Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Eine Wahlempfehlung

Eine Wahlempfehlung

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Wer – wie Peter Michael Lingens in diesem profil – meint, man könne „kaum erkennen, was man mit seiner Stimme bewirkt“, daher fehle den Österreichern „die Lust am Wählen“, der lebt offensichtlich in einem fremden Land. Genau das stimmt bei Lingens: Er lebt seit Jahren in Spanien.

Wie selten zuvor kann jeder Staatsbürger nämlich sehen, was er am kommenden Sonntag mit seiner Stimme bewirken wird. Der Wahlkampf hat überdeutlich gezeigt, wofür die Parteien stehen. Selten waren die Konturen der Kandidaten so scharf gezeichnet. Zumal keine Newcomer in die Schlacht geschickt wurden, sondern ein Spektrum von alten Hasen bis zu Ewiggestrigen – abgesehen von der einen Grünen.

Das Argument, der mündige Wähler suche in einem Wahlkampf nach Inhalten, und zwar am liebsten nach solchen, deren Implementierung im Einzugsgebiet des theoretisch Möglichen läge, dieses Argument ist wenig realitätsnah. Der mündige wie auch der unmündige Wähler kreuzen entweder nach lange geübter Gewohnheit an oder nach der persönlichen Attraktivität eines Kandidaten. Nur selten können bestimmte Bevölkerungsgruppen mit einem programmatischen Spezifikum gewonnen oder abgeschreckt werden. Lingens selbst ist ein gutes Beispiel dafür: Er droht damit, Hans-Peter Martin zu wählen, obwohl er sich nach eigenem Kundtun keinesfalls „auch nur entfernt mit seiner Haltung zur EU iden­tifiziere“.

Die niedrige Wahlbeteiligung bei EU-Wahlen korreliert eher mit dem ebenso niedrigen Bekanntheitsgrad der Kandidaten als mit der Inhaltsfrage. Daher hat etwa der durch die „Kronen Zeitung“ täglich beworbene Herr Martin eine gute Ausgangslage, Hannes Swoboda eine schlechte. Daher wohl versuchte Josef Pröll, mit Ernst Strasser einen fragwürdigen, aber bekannten Politiker nach vorne zu stellen. Drückte die prospektive Gestaltungskraft von Kandidaten am Hebel der Wahlbeteiligung, dann würde diese bei der Entscheidung über den Bundespräsidenten ins Bodenlose fallen.

Für alle jene, die nicht aus Tradition (weil schon die Eltern …) oder aus Klientelbindung (die Bauern) unwillig sind, über einen Wechsel nachzudenken: Wen soll man am 7. Juni unter Berücksichtigung der fünf aussichtsreichen Listen wählen? Ein paar Entscheidungskriterien: Vier von fünf Parteien haben sich beim Populismus bedient – alle außer den Grünen. Zwei taktierten mit den Spitzenkandidaten: ÖVP und die Grünen. Zwei haben jede Hemmung verloren: FPÖ und BZÖ.

Beginnen wir mit den letzten beiden! Andreas Mölzer und Ewald Stadler repräsentieren Parteien, die seit Jahrzehnten (beim BZÖ seit dessen Gründung) für Verhetzung, Spaltung, Destruktion in innen- wie in außenpolitischen Fragen stehen. Das Weltbild, falls man es denn so nennen will, das dabei transportiert wird, und die zu diesem Zweck eingesetzten Mittel liegen außerhalb aller tolerierbaren Grenzen. Für eine Wahl aus Protest gegen das Establishment, sei es in Österreich, sei es in Brüssel und Straßburg, sind FPÖ und BZÖ keine vertretbare Option. Hinzu kommt, dass die Spitzenkandidaten dieser Parteien in nachgerade archetypischer Weise jenes revisionistische Geschichtsbild verkörpern, das Vorfällen wie jenen in Ebensee den Boden bereitete. Mölzer und Stadler sollten unwählbar sein, und sie wären das in fast allen EU-Staaten.

Das gilt nicht für Hans-Peter Martin. Natürlich eignet er sich gut als Empfänger von Proteststimmen. Dass ihn die „Krone“ als ihren Kandidaten identifiziert hat, ist seit dem Brief von Werner Faymann und Alfred Gusenbauer an Hans Dichand kein schlagkräftiges Gegenargument. Freilich sollte sich jeder potenzielle Wähler fragen, ob er gerne mit folgendem Programm lebt, von Martin am vergangenen Mittwoch so in der „Krone“ publiziert: „Dafür stehe ich ein: Nie ein Beitritt der Türkei, seit 1999 gegen jede EU-Erweiterung, gegen die Freizügigkeit von Ost-Arbeitnehmern.“ Das klingt nach einer Anleitung zur geistigen und wirtschaftlichen Verarmung.
Die Grünen: Schade um Johannes Voggenhuber, Österreichs spannendstem Außenpolitiker. Ulrike Lunacek? Wer grün wählt, wird das eher wegen der Partei und trotz Lunacek tun.

Entsprechendes ist über die ÖVP und ihren Spitzenkandidaten zu sagen: Wer ÖVP wählt, wird es trotz Ernst Strasser tun und folgerichtig mit zusammengebissenen Zähnen. Strasser wurde durch epidemische, oft persönlich motivierte Posten- und Vorteilsschacherei zum Inbegriff des bösen Politikers. Seine Haltung zur EU ist unbekannt, weil vermutlich inexistent. Wer ÖVP wählt, kann das wegen Othmar Karas tun, wegen Josef Pröll, in Erinnerung an Franz Fischler oder wegen der Notwendigkeit stabiler ökonomischer Gedankengebäude in Zeiten einer Weltkrise.

Es bleibt die SPÖ: ein bemühtes Team unter Führung eines Kandidaten, den die Bevölkerung mehrheitlich wegen einer roten Brille, nicht aber unter seinem Namen erkennen würde; ein bisschen Populismus samt oszillierender Aussagen über den Türkei-Beitritt; und wie bei der ÖVP die Notwendigkeit, die Zähne zusammenzubeißen – wegen jenes Faymann-Gusenbauer-Briefs an die „Krone“, mit dem sich die Partei in die Hände einer unberechenbaren Zeitung begab und die sozialdemokratische Europa-Politik in den Abfalleimer.

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