Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Die Fehlbarkeit des Papstes

Die Fehlbarkeit des Papstes

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Von außen betrachtet, also aus der Perspektive eines Agnostikers, der nicht erst wegen der Kirchensteuer die Flucht ergriffen hat, nimmt es wunder, dass die Innen­betrachtung nicht apokalyptisch ist. Die letzten Tage der ­katholischen Kirche? Gezählte Tage des Papstes? Der erste Rücktritt eines Pontifex maximus seit 600 Jahren?

Mitnichten. Auf die unzweifelhafte Gewissheit über vieltausendfaches Verbrechen durch Kirchenleute (und das bis in die Gegenwart), auf die Vertuschung dieser Abscheulichkeiten unter dem Deckmantel kirchlicher Autonomie, auf die Pardonierung der Täter über Jahrzehnte reagiert die Welt des Glaubens mit erstaunlicher Gelassenheit, so sie sich nicht gar mit aggressivem Trotz den Fakten in den Weg stellt.

Statt Austrittswellen in Tsunamihöhe, die binnen kürzester Zeit die Hälfte des Bestands an Kirchenmitgliedern ausschwemmen, sehen wir ein Kirchenvolk, das die Angelegenheit achselzuckend zur Kenntnis nimmt. Da zeigt sich keine wütende Empörung, sondern allenfalls diffuser Ekel. Denkt denn keiner daran, dass es auch die eigenen Kinder erwischen hätte können (und auch noch erwischen kann)? Ein paar sprachgewaltige Proponenten der kritischen Öffentlichkeit entladen ihre lange aufgestauten Emotionen gegenüber einer Kirche, die sich schon bisher nicht um deren Meinung geschert hat. Der lokale Klerus selbst versucht, in Österreich angeführt vom Kardinal zu Wien, die ohnehin bloß kräuselnden Wellen mit ungelenken Bewegungen zu glätten. Gottlob steht das Wasser nicht einmal hüfthoch.
Anders das Gebaren im Zentrum der Macht. Eine schier unglaubliche Vorgangsweise, mit der sich der Papst in diesen Tagen verteidigen lässt.

Gäbe es die Inquisition noch, dann suchte sie nun ihre Ziele; so bleibt es vorerst bei einer Gegenwehr mit Worten. Ein „abscheulicher Angriff“ auf den Papst, tendenzielle Berichterstattung, absurde Unterstellungen – mit diesen Formulierungen reagiert der Vatikan auf den Vorwurf, der Papst habe in seiner Zeit als Leiter der Glaubenskongregation erwiesenen Missbrauch vertuscht. Das hatte die hoch angesehene „New York Times“ bezüglich des sexuellen Missbrauchs von 200 gehörlosen Kindern durch den Priester Lawrence Murphy geschrieben. Dabei ist die Faktenlage aufgrund der publizierten Dokumente unzweifelhaft. Die Argumentation, auch US-Behörden hätten Verfahren eingestellt und der Papst sei erst 20 Jahre nach den Vorfällen informiert worden, sind eine bewusste Themenverfehlung. Und war Kardinal Ratzinger nicht darüber hinaus qua seinem Amt jahrelang die definierte Anlaufstelle für alle Missbrauchsfälle weltweit – zum Beispiel für den Ordensgründer Père Maciel in Mexiko? War er. War er nicht mitverantwortlich dafür, dass ein pädophiler Kaplan in Deutschland weiter in einer Pfarre sein Unwesen treiben durfte? War er auch. Darf ein Papst lügen? Oder wird die Unwahrheit eines Papstes, wenn er ex cathedra spricht, gar per Dogmatisierung zur verbindlichen und irrtumsfreien Wahrheit?

Was tun sich die Kirche und ihre Anführer jetzt eigentlich an, warum diese aggressive Abwehr von Anschuldigungen säkularer Instanzen wie einer Zeitung? Hatte man nicht eben erst darauf bestanden, man sei Kirche und der Rest sei Welt? Gott sei der Welt keine Rechenschaft schuldig, nur die Welt der Kirche.

Tatsächlich war eben noch das offizielle Wording gewesen: Es habe keine gesetzliche Anzeigepflicht bestanden. Daher solle sich niemand wundern, dass die Missbrauchsfälle nicht bekannt wurden. Das bedeutet allerdings zweierlei, und beides ist ungeheuerlich. Erstens: In der Auslegung der Kirche müsse somit auch niemand zur Anzeige bringen, dass die Tochter des Nachbarn von ihrem Onkel vergewaltigt wird oder dass ein Lehrer einen Schüler verprügelt. Keine Anzeigepflicht! Die Nachbarn und die Schule werden das doch sicherlich selber regeln.

Zweite Schlussfolgerung: Nach der kirchlichen Denkweise sind die Verbrechen von Priestern an Kindern am Ende eine innerkirchliche Angelegenheit. Das ist jetzt nicht so dahingeschrieben. Es entspricht vielmehr dem absoluten Wahrheitsanspruch des katholischen Glaubens. Wenn es hart auf hart geht, hat Gott das letzte Wort, auch gegenüber denen, die nicht an ihn glauben. Soll der Priester die Sache doch beim Jüngsten Gericht erklären. Eine Ohrfeige und weiß Gott was für andere Verletzungen der körperlichen Integrität haben überdies noch niemandem geschadet. Das ließ uns Elmar Fischer, der Bischof von Feldkirch, in Verteidigung seines Umgangs mit Schülern eben erst wissen.

Wie eng wird es für die katholische Kirche? Nicht so eng, wie viele glauben, und nicht so eng, wie es angesichts der Vorfälle und deren Vertuschung zu wünschen wäre. Gläubige und Kleinklerus verharren lammfromm, statt den gemäß christlichen Werten nachgerade verpflichtenden Widerstand zu leisten. Der Vatikan ist altersstarrsinnig. Er hat mit den Mitteln seiner gottgegebenen Diktatur ja schon andere Krisen gemeistert.

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