Leitartikel

Christian Rainer: Ballhaus-Populismus

Und wieder ein Ablenkungsmanöver: Der Bundeskanzler reitet gegen die EU-Kommission.

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Aufregung zu Ende vergangener Woche. „Kurz prangert ungerechte Impfstoffverteilung in der EU an“, titelt die „Kleine Zeitung“ via Online-Portal am Freitagnachmittag. „Basar für Impfstoffe?“, fragt die „Presse“ in ihrer Spitzenmeldung – die abwertende Bezeichnung für einen orientalischen Markt hat die Zeitung direkt vom Kanzler übernommen. Beim „Standard“ heißt die Schlagzeile „Kurz kritisiert die Verteilung von Impfstoffen in der EU“, es habe „in einem EU-Gesundheitsgremium Deals mit Pharmafirmen gegeben“. Der „Kurier“ zurückhaltender: „Kurz: Lieferungen erfolgen nicht nach Bevölkerungsschlüssel“. Die „Kronen Zeitung“ hüpft dem Kanzler willfährig nach: „Kurz-Kritik: Kommission räumt Abweichung von Schlüssel ein“. Und „Kurz alleges secret vaccine deals in EU“ läuft als Hauptmeldung über den Börse-Ticker von Teletrader.

Alarmzustand also. Was war geschehen? Der Bundeskanzler hatte für Freitagmittag überraschend zu einer Pressekonferenz geladen. Dort äußerte er jene massiven Vorwürfe gegen die EU-Kommission, gegen Mitgliedsländer, gegen die Hersteller der Corona-Vakzine. Staaten wie Malta und die Niederlande hätten ein Vielfaches der relativen Zuteilung bekommen, die in Bulgarien oder Kroatien gelandet sei. Er habe keinen Einblick, aber „Hinweise“, fordere „volle Transparenz“ und „faire Verteilung“.

Was dann geschah: Die EU-Kommission kontert postwendend. Es gebe keinen „Basar“ zwischen Industrie und Staaten. Vielmehr sei dieser „Basar“ ein „Steering Committee“, in dem alle Mitgliedsländer vertreten sind, Österreich sogar mit einem stellvertretenden Vorsitzenden – Clemens Auer, Sonderbeauftragter von Rudolf Anschober. Die unterschiedlichen Mengen erklärten sich daraus, dass die Staaten bei der Bestellung auf unterschiedliche Hersteller gesetzt hätten, die nun unterschiedlich lieferfähig seien. Zudem, so die EU spitz, habe Österreich zusätzliche Bestelloptionen nicht ausgeschöpft. Auch das laut Kurz benachteiligte Kroatien winkt ab.

Bundeskanzler gegen EU-Kommission, Österreich gegen die Welt. Wer hat recht? Es spricht nicht wenig (also viel) dafür, dass die EU recht hat. In jenem Komitee sitzt Österreichs oberster Impfstoff-Beschaffer persönlich. Ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass in Brüssel in „Basar“-Manier Bargeld zwischen dem niederländischen Premierminister (ein Freund unseres Kanzlers übrigens) und börsennotierten Konzernen verschoben wird.

Aber es geht gar nicht darum, wer schlussendlich recht hat. Vielmehr geht es um die Art und Weise, in der Österreich sich derzeit der Welt (und den Österreichern) präsentiert: populistisch. Rein formal: Der Bundeskanzler beruft Hals über Kopf eine Pressekonferenz ein. Dort äußert er einen schwerwiegenden Verdacht gegen die höchsten Repräsentanten der Europäischen Union (strafrechtlich relevante Vermutungen inklusive). Dieser Verdacht beruht nach eigener Auskunft auf Augenschein (kleines Einmaleins) und Vermutungen. Er selber, so Kurz, habe keinen Einblick in die Verträge, er habe auch nicht bei dem zuständigen österreichischen Beamten nachgefragt. Ist das eines Regierungschefs im westlichen Europa würdig?

Warum das Theater? Die Bevölkerung ist ungeduldig. Andere Länder sind schneller beim Impfen. Die ÖVP fürchtet um ihre Reputation. Daher braucht es Sündenböcke. Als Außenfeind wird die EU identifiziert, ohne Beweise. Innenfeind: der Koalitionspartner, der via Gesundheitsministerium für die Impfstoffbeschaffung zuständig zeichnet. Nicht sehr raffiniert. Etwas raffinierter: Bisher sei Österreich kein Schaden entstanden, sagt Kurz. Damit wendet er die Kritik von seiner Person ab und lenkt die Emotionen in Richtung Ausland. Wahrheitsgehalt: zweifelhaft, denn andere EU-Länder haben wegen besserer Strategie ja doch mehr bekommen, von den USA und Israel ganz zu schweigen. Souverän sieht anders aus.                                           

Ich hatte kürzlich Gelegenheit, mit einem (sehr) prominenten deutschen CDU-Politiker zu sprechen. Er (generisches Maskulinum) zog dabei gegen Österreich und die Führung seiner Schwesterpartei vom Leder: Die behauptete Schließung der Balkanroute nach dem tatsächlichen Durchwinken der Flüchtlinge Richtung Bundesrepublik, kleinlicher Widerstand gegen den EU-Haushalt und zuletzt ein Israel-Besuch ohne Substanz, aber wider die europäische Einheit – dieser offensichtliche Populismus bedürfe keiner weiteren Wertung.

Vielleicht liegt jener Politiker mit seiner Sichtweise ja falsch. Nicht vielleicht: Das ist die Sichtweise der wichtigsten europäischen Nation auf eine etwas weniger wichtige.

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.