste der Menschen“ zu thematisieren. Er wolle sich mit seinem Team an „einen dramaturgischen runden Tisch“ setzen, möglichst antihierarchisch arbeiten, daher konsequenterweise auch ohne Bereichsleitungen für Schauspiel und Musikprogramm. Spartentrennungen dieser Art seien „nicht mehr zeitgemäߓ.

Leicht wird es Zierhofer an der Spitze eines der größten Kulturfestivals Österreichs nicht haben. Ihm könnte, wenn er auch nur ansatzweise wahrmacht, was er am Mittwoch vergangener Woche bei seiner Designierungspressekonferenz ankündigte, aus jenen konservativen Wiener Kulturkreisen, die zur Stammkundschaft der Festwochen gehören, ein durchaus scharfer Wind entgegenblasen. Denn Zierhofers Kulturbegriff ist kompromisslos: Er attackiert die heteronormative weiße Kultur, agitiert gegen Religion und Rollenbilder, gegen den gesellschaftlichen Mainstream. In Österreich gebe es „kaum Aufbruchstimmung, nur Larmoyanz und tonnenschwere Altlasten. Die Bedeutung des Musealen in Wien stört mich massiv. In diesem Klima klingt die Idee, dass alles unbürokratisch möglich sei, großartig.“ Und er zitiert gern Antonin Artaud, der die „Anarchie in der Kunst“ so erklärt habe: „Man zertrümmert die Wirklichkeit und setzt die Einzelteile neu zusammen.“

Die Radikalität des primär als Leistungsschau alternativer experimenteller Pop-Spielarten positionierten Donaufestivals, dessen Auslastung wohl auch deshalb ein wenig zu wünschen übrig lässt, wird sich Zierhofer-Kin bei den Festwochen nicht leisten können. Gegen das Schubladendenken wird er dennoch mit aller Vehemenz antreten. Grund zur Freude.

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