Satire

Auf immer dein

Schon an dem Tag, an dem sie einander das erste Mal sahen, hatten Sebastian und Thomas gespürt: Diese Liebe würde niemals enden.

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Das Tagebuch von Thomas war ja nun wirklich einiges gewöhnt (Ja, da war Thomas altmodisch –  die wirklich wichtigen Dinge schrieb er immer noch auf Papier; niemals hätte er sie digital irgendeiner undurchschaubaren Technik anvertraut, dazu war er viel zu schlau). Jedenfalls: So viele Amplituden wie dieses Diarium sahen sonst nur Physiker auf ihren Kurzwellenmessgeräten.

Thomas war nun einmal ein recht emotionaler Mensch. Vor allem, wenn der Abend wieder einmal länger und man selbst auf der Party gut sortiert gewesen war. 

Was es da an spätabendlichen Gefühlsausbrüchen zu lesen gab! An haltlosen Schwärmereien für Menschen, von denen sich Thomas zumindest eine gewisse Dienlichkeit für das eigene Fortkommen erhoffte!  Aber natürlich auch an drastischen Schmähungen für andere, deren nichtswürdige Existenz keinerlei Vorteil für die eigene versprach. Frau Pilcher selig hätte glatt zwei Cornwalls gebraucht, um die volle Bandbreite dieser wilden Achterbahnfahrt der Gefühle einigermaßen realistisch abbilden zu können. 

Aber so eine bedingungslose Klarheit, so eine keine Fragen offenlassende Faszination wie an jenem schicksalsschwangeren Tag, an dem Thomas Sebastian kennenlernte, hatte sein Tagebuch noch nie gesehen. Denn bevor Thomas sein wie stets gedankenschweres Haupt abends auf silbriger Seide zur Ruhe bettete, teilte er noch mit zittrigen Fingern dem erwartungsvollen Pergament dieses mit: „Das ist der Mann meines Lebens!“

Anschließend träumte Thomas von einem fernen Planeten. Sebastian war Kirk – er sah unglaublich schnittig aus 
in dieser Slimfit-Sternenflottenuniform – und Thomas sein Spock. Sie hatten sich unter die unterentwickelten Eingeborenen gemischt, um ihnen unauffällig ihre gewaltigen Goldvorräte unter dem Hintern wegzubeamen. Und anschließend sorgten sie gemeinsam dafür, dass sogar Uhura türkis wurde. 

Vom ersten Tag an war klar, dass Thomas von nun an alles dem Ziel unterordnen würde, gemeinsam mit Sebastian einen Weg einzuschlagen, der nur eine Richtung kannte: senkrecht! Und zwar ausschließlich senkrecht nach oben natürlich, dafür würde schon allein das umsichtige, maßvolle und sicherlich nie zu Hybris tendierende Wesen von Thomas sorgen. Ikarus war jäh abgestürzt, nachdem er der Sonne zu nah gekommen war, ja. Aber Thomas hatte den Fall studiert – und daraus seine Lehren gezogen. Und zwar: Welcher Idiot verwendet denn bei so was auch bitteschön Wachs? 

Sebastian und Gernot waren ja nicht nur verantwortungsvolle Politiker, sie waren mitunter auch kleine Schlingel. Und manchmal, wenn ihnen während dieses ganzen doch recht faden Regierens ein bisschen Zeit blieb, dann flachsten die beiden gern ein wenig herum. Auch immer wieder darüber, wem von ihnen beiden sie denn Thomas überhaupt zu verdanken hatten. Gernot pflegte Sebastian zu necken: „Ich hab ihn zuerst gesehen!“ Und dann bekam Sebastian wieder einmal eine Gelegenheit, sein wichtigstes rhetorisches Instrument, also das glaubhafte Dementieren zu üben. Spielerisch ging es ja doch am leichtesten. 

Gernot war natürlich auch wenig eifersüchtig. Schließlich war er der Erste unter den Prätorianern. Und manchmal hatte er schon Angst, Thomas könnte ihm in der Beliebtheitsskala den Rang ablaufen. So weit ging es vielleicht nicht – aber Sebastian hatte jedenfalls gleich gewusst, dass er auf einen Fels wie Thomas durchaus seine Kirche bauen konnte. 

Sebastian mochte all die guten Eigenschaften, mit denen Thomas gar nicht erst lange hinter dem Berg hielt: die Gier, die Kaltschnäuzigkeit, die Respektlosigkeit, die Härte im Nahkampf. Und vor allem: seine Verschwiegenheit! Und da redete er wie gesagt noch gar nicht von den schlechten Eigenschaften …

Genau solche Leute brauchte es für die Revolution, die Sebastian diesem Land angedeihen lassen würde in seinem gerade erst begonnenen Jahrzehnt im Kanzleramt, eine Revolution, die aufgebaut war auf Leistung und Anstand. Am besten beides gemeinsam. Es war schließlich allemal eine Leistung, das als Anstand zu verkaufen. 

Ihre Freunde hatten sie ja allesamt dafür belächelt, dass sie in all dem Gefühlsüberschwang doch auch noch so rational denken konnten. Und natürlich war es komplett unnötig gewesen, einander gleich zu Beginn hoch und heilig zu versprechen, für den Fall, dass sich bei einem von ihnen die Gefühle ändern sollten, ein neuer Messias auftauchen sollte für den einen oder ein noch brutalerer Mann fürs Grobe für den anderen, für den unwahrscheinlichen Fall also, dass ihre Liebe dereinst irgendwie erkalten sollte, diese Sache ganz diskret abzuwickeln. Und nicht etwa auf die Idee zu verfallen, Schmutzwäsche in aller Öffentlichkeit zu waschen. Aber wie gesagt: dieses Versprechen war immer schon eine Formsache gewesen. 

Sie würden sich ohnehin nie trennen. 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort