Christian Rainer: "Arm sind sie nicht, nur Schweine“
Ein Generalverdacht gegen Journalisten: Wir lebten im elitären Umfeld, seien in Wiener Bobo-Bezirken groß geworden, führen nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, säßen nie an Stammtischen, hätten somit keine Ahnung, was die Menschen wirklich dächten, schrieben daher Poesie aus dem Elfenbeinturm, nicht aber über reale Verhältnisse. Dem widerspreche ich folgendermaßen: Weil wir mit genau diesem Vorwurf permanent konfrontiert sind, wenden wir viel Aufmerksamkeit darauf, den Realitätsverlust zu vermeiden. Ein Seitenaspekt und damit Nachrichten aus dem Inneren (und auch eine Entschärfung der Kritik eines Leserbriefschreibers, wir hätten der Wahl in Wien unangemessen größeren Raum eingerichtet als jener in Oberösterreich): Fast alle profil-Journalisten sind außerhalb der Hauptstadt aufgewachsen oder im Ausland – was uns kürzlich beim Durchzählen selbst überraschte. Man werfe uns also im Bedarfsfall mangelnde Urbanität vor, nicht aber die Unkenntnis des Landes und seiner Niederungen!
Doch mein Thema ist ein anderes und nur im Umkehrschluss mit den oben genannten Vorhaltungen zu verbinden: Was wir Medien jedenfalls gut vermessen können, sehr früh und in aller Mächtigkeit, ist der Aufruhr der Menschen, sind die Spitzen der Erregung bei emotionalisierenden Ereignissen. Für profil ist das nicht die Empörung über eine Fußgängerzone oder die Liebe zum Fußball. Es sind die großen politischen Dinge, da sitzen wir an der Quelle und sind Quelle.
Derzeit sind diese Aufwallungen stark wie lange nicht, ausladende Briefe an uns, laute Mails, harsch kommentierende Postings, enthemmte Social-Media-Einträge. Ich will Ihnen hier ein Beispiel aus vielen zeigen – einen Mail-Verkehr. Wir hatten überlegt, daraus eine Geschichte zu machen. Die Person, um die es geht, hatte der vollen Nennung ihres Namens zugestimmt. Wir fanden schließlich, man sollte den Schreiber vor sich selbst schützen. Es geht um einen Österreicher älteren Jahrgangs, der durch seine Leistungen und seine Haltung Bekanntheit und Anerkennung genießt, hier und international.
Der Mann, den ich flüchtig kenne, leitete mir vergangene Woche Text, Fotos und Video eines amerikanischen Autors weiter mit der Überschrift (übersetzt): „Österreichische Stadt mit 1600 Einwohnern ertrinkt in Fäkalien und Mist der Migranten.“ Dann Textstellen wie diese: „… der größte organisierte Betrug in der Geschichte des Westens … Orgien … Massen von Migranten zahlen in der Trafik mit 500-Euro-Scheinen … wie nach dem Sieg der Roten Armee … Helferinnen werden ständig als ,christliche Huren‘ bezeichnet … viele Mongolen, aber kaum Syrer … Gerüchte, Ungarn hätte das Chaos genützt, um seine Gefängnisse zu leeren …“ Der Kommentar meines Bekannten dazu: „Warum wird DAS nicht in den österreichischen Medien, wohl aber in amerikanischen kommentiert. Die Merkel-Faymann-Clique will es nicht wahrhaben.“
Auszüge aus meiner Antwort: „Der Text ist über weite Strecken rassistisch. Ich würde mich genieren, das weiterzuschicken. Hast du je gesehen, wie es nach einem Fußballspiel aussieht? profil-Ressortleiterin Eva Linsinger sagt dazu: ,Die Flüchtlingskolonnen hinterlassen auch Mistberge. Wir haben das in mehreren Geschichten erwähnt. Dass es verschwiegen wird, ist eine Verschwörungstheorie.‘“
Ein Rückmail: „Euch Gutmenschen ist der Erhalt der christlich-jüdischen Kultur egal. … Journalisten prostituieren sich … ihr Huren … Ein Pack, solange es sich um Muslime handelt, von denen jeder Zehnte erwiesenermaßen ein Terrorist ist. … Arme Schweine? Nein, arm sind sie nicht, nur Schweine. …“
Meine Antwort: „Das ist ekelhaft. Adieu.“
Mein Bekannter: „Du kannst dir deine tendenziösen Gutmensch-Berichte und latent antisemitischen Leanings auch woanders hineinschieben. … du voreingenommener, komplexbeladener Schreiberling … ihr Verräter der christlich-jüdischen Kultur …“
Warum habe ich Ihnen diesen Mailverkehr so ausführlich geschildert? Weil er eben exemplarisch für eine neue Form der Auseinandersetzung in Österreich und wohl auch in Deutschland steht. Hier werden Personenkreise erfasst, die wir bis vor Kurzem für überlegt abwägend gehalten hatten, für immun gegenüber abstrusen Behauptungen – und damit auch resistent gegen Propaganda, die kalt kalkulierend mit solchen Behauptungen arbeitet.
In der Folge sollten wir überlegen, was das bedeutet. Sind das Gedanken und Emotionen, die schon bisher vorhanden waren, aber verdrängt oder einfach nicht ausgesprochen wurden? Ist es daher gut, dass all dies nun zutage tritt, dass Unterdrücktes diskutiert werden darf und damit verschwindet? Oder werden sich all diese neuen Schwingungen wechselseitig aufschaukeln und irgendwann politisch und gesellschaftlich unbeherrschbar sein?
Antwort wird folgen.