Kolumne

Barbara Blaha: Eure Armut kotzt mich an

Arme Menschen stehen unter Generalverdacht: Wer arm ist, wird schon irgendwie daran schuld sein. Und wer schuld ist, der verdient weder Mitgefühl noch unsere Achtung.

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Jedes fünfte Kind in Österreich wächst in einer armen Familie auf. Arm heißt: 22.000 Euro im Jahr (oder weniger) beträgt das Familienbudget, wenn die Mama das arme Kind allein großzieht. In so einer Familie bereitet die Erhöhung der Miete oder der Stromrechnung um zehn Prozent schon schlaflose Nächte. Kein Sparbuch, kein Erbstück, nicht einmal ein Sparschwein bringen einen über das Monatsende.

Jedes fünfte Kind. Wer angesichts dieser Zahl Armut nicht bekämpfen will, dem bleibt nur die Attacke auf die Armen. Armut sei ein Charakterfehler, sagte die konservative Säulenheilige Margaret Thatcher. Ihre alpinen Parteifreund:innen machen ihr 40 Jahre später alle Ehre.

Eine Abgeordnete der Kanzlerpartei fordert öffentlich auf, Eltern beim Jugendamt anzuzeigen, die ihre Kinder hungrig in die Schule schicken. Ein schwarzer Funktionär erinnert an den Familienbonus, der doch gegen Kinderarmut helfe. Dass der Bonus für Besserverdienende maßgeschneidert worden ist: egal! Mit dem Bonus ersparen sich gut verdienende Eltern bis zu 1500 Euro Steuern im Jahr. Eltern mit schlecht bezahlten Jobs schauen durch die Finger.

Wer selbst schuld ist an der eigenen Misere, über den darf man alles sagen. Die unverhohlene, offene Verachtung für arme Menschen ist in Österreich salonfähig.

Barbara Blaha

Die Verachtung gegenüber Armen wird nicht nur über Gesetze und Verordnungen ausgestellt, die sie aktiv benachteiligen. Arme Menschen werden auch öffentlich als faul, unzuverlässig, egoistisch und unreif dargestellt. Wer arm ist, ist vor allem dumm – wie jüngst in der ORF-Sendung „Zur Sache“ Immobilienmillionär Gerald Hörhan ausführen durfte. Oder mindestens faul. Susanne Raab, Familienministerin, stimmt das gleiche Lied an: „Auf den Faktor Arbeit darf man in der Debatte nicht vergessen, denn das beste Mittel gegen Armut ist und bleibt die Erwerbsarbeit.“ Über diesen Tipp wird sich die Alleinerzieherin sicher sehr freuen. Die – leider, leider! – Teilzeit arbeiten muss, weil der Kindergarten zu Mittag zusperrt. Oder deren Ex-Mann einfach den Unterhalt nicht zahlt. Auch die Mindestpensionistin, die mit knapp 1000 Euro monatlich auskommen muss, wird sich für den tollen Ratschlag bedanken, doch endlich arbeiten zu gehen.

Diesen Armen kann man eben nicht trauen. Die muss man wirklich an alles erinnern. Sogar daran, dass sie sich um ihre Kinder kümmern sollen. Familienministerin Raab hat  bei der Präsentation der 60-Euro-Sonderzahlung pro Kind an armutsgefährdete Familien deshalb zu Protokoll gegeben: „Das Zusatzgeld soll im Sinne der elterlichen Verantwortung auch zum Wohle der Kinder für diese gut eingesetzt werden.“

Nicht auszudenken, die Armen würden das Geld zu McDonald’s tragen, um Hamburger zu kaufen. Wer selbst schuld ist an der eigenen Misere, über den darf man alles
sagen. Die unverhohlene, offene Verachtung für arme Menschen ist in Österreich salonfähig. Auf die darf man schimpfen. Wärst du eben nicht schwanger geworden. Hättest du dich halt nicht scheiden lassen. Wärst du nur nicht krank geworden. Hättest du den Job halt nicht verloren.


Die Ernährungstipps des glücklosen Kanzlers waren deshalb weder ein Hoppala noch ein Unfall. Arme Kinder? Ja, die sind unschuldig. Ihre Eltern aber, sie tragen die Verantwortung für ihre Armut. Die Regierung hat es seit ihrem Antritt vor vier Jahren nicht einmal geschafft, einen Aktionsplan gegen Kinderarmut vorzulegen, den die EU seit Jahren von uns einfordert. Das ist kein Versehen. Das ist Absicht. Wer keine Ambitionen hat, die Kinderarmut zu bekämpfen, der braucht auch keinen Plan dafür.

Armut ist ein Disziplinierungsinstrument. Weil unsere Sozialsysteme nicht armutsfest sind, ist die Angst vor Armut bis in die Mittelschicht hinein verbreitet.

Barbara Blaha

Wer über Kinderarmut spricht, darf zu  Armut allgemein nicht schweigen: Arme Kinder haben immer auch arme Eltern. Während wir heute Kindern keine Schuld für ihre Armut geben, gilt das für ihre Eltern nicht. Im Gegenteil. Eine Gesellschaft, die alles einem Leistungsprinzip unterordnet, die Individualismus und Wettbewerbsfähigkeit als Tugenden vor sich herträgt, schiebt Armen die Schuld für ihre Armut zu. Selbst schuld, wer sich am Markt nicht durchgesetzt hat.


Die zynische Wahrheit ist aber: All die Thatchers, Raabs und Nehammers brauchen Armut. Ein Land ohne Armut wäre eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort. Stellen wir uns vor, Menschen müssten bei schlechten Arbeitsbedingungen oder einem miesen Gehalt keine Angst vor Armut haben. Sie könnten einfach sagen: Unter diesen Bedingungen arbeite ich nicht.
Mit anderen Worten: Armut ist ein Disziplinierungsinstrument. Weil unsere Sozialsysteme nicht armutsfest sind, ist die Angst vor Armut bis in die Mittelschicht hinein verbreitet. Wer Kinderarmut bekämpfen will, darf deshalb nicht von Armut und ihrer Funktion im Kapitalismus schweigen. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass es keine armen Kinder mehr gibt, dann müssen wir die Armut insgesamt besiegen.

Barbara Blaha

Barbara Blaha

leitet das ökosoziale Momentum Institut.