Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Die normalen Verhältnisse

Die normalen Verhältnisse

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Wir hätten ja derzeit wirklich genug zu schreiben. Dieser Satz ist die Grußformel, die Journalisten seit Monaten entgegengeschleudert wird, häufig vor dem „Servus“, „Guten Tag“ oder „Grüß Gott“, an jeder Ecke des Landes und der Gesellschaft, im Taxi, am Abort, bei eleganteren Anlässen. Er wird meist begleitet von einem breiten zustimmenden Grinsen des Grüßers, das wohl an der Stelle eines Schulterklopfens steht und komplizenhafte Zustimmung zu unserer Tätigkeit signalisieren soll.
Das könnte uns natürlich freuen. Der investigative Journalismus hat angesichts von sich täglich neu erigierenden Skandalen endlich Lufthoheit über den Tischen und Tafeln der Republik gewonnen. Allzu schwer, zu raumnehmend, zu allgegenwärtig scheint die Affärenlast, als dass man auf jenem Normalweg der Argumentation verweilen könnte, der in einem Kleinreden von Sachverhalten besteht und im Runterputzen, wenn nicht gar im Mundtotmachen der Medienleute vulgo Medienmeute.

Nein, diesfalls sind die Überbringer der Nachrichten nicht die Schlechten, verwandeln auch die Täter diese Überbringer nicht selbst in Täter. Wenn jetzt einer wie der ÖVP-Abgeordnete Werner Amon ein Komplott der Staatsanwaltschaft gegen ihn behauptet, macht er sich zum Gespött und erst recht verdächtig.

Das könnte uns also freuen. Tut’s vielleicht auch, aber nur eingeschränkt. Wer den Überblick wahrt, den müssen Zweifel plagen, ob dieses Kämmen des Filzes wirklich zielführend ist, ob da nicht das dreckige Wasser im Bad bleibt, wenn das Kind ausgeschüttet ist. Diesen Überblick verloren haben doch viele von denen, die nun, durch die Umstände gezwungen, die Aufdeckung dieser Umstände begrüßen!

Es ist nicht der richtige Zusammenhalt von Fakten, der sich da im Meer von Details aufgelöst hat, nicht die Überfrachtung mit Namen von Personen und Geldsummen aus dem Umfeld von Telekom, Buwog und einer Bank. Vielmehr fehlt es am Verständnis dafür, dass hier doch bloß die normalen Verhältnisse beschrieben werden, dass Zeitungen oder der Parlamentsausschuss nur Sachverhalte unter vielen anderen untersuchen, weil ­ihnen diese zufällig in die Finger geraten sind.

Einspruch! Es war zwar ein Zufall, dass die vorletzte Finanzkrise zum Zusammenbruch der Immofinanz führte, und das dabei aufgetauchte Hochegger- und Meischberger-Aktenkonvolut war ein Zufallsfund. Von da ab ist es jedoch minutiöse Arbeit professioneller Schnüffler bei Polizei, Justiz und Medien, welche die Sachen in ihre Verästelungen verfolgen, um sie dann als Ganzes darstellen zu können. Ident die Ursache und ähnlich die Folgen bei der Hypo ­Alpe-Adria. Auch wird mit einiger Sicherheit eine Häufung dubioser Geschäftsvorgänge (und eine Maximierung an Ungeschick bei deren Abwicklung) in der Periode schwarz-blauer Verantwortungsträgerschaft darstellbar sein, wie auch der Fall Grasser bereits heute und ohne Verletzung der Unschuldsvermutung als eines der grellsten Sittenbilder der Nachkriegsgeschichte leuchtet.

Aber dennoch: Wie naiv ist es denn anzunehmen, dass die Vorkommnisse rund um jene Privatisierungen und jene Bank und jenes Telekommunikationsunternehmen nicht allerorts anzutreffen sind – zwischen Bregenz und Eisenstadt, zwischen Großkonzern und Greißlerei, zwischen Regierungspartei und Splittergruppe, zwischen 1945 und 2012? Beratungsverträge, Sponsorengelder, Provisionen, halbheimliche Politikfinanzierung gehören zur Grundausstattung aller staatlichen und ökonomischen Systeme und im besonderen Maße des österreichischen.

Durchaus eigenartig erweist sich folgerichtig die Verbrüderung weiter Teile der Öffentlichkeit mit den Medien, wie auch die Haltet-den-Dieb-Schreierei der zufällig gerade nicht Betroffenen. Ist es bei den Freiheitlichen, aus deren Reihen Hauptverdächtige kamen, wohl Taktik, die Verteidigung im Angriff zu suchen, so kann man bei einem großen Rest der Österreicher Amnesie vermuten: Da weiß die Rechte am Abend nicht, dass die Linke am Morgen selbst noch fröhlich Geld gegen einen Gefallen verteilt hat. Die normalen Verhältnisse und ganz besonders die österreichischen.

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