Kolumne

Das Ende des Monats und das Ende der Welt

Auf dem Kassazettel in Wiener Neustadt. Im Krankenhaus von Liverpool. Und in den vermurten Dörfern des pfälzischen Ahrtals. Die Krisen sind überall angekommen: die Teuerung, befeuert vom Krieg und unserer Abhängigkeit von fossiler Energie. Die Nachbeben der Pandemie. Und der Klimakollaps.

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Wer vertraut heute noch darauf, dass unsere Demokratien diese Krisen lösen können? Dass sie „resilient“ sind? Viel zu wenige. Kaum eine Regierung im demokratischen Westen ist derzeit gut angeschrieben. Und viele dieser Regierungen wackeln bedrohlich. Das zeigen die aktuellen Verwerfungen in Deutschland – des größten EU-Mitglieds: Wenn die Koalition in Berlin wackelt, dann wackeln auch in Brüssel die Wände.

In Tel Aviv und Paris gehen Hunderttausende auf die Straßen; in Österreich stellt der Demokratiemonitor des SORA-Instituts der Regierung ein miserables Zeugnis aus: Zwei Drittel sind mit dem politischen System nicht zufrieden. So viele wie noch nie. Der Wunsch nach einem starken Führer an der Spitze des Staates wird immer stärker. Nur mehr knapp jede:r Zweite lehnt das kategorisch ab.

Die Wähler:innen fühlen sich machtlos, weil ihnen die Politik täglich vermittelt: Mehr als ein bisserl Symptombekämpfung hier und ein bisserl Show da ist leider nicht drin. Und wenn es endlich Entscheidungen gibt, dann helfen sie viel zu oft nur einigen wenigen. Ausgerechnet denen, die eh easy über die Runden kommen.

Drei Beispiele dazu. Erstens: die Mietpreisbremse. Fast alle Inflationsexpert:innen sind sich einig, dass diese der Volkswirtschaft am meisten geholfen hätte, weil sie den Mieter:innen Druck von den Schultern genommen UND die Inflation eingebremst hätte. Und die Regierung? Entscheidet sich trotzdem für eine Einmalzahlung. Schon wieder eine Einmalzahlung. Kosten diesmal: 250 Millionen Euro. Dieses Geld landet fast 1:1 bei den Vermieter:innen, die wahrlich nicht hungern. Die allermeisten gehören nämlich zu den reichsten zehn Prozent in Österreich. Bezahlen dürfen das alle Steuerzahler:innen gemeinsam. Für knapp 500.000 Haushalte steigt die Miete derweil um fast neun Prozent. Zum Vergleich: Die Reallöhne sind im vergangenen Jahr um fast vier Prozent gesunken, ein historischer Erdrutsch in der Kaufkraft. Und dann verkauft die Regierung diese Maßnahme als „sozial treffsicher“ – aber das durchschauen die Wähler:innen. Und fühlen sich verarscht.

Zweitens: der Klimakollaps. Der Verkehr wäre zweifellos unser größter Hebel, um CO2einzusparen. Alles, was wir mit anderen Maßnahmen in den letzten drei Jahrzehnten eingespart haben, haben wir mit zusätzlichem Verkehr wieder in die Luft geblasen. So hat Österreich in 30 Jahren keine einzige Tonne CO2 gespart. Die Lösung wäre einfach: Senken wir österreichweit die Tempolimits ein bisschen. Das kostet nichts und ist effektiv, der CO2-Ausstoß im Verkehr würde von heute auf morgen um zehn Prozent sinken. Und die Regierung? Diskutiert stattdessen ernsthaft, ob man die Jugendlichen strafrechtlich verfolgen soll, die sich verzweifelt auf die Straße picken, um auf das politische Versagen hinzuweisen. Wenn Politik nicht mehr gestalten will, warum sollte ich ihr noch vertrauen?

Drittens: die „Gierflation“, die jüngst sogar von der Europäischen Zentralbank beklagt wurde. Energie, Bau, Handel: Im Windschatten des Krieges verdienen sich manche derzeit eine goldene Nase. Vor allem Branchen mit nur wenigen übermächtigen Playern haben ihre Preise weit mehr erhöht, als es die Mehrkosten für Energie und Löhne rechtfertigen würden. Dass wir jetzt zusätzlich noch 15 Milliarden Euro Energiekostenzuschuss für die Unternehmen locker machen, ohne zu überprüfen, wer denn wirklich wegen extrem hoher Energierechnungen die staatliche Hilfe braucht … das ist nach den üppigen Corona-Förderjahren eine weitere Gießkannenaktion für Unternehmen.

Hier die Gierflation, dort die Einmalzahlungen für jene, denen es immer schwerer fällt, die hohen Preise zu stemmen. Auf Dauer zersetzt diese Mischung die Akzeptanz der Demokratie. Dabei hätte die Politik nach wie vor gewaltig viel Handlungsmacht. Spanien und Portugal haben gezeigt, was Politik schaffen kann. Mit einer Mietpreisbremse, mit Gratis-Öffis, mit einer Steuersenkung auf Grundnahrungsmittel und Energiepreisdeckeln.

Spanien hat auch die Tempolimits gesenkt, befreit die größeren Innenstädte jetzt von den ärgsten Verbrenner-Dreckschleudern und investiert massiv in die Energiewende. Die Regierung dort hat gute Chancen, dieses Jahr wiedergewählt zu werden. Auch Portugals Ministerpräsident hat im Herbst mit deutlichen Zugewinnen sein Amt verteidigt. Er nützt den Spielraum, den die Politik hat. Und er hört nicht auf damit: Jetzt will er mit einem gesetzlichen Leerstandsverbot Wohnraum vor Spekulation schützen. Politik für die vielen statt Brot und Spiele. Da könnte sich Österreich etwas abschauen.

Barbara Blaha

Barbara Blaha

leitet das ökosoziale Momentum Institut.