Die Medienkrise ist eine Gesellschaftskrise
Meine Branche ist berühmt für ihre Jammerei – auch Nabelschau ist uns nicht ganz fremd. Aber wie bei einem Hypochonder: Wenn es wirklich ernst wird, glaubt es niemand mehr. Genau so ist es jetzt. Die Lage der Medien in Österreich ist bitterernst. Seit der Jahrtausendwende gibt es ein Drittel weniger Journalistinnen und Journalisten. Große Medienhäuser entlassen Dutzende Kolleginnen und Kollegen – und das wird nicht reichen.
Die ökonomischen Modelle der Vergangenheit sind schwierig geworden. Anzeigen decken keine Recherchekosten mehr, globale Plattformen kassieren die Werbegelder, während österreichische Redaktionen kämpfen. Die Rezession verschärft die Lage: Strauchelnde Unternehmen kündigen Medienkooperationen, aber diese finanzieren unseren Journalismus. Dazu kommt: Künstliche Intelligenz schreibt gratis Texte und stiehlt unsere Inhalte. Social Media liefert Dauerbespaßung, getarnt als Information. Und die Konsumenten? Sie finden Qualitätsjournalismus laut Umfragen irrsinnig wichtig – solange er nichts kostet. So funktioniert das aber nicht: Hochwertige Recherche kostet. Unabhängigkeit kostet. Haltung kostet. Wir halten diese Werte hoch, vielen ist das aber trotz Lippenbekenntnissen wenig wert. Eine Profil-Ausgabe kostet weniger als eine Packung Zigaretten. Und trotzdem empört sich der Österreicher mit der Zigarette in der Hand nur zu gern, dass Medien „immer schlechter“ werden und alles viel zu teuer sei.
Das ist keine Medienkrise, das ist eine Gesellschaftskrise. Wir verwechseln Teilhabe mit einem Klick. Wir erwarten Kultur ohne Theaterbesuch, Demokratie ohne Steuern, Journalismus ohne Abo. Wir stecken Migranten in Wertekurse, weil wir glauben, sie müssten lernen, wie Gesellschaft funktioniert. Was man tun muss, um ein wertvoller Teil davon zu werden. Dabei wären wir selbst längst fällig. Wir erwarten, dass irgendjemand anderer all unsere Wünsche erfüllt. Am besten die Politik, die man immerhin gewählt und damit für alle Probleme für zuständig erklärt hat. Fakt ist: Wir alle tragen Verantwortung.
Braucht's das? Ja!
Professionelle Medien sind public watchdogs. Wir kontrollieren, hinterfragen, zeigen Grenzen auf. Wer in Länder schaut, in denen unabhängige Medien zerstört wurden, sieht, wohin das führt: Ungarn, Polen, Türkei. Oder die USA, wo kritische Medien derzeit massiv unter Druck geraten. Wer kritische Berichterstattung liefert, wird diffamiert, verklagt, bedroht. Trump hat Medien nicht gebraucht, um an die Macht zu kommen – jetzt will er nicht, dass sie ihn daran hindern, dort zu bleiben.
Mediensterben passiert nicht über Nacht, sondern schleichend – begleitet von dem Satz: „Brauchen wir das wirklich?“ Ja, wir brauchen es. Gerade jetzt, in Zeiten von Propaganda globaler Umbrüche, rechtspopulistischer Hegemonien und Desinformationskampagnen, die Ihnen das Hirn verdrehen wollen.
Qualitätsjournalismus ist Erwachsenenbildung. Wer sich informieren will, wer selbstbestimmt eine fundierte Meinung bilden will, der braucht Fakten statt Algorithmen, Kontrolle statt Filterblasen. In der Schweiz oder Norwegen hat Bildung anders als in Österreich einen hohen Stellenwert. Dort versteht man den Wert von professionellen Medien: Im Durchschnitt hat dort jeder Haushalt mindestens ein Medienabo – eher zwei.
Die Gesellschaft muss sich entscheiden: Wollen wir Medien, die recherchieren, kontrollieren, nerven – oder wollen wir Memes und Meinungen, die ins eigene Weltbild passen? Wer glaubt, Influencer, Content-Creator oder KI könnten den Journalismus ersetzen, hat das Prinzip nicht verstanden. Sie können vieles, ja sie haben auch ihren Wert – aber sie haben kein Mandat.
Wer Medien will, muss sie sie tragen. Nicht mit Mitleid, nicht mit Förderungen – sondern mit Daueraufträgen, Abos, Mitgliedschaften. Ohne Leser keine Öffentlichkeit. Ohne Öffentlichkeit keine Demokratie.
Also: Egal ob Kurier, Presse, Salzburger Nachrichten oder profil (das würde mich freilich am meisten freuen). Wichtig ist nicht, was Sie lesen – wichtig ist, dass Sie professionelle Medien mit hohen Qualitätsstandards lesen. Alles andere ist Selbstbetrug. Am Ende bleibt nur der Algorithmus, der Ihnen sagt, was Sie ohnehin schon geglaubt haben. Und diese Verblödung haben Sie nun wirklich nicht nötig.