Zeiten oder Wende? „Das ist wirklich ein ganz bemerkenswerter Tag”, meint Tarek Leitner – und Strache gibt ihm ausnahmsweise recht.

Bundespräsidentenwahl: "Sind Sie schon verkabelt?"

Typisch Systemmedien: Sie wissen nicht einmal, wie die Wahl ausgegangen ist. Doch dafür darf man den Kandidaten live beim Gehen zuschauen.

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Die Überraschung des Tages: ATV verzichtet diesmal nicht auf den Moderator. Meinrad Knapp muss deshalb zwischen den großzügig eingestreuten Werbeblöcken seine gesamte Routine und Eloquenz aufbieten, um die lähmend unentschiedenen Hochrechnungen schönzureden: "Wir sagen Ihnen mit vielen Worten und guten Argumenten , warum wir es jetzt noch nicht wissen." Tatsächlich liefern einander die Studio-Experten Thomas Hofer und Peter Hajek ein atemberaubendes Sprechduell: Wer bringt in der kürzesten Zeit die meisten Worte -und das eine oder andere gute Argument -unter?

Da Peter Filzmaier in dieser Disziplin den ohnehin nicht zu schlagenden Landesmeister stellt, bucht der ORF ihn seit jeher als Solokünstler -Gegenrede zwecklos. Die einzige Hoffnung für Pannenfetischisten : Wird man Filzmaier heute vielleicht einmal bei einem "Äh" ertappen? Keine Chance! Immerhin formuliert er für seine Verhältnisse ungewohnt rustikal: "Es ist arschknapp." Natürlich handelt es sich dabei um ein Van-der-Bellen-Zitat aus dem Jahr 2006, doch die einzigartige Gelegenheit, einen potenziellen Bundespräsidenten mit einer so unziemlichen Wortwahl in Erinnerung zu rufen, muss man einfach nutzen.

"Das ist wirklich ein ganz bemerkenswerter Tag", sagt Tarek Leitner von der hohen Küniglberg-Warte aus. Ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt, in den Stadtniederungen Wiens, gibt Heinz-Christian Strache ihm vollumfänglich recht: "Ein historischer Tag. Eine politische Zeitenwende." Zu diesem Zeitpunkt kann von einer Wende zwar nicht die Rede sein -die Kandidaten liegen laut den aktuellsten Hochrechnungen haargenau gleichauf -, doch was von den Hochrechnungen des Staatsfunks zu halten ist, weiß Strache bekanntlich ganz genau, weshalb er es auch noch einmal mit allem ihm gebotenen, verachtungsbebenden Nachdruck betont. Der nächste ORF-Skandal, keine Frage!

Neben Strache steht NEOS-Chef Matthias Strolz und zelebriert den Moment, als ihm endlich das Wort erteilt wird, mit einer unvermittelten Seitwärtsbewegung. "Sie können ruhig da bleiben", sagt Moderator Wolfgang Geier beschwichtigend: "Unsere Kameras haben Sie sowieso im Bild."

Man entgeht ihnen nicht. Wo immer das derzeit tonangebende politische Personal der Republik an diesem Tag auftaucht - die Kameras sind schon da. Dass dann aber ausgerechnet die nominellen Superstars des Abends, und zwar die beiden Kandidaten höchstselbst, plötzlich gleichsam aus dem Nichts, aber leider auf überhaupt keiner Bildfläche erscheinen, bringt sogar einen gestandenen TV-Routinier wie Hans Bürger kurz aus dem Konzept. Er bricht die gerade laufende Journalistenrunde abrupt ab und orientiert sich in die Gegenrichtung, hin zu einem durch und durch kamerafeindlichen Menschengewühl: "Ich würde Herrn Hofer und Herrn Van der Bellen bitten, jetzt live herzugehen." Und so wird man Zeuge eines weiteren historischen Moments: Man darf den Ex-aequo-Hofburg-Aspiranten live dabei zusehen, wie sie hergehen. "Sind Sie schon verkabelt?", fragt Bürger, als hätte es ihn in den nächsten "Tatort" verschlagen, wo kurz vor dem alles entscheidenden Showdown noch dringend geklärt werden muss, ob der Kronzeuge auch ordnungsgemäß mit einem versteckten Mikrofon ausgestattet ist.

Hofer und Van der Bellen sind natürlich nicht verkabelt. Es wird also alles noch ein wenig dauern.

Sven   Gächter

Sven Gächter