Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Fekter und die Analphabeten

Fekter und die Analphabeten

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Feinfühlige Frühaufsteher, die am Freitag der vergangenen Woche zur Morgentoilette das „Morgenjournal“ hörten, durften den Tag mit dem eigenen Mageninhalt im Waschbecken beginnen. Die Innenministerin gab im Radio-Interview ab sieben Uhr Folgendes zum Besten: „Derzeit haben wir ein System, wo ein unqualifizierter Analphabet aus irgendeinem Bergdorf gleich behandelt wird wie ein qualifizierter Diplomingenieur.“

Man lausche und staune! Maria Fekter, geboren im verkehrsgünstig gelegenen Attnang-Puchheim, Schulbildung in den Metropolen Gmunden und Vöcklabruck, Funktionärin in der Partei der Landschaftsgärtner, alteriert sich über die Bewohner von „Bergdörfern“, urteilt mit einem grammatikalisch bedenklichen „wo“ und dem Pleonasmus „unqualifiziert“ über „Analphabeten“.

Ein xenophober Rülpser. „Lernen“ Sie sich doch selbst Deutsch, Frau Minister, „wann“ Sie wieder über die Deutschkenntnisse von Ausländern richten!

Maria Fekter neigt nicht nur zur unpassenden Wortwahl, sie hat die verzerrende Überzeichnung zu ihrem Markenzeichen gemacht. Das ist inakzeptabel, weil sie damit dumpfe Ressentiments nährt und üblem Gedankengut Legitimation verleiht. Die Verantwortung, dieses Spiel zu beenden, liegt nicht bei ihr, sondern bei ÖVP-Chef Josef Pröll.
Aber davon abgesehen, kann es sein, dass die Innenministerin Recht hat?

Ausgehend von einem Bekenntnis des Außenministers zu forcierter Zuwanderung von Arbeitskräften, ist doch tatsächlich eine kleine Diskussion entstanden. Der Sozialminister hat seinem Kollegen zugestimmt. Der Arbeiterkammerpräsident tritt den beiden mit etwas dumpferer Argumentation entgegen (eine Kluft zwischen dem sozialdemokratischen Kammerpräsidenten Herbert Tumpel und dem roten Minister und ehemaligen Gewerkschaftspräsidenten Rudolf Hundstorfer also). Die FPÖ argumentiert außerökonomisch auf Basis „zu vieler Kulturfremder, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind“.

Bleiben wir bei der wirtschaftlich getriebenen Debatte, also bei der Nützlichkeitsfrage! Braucht Österreich Zuwanderung und wenn ja, welche?
Aus den Geburtenraten ergibt sich mit mathematischer Gewissheit, dass die Bevölkerung ohne Zuwanderung schrumpfen würde. Denn im Schnitt bekommt jede in Österreich lebende Frau deutlich weniger als zwei Kinder.
Das ist auf den ersten Blick eine feine Entwicklung – mehr vom Kuchen für jeden Einzelnen –, auf den zweiten Blick ganz und gar nicht. Das Sozialsystem funktioniert bekanntlich nur deshalb, weil die jeweils nächsten Generationen mit ihren Abgaben, also mit ihrer Arbeitskraft, die Pensionen und längst auch die medizinische Versorgung der Älteren finanzieren. Keine jüngeren Arbeitskräfte – keine Pension und kein Arzt für die Pensionisten; weniger Junge – weniger Rente und weniger Ärzte.

Die FPÖ, aber jüngst auch die Arbeiterkammer argumentieren, dass Zuzug nicht notwendig sei, da es reiche, die österreichischen Arbeitslosen in den Arbeitsprozess und somit in das Umlageverfahren des Sozialsystems zu integrieren. In diesem Fall ist – siehe oben – das Anlernen in Arithmetik zu empfehlen. Selbst wenn das Gros der Arbeitslosen vermittelbar wäre, was selbstverständlich nicht zutrifft, würde das keinesfalls reichen.

Um das System aufrechtzuerhalten, braucht es also entweder ein radikal höheres Pensionsalter oder massiven Zuzug. In Wahrheit aber braucht es beides: Denn nur bei kräftig wachsender Bevölkerungszahl sind Pensionen und sonstige Versorgung in der derzeitigen Qualität zu finanzieren.

Aber welcher Zuzug?
Ja, in den herabwürdigenden Aussagen der Innenministerin steckt eine Teilwahrheit. Es macht schon Sinn, gut ausgebildete und Deutsch sprechende Ausländer, in Fekters Terminus „qualifizierte Diplomingenieure“, nach Österreich zu holen. (Das ist ja sicher der Grund, warum sie mit allen Mitteln dafür gesorgt hat, dass die in bester Ausbildung befindliche, perfekt Deutsch sprechende Arigona Zogaj des Landes verwiesen wurde.)
Darüber hinaus wird es aber auch weiterhin notwendig sein, minderqualifizierte Arbeitskräfte nach Österreich zu holen. Andernfalls werden nämlich die österreichischen Diplomingenieure als Hilfsarbeiter auf den von ihnen geplanten Baustellen zu arbeiten haben und die österreichischen Ärztinnen bei der 24-Stunden-Pflege ihrer vergreisten Verwandtschaft.

Und schließlich und einmal mehr an dieser Stelle: Abseits aller Nützlichkeitsüberlegungen hat ein reicher Industriestaat wie Österreich moralische Überlegungen anzustellen – und daher die Pflicht, auch Menschen aufzunehmen, die bloß der Armut und dem Elend in ihrer Heimat entfliehen wollen.

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