Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer 2. Dezember 2008

2. Dezember 2008

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Hier waren die Facebook- und Leserbrieffreunde des Bundeskanzlers nicht am Werkeln: Der Wikipedia-Eintrag für Werner Faymann umfasst vier Kapitel, und gleich zwei davon sind wenig schmeichelhaft. Nach „Leben“ und „Privates“ folgt auch schon „Beziehungen zu ­Medienunternehmern“ sowie „Vorwurf der Korruption“. Sollte das alles sein, was eines Tages vom Kanzler übrig bleibt, seine „Städtereisen mit Hans Dichand“ und ein „Verdacht der Untreue bei der Inseratenvergabe der ÖBB und Asfinag“? Am Freitag der Vorwoche jährte sich zum dritten Mal die Angelobung der Regierung, der Faymann vorsteht. Das Jubiläum blieb weitgehend unbemerkt, verdeckt durch die Finanzkrise – und unbelastet von Leistungen, die für die Zeit seit dem 2. Dezember 2008 zu dokumentieren wären.

Das schnell herbeigeholte Argument, warum keine Reformen gelungen sind, warum das Bildungs-, Gesundheits- und Pensionssystem heute nur eine Blaupause von jenem ist, das schon vor drei Jahren die Zukunft des Landes zu verspielen drohte: Der Kanzler und sein damaliger Vizekanzler Josef Pröll hätten sich 2009 um die Bankenkrise zu kümmern gehabt, 2010 seien sie mit den Folgen der Wirtschaftskrise beschäftigt gewesen, und 2011 – richtig – müssten Faymann und sein neuer Konterpart Michael Spindelegger die Eurokrise bekämpfen. Da blieben eben weder Zeit noch Handlungsspielraum, um das Tagesgeschäft ordentlich zu führen, geschweige denn den Laden von Grund auf umzukrempeln. Sehen wir uns diese Argumente näher an!

Zu wenig Zeit also. Wie viele Stunden wenden Faymann und Spindelegger auf, um den Euro zu retten?

Es fällt auch bei großer Fantasie nicht leicht, jene unzähligen Sitzungen mit Parteifreunden, die unaufhörlichen Telefonate mit Obama & Merkel, die nächtelangen Expertengespräche und die darauf folgenden Studien volkswirtschaftlicher Literatur zu imaginieren, die den Kalender derart blockierten, dass jede andere Agenda bis zum Ende der Krise warten müsste. Wahr ist vielmehr, dass der zusätzliche Aufwand durch die unvorhergesehenen ökonomischen Verwerfungen das Zeitkorsett eines österreichischen Politikers in den vergangenen Jahren kaum strapaziert hat.
Zumal Österreich keine Rolle bei den international koordinierten Rettungsaktionen spielt. Zumal kaum ein Minister, Landeshauptmann oder Abgeordneter irgendetwas mit der Bewältigung dieser Krisen zu tun hat. Zumal angesichts eines geplanten Budgetdefizits von 3,2 Prozent im Jahr 2012 niemand behaupten kann, dass auf die Krise mit nationalen Anstrengungen reagiert worden wäre.

Argumentation Nummer zwei: Der Handlungsspielraum war in den vergangenen drei Jahren durch kollabierende Banken, schwache Konjunktur und strauchelnden Euro eingeschränkt, großartige Reformarbeit daher nicht möglich.

Das ist eine eigenartige Behauptung. Wahr ist doch genau das Gegenteil. Gerade die Ereignisse, welche in diese Legislaturperiode fallen, waren dazu angetan, größtmögliche Veränderungen in kürzester Zeit herbeizuführen. Die Schuldenkrise ist ja eine Auswirkung überteuerter Verwaltungs- und Sozialsysteme, die Bankenkrise zusätzlich eine Folge falscher Finanzmarktgesetze. Und in jedem Fall bleibt unverständlich, warum die ökonomischen Erschütterungen verhindert hätten, dass man zu einer gerechten Schul- und zu einer effizienten Universitätsordnung gekommen wäre. Die Krisen haben also gar nichts verhindert.

Was dann? Einfache Antworten. Die SPÖ war in den vergangenen drei Jahren damit ausgelastet, Permanenzpopulismus zu produzieren – im Sinne von heißer Luft, widersinnigen Versprechungen und mutwillig herbeigeführtem Gezanke mit dem Koalitionspartner. Die Volkspartei hingegen beschäftigte sich Tag wie Nacht mit inneren Angelegenheiten – mit dem ständigen Austarieren der Ungleichgewichte, die unter dem Dach der nachgerade absurd heterogenen Partei zwangsläufig die Tagesordnung bestimmen (und Josef Pröll den Kopf kosteten).

Bilanz also: viel zu wenig. Zumal alles möglich gewesen wäre: Noch nie in der Zweiten Republik gab es eine ähnlich lange Zeitspanne ohne Wahlen. Die geht vorüber. Aussicht also: noch weniger.

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